Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
auch verbländete; die denen Jungfrauen ent-räumte Freyheit aber darmit entschuldigte: daß ein verborgenes Licht nicht besser als die Fin- sternüs; und die Tugend/ welche durch ihr Bey- spiel bey andern keinen Nutzen schafft/ ein beses- sener Schatz; nichts weniger die Enteusserung der Laster aus Mangel der Gelegenheit zu sün- digen keine Tugend; diß aber die rechte Voll- kommenheit wäre; wenn man mitten unter de- nen wollüstigen Lockvögeln seine Ohren zu ver- stopffen; ja den Schwefel der Begierden/ wie die mit gewissen Kräutern verwahrte Hände das glüende Eisen ohne Beschädigung betasten könte; so schien mir doch das erstere eine Erfin- dung der eyver süchtigen Staats-Klugheit/ und eine vorsätzliche Unterdrückung der Wahrheit zu seyn/ welche keinem alten Jrrthume aus dem Wege zu treten schuldig; die andere Meynung aber war mir deßhalben verwerflich: daß die Tugend in ihr selbst ihren Preiß besitze/ und nicht von nöthen habe offentlich zur Schaue getragen zu werden/ um den unwürdigen Zu- ruff des Pöfels zu erwerben. Und ob wol viel ihre Schätze für wenig achten/ wenn nicht auch andere darum Wissen schafft tragen; so wird doch noch weniger/ ja nichts daraus/ wenn man sich durch derselben Feilbietung gar darum bringt. Jnsonderheit da die Keuschheit eine so zarte Farbe/ welcher auch die Lufft schadet/ an sich hat/ und ein so reiner Spiegel ist: daß er von den blossen Augen derer/ die eine garstige Seele haben/ befleckt wird; also sie sich für der Besudelung eben so wenig hüten kan/ als es un- möglich ist bey angesteckter Lufft durch den A- them kein Gifft an sich ziehen. Welches denn durch die traurige Erfahrung wiederlegt ward/ da in weniger Zeit drey Vestalische Jungfrau- en/ und zwar von Leuten/ die beym August höchst am Brete waren/ geschändet wurden; zu einer all- späten Warnigung: daß es mehr zu als mensch- lich sey nicht sündigen/ wo man gar wol kan; gleich wie es mehr als viehisch ist/ den Vorsatz [Spaltenumbruch] haben sich zu vergehen/ wo gleich das Vermö- gen ermangelt. Diesemnach es in alle Wege rathsamer/ die besor glichen Laster zu verhüten/ als die begangenen zu straffen. Denn jenes ist nicht nur eine Bewahrung der Tugend/ son- dern auch eine Hülffe der Schwachbeit; dieses aber macht der Verbrechen nicht weniger; denn auch eine gestraffte Boßheit öffnet mehrmahls denen Ungearteten die Augen zu liederlicher Nachfolge; insonderheit wenn das Laster etwas ungemein; oder die Gewalt des Ubelthäters dem gemeinen Rechts-Zwange überlegen ist. Zumahl viel ihnen einbilden: daß ihre Grösse in der Freyheit boßhafftig zu seyn bestehe. Bey solcher Beschaffenheit kriegte ich/ sagte Tircha- nis/ ein Mißtrauen gegen die gesamte Vestali- sche Versamlung/ und einen Eckel für Rom/ zuletzt aber gar eine Abscheu; als Livie uns in die Servilischen Gärte mit sich nahm/ darin- nen Tiberius dem Kayser zu Ehren aller hand üppige Spiele mit Fürstellung heßlich-gebilde- ter Wald-Götter und geiler Nymphen fürstel- lete; ja Livia in dem Tempel der Vesta/ wenn andere am andächtigsten waren/ des Naso geile Liebes-Schrifften laß; und als ich einsmahls solches wahrnehmende darüber einige Entsez- zung mercken ließ/ nicht nur lachte/ sondern noch darzu folgenden heiligen Tag mir das von der Elephantis gefertigte Schand-Buch zu lesen gab; über dessen bey der erstern Eröffnung mir in die Augen fallenden Stellung ich so beschämt und verbittert ward; daß ich es in das Vestali- sche Feuer warff; und hierdurch nicht alleine Liviens Gramschafft auf mich lud/ sondern alle Vestalische Jungfrauen wieder mich erregte/ als welche hierdurch ihr heiliges Feuer verun- reiniget zu seyn vermeinten. Diese/ oder viel- mehr die hinter ihnen steckende Livia/ brachte es so weit: daß die sonst denen/ welche das Feuer ausleschen liessen/ ausgesetzte Ruthen-Züchti- gung für mein Verbrechen für zu wenig erkennt/ und ich aus dem Heiligthume gar verstossen/ in des
Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
auch verblaͤndete; die denen Jungfrauen ent-raͤumte Freyheit aber darmit entſchuldigte: daß ein verborgenes Licht nicht beſſer als die Fin- ſternuͤs; und die Tugend/ welche durch ihr Bey- ſpiel bey andern keinen Nutzen ſchafft/ ein beſeſ- ſener Schatz; nichts weniger die Enteuſſerung der Laſter aus Mangel der Gelegenheit zu ſuͤn- digen keine Tugend; diß aber die rechte Voll- kommenheit waͤre; wenn man mitten unter de- nen wolluͤſtigen Lockvoͤgeln ſeine Ohren zu ver- ſtopffen; ja den Schwefel der Begierden/ wie die mit gewiſſen Kraͤutern verwahrte Haͤnde das gluͤende Eiſen ohne Beſchaͤdigung betaſten koͤnte; ſo ſchien mir doch das erſtere eine Erfin- dung der eyver ſuͤchtigen Staats-Klugheit/ und eine vorſaͤtzliche Unterdruͤckung der Wahrheit zu ſeyn/ welche keinem alten Jrrthume aus dem Wege zu treten ſchuldig; die andere Meynung aber war mir deßhalben verwerflich: daß die Tugend in ihr ſelbſt ihren Preiß beſitze/ und nicht von noͤthen habe offentlich zur Schaue getragen zu werden/ um den unwuͤrdigen Zu- ruff des Poͤfels zu erwerben. Und ob wol viel ihre Schaͤtze fuͤr wenig achten/ wenn nicht auch andere darum Wiſſen ſchafft tragen; ſo wird doch noch weniger/ ja nichts daraus/ wenn man ſich durch derſelben Feilbietung gar darum bringt. Jnſonderheit da die Keuſchheit eine ſo zarte Farbe/ welcher auch die Lufft ſchadet/ an ſich hat/ und ein ſo reiner Spiegel iſt: daß er von den bloſſen Augen derer/ die eine garſtige Seele haben/ befleckt wird; alſo ſie ſich fuͤr der Beſudelung eben ſo wenig huͤten kan/ als es un- moͤglich iſt bey angeſteckter Lufft durch den A- them kein Gifft an ſich ziehen. Welches denn durch die traurige Erfahrung wiederlegt ward/ da in weniger Zeit drey Veſtaliſche Jungfrau- en/ und zwar von Leuten/ die beym Auguſt hoͤchſt am Brete warẽ/ geſchaͤndet wurden; zu einer all- ſpaͤten Warnigung: daß es mehr zu als menſch- lich ſey nicht ſuͤndigen/ wo man gar wol kan; gleich wie es mehr als viehiſch iſt/ den Vorſatz [Spaltenumbruch] haben ſich zu vergehen/ wo gleich das Vermoͤ- gen ermangelt. Dieſemnach es in alle Wege rathſamer/ die beſor glichen Laſter zu verhuͤten/ als die begangenen zu ſtraffen. Denn jenes iſt nicht nur eine Bewahrung der Tugend/ ſon- dern auch eine Huͤlffe der Schwachbeit; dieſes aber macht der Verbrechen nicht weniger; denn auch eine geſtraffte Boßheit oͤffnet mehrmahls denen Ungearteten die Augen zu liederlicher Nachfolge; inſonderheit wenn das Laſter etwas ungemein; oder die Gewalt des Ubelthaͤters dem gemeinen Rechts-Zwange uͤberlegen iſt. Zumahl viel ihnen einbilden: daß ihre Groͤſſe in der Freyheit boßhafftig zu ſeyn beſtehe. Bey ſolcher Beſchaffenheit kriegte ich/ ſagte Tircha- nis/ ein Mißtrauen gegen die geſamte Veſtali- ſche Verſamlung/ und einen Eckel fuͤr Rom/ zuletzt aber gar eine Abſcheu; als Livie uns in die Serviliſchen Gaͤrte mit ſich nahm/ darin- nen Tiberius dem Kayſer zu Ehren aller hand uͤppige Spiele mit Fuͤrſtellung heßlich-gebilde- ter Wald-Goͤtter und geiler Nymphen fuͤrſtel- lete; ja Livia in dem Tempel der Veſta/ wenn andere am andaͤchtigſten waren/ des Naſo geile Liebes-Schrifften laß; und als ich einsmahls ſolches wahrnehmende daruͤber einige Entſez- zung mercken ließ/ nicht nur lachte/ ſondern noch darzu folgenden heiligen Tag mir das von der Elephantis gefertigte Schand-Buch zu leſen gab; uͤber deſſen bey der erſtern Eroͤffnung mir in die Augen fallenden Stellung ich ſo beſchaͤmt und verbittert ward; daß ich es in das Veſtali- ſche Feuer warff; und hierdurch nicht alleine Liviens Gramſchafft auf mich lud/ ſondern alle Veſtaliſche Jungfrauen wieder mich erregte/ als welche hierdurch ihr heiliges Feuer verun- reiniget zu ſeyn vermeinten. Dieſe/ oder viel- mehr die hinter ihnen ſteckende Livia/ brachte es ſo weit: daß die ſonſt denen/ welche das Feuer ausleſchen lieſſen/ ausgeſetzte Ruthen-Zuͤchti- gung fuͤr mein Verbrechen fuͤr zu wenig erkeñt/ und ich aus dem Heiligthume gar verſtoſſen/ in des
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Neuntes Buch
auch verblaͤndete; die denen Jungfrauen ent-
raͤumte Freyheit aber darmit entſchuldigte: daß
ein verborgenes Licht nicht beſſer als die Fin-
ſternuͤs; und die Tugend/ welche durch ihr Bey-
ſpiel bey andern keinen Nutzen ſchafft/ ein beſeſ-
ſener Schatz; nichts weniger die Enteuſſerung
der Laſter aus Mangel der Gelegenheit zu ſuͤn-
digen keine Tugend; diß aber die rechte Voll-
kommenheit waͤre; wenn man mitten unter de-
nen wolluͤſtigen Lockvoͤgeln ſeine Ohren zu ver-
ſtopffen; ja den Schwefel der Begierden/ wie
die mit gewiſſen Kraͤutern verwahrte Haͤnde
das gluͤende Eiſen ohne Beſchaͤdigung betaſten
koͤnte; ſo ſchien mir doch das erſtere eine Erfin-
dung der eyver ſuͤchtigen Staats-Klugheit/ und
eine vorſaͤtzliche Unterdruͤckung der Wahrheit
zu ſeyn/ welche keinem alten Jrrthume aus dem
Wege zu treten ſchuldig; die andere Meynung
aber war mir deßhalben verwerflich: daß die
Tugend in ihr ſelbſt ihren Preiß beſitze/ und
nicht von noͤthen habe offentlich zur Schaue
getragen zu werden/ um den unwuͤrdigen Zu-
ruff des Poͤfels zu erwerben. Und ob wol viel
ihre Schaͤtze fuͤr wenig achten/ wenn nicht auch
andere darum Wiſſen ſchafft tragen; ſo wird
doch noch weniger/ ja nichts daraus/ wenn man
ſich durch derſelben Feilbietung gar darum
bringt. Jnſonderheit da die Keuſchheit eine ſo
zarte Farbe/ welcher auch die Lufft ſchadet/ an
ſich hat/ und ein ſo reiner Spiegel iſt: daß er
von den bloſſen Augen derer/ die eine garſtige
Seele haben/ befleckt wird; alſo ſie ſich fuͤr der
Beſudelung eben ſo wenig huͤten kan/ als es un-
moͤglich iſt bey angeſteckter Lufft durch den A-
them kein Gifft an ſich ziehen. Welches denn
durch die traurige Erfahrung wiederlegt ward/
da in weniger Zeit drey Veſtaliſche Jungfrau-
en/ und zwar von Leuten/ die beym Auguſt hoͤchſt
am Brete warẽ/ geſchaͤndet wurden; zu einer all-
ſpaͤten Warnigung: daß es mehr zu als menſch-
lich ſey nicht ſuͤndigen/ wo man gar wol kan;
gleich wie es mehr als viehiſch iſt/ den Vorſatz
haben ſich zu vergehen/ wo gleich das Vermoͤ-
gen ermangelt. Dieſemnach es in alle Wege
rathſamer/ die beſor glichen Laſter zu verhuͤten/
als die begangenen zu ſtraffen. Denn jenes iſt
nicht nur eine Bewahrung der Tugend/ ſon-
dern auch eine Huͤlffe der Schwachbeit; dieſes
aber macht der Verbrechen nicht weniger; denn
auch eine geſtraffte Boßheit oͤffnet mehrmahls
denen Ungearteten die Augen zu liederlicher
Nachfolge; inſonderheit wenn das Laſter etwas
ungemein; oder die Gewalt des Ubelthaͤters
dem gemeinen Rechts-Zwange uͤberlegen iſt.
Zumahl viel ihnen einbilden: daß ihre Groͤſſe
in der Freyheit boßhafftig zu ſeyn beſtehe. Bey
ſolcher Beſchaffenheit kriegte ich/ ſagte Tircha-
nis/ ein Mißtrauen gegen die geſamte Veſtali-
ſche Verſamlung/ und einen Eckel fuͤr Rom/
zuletzt aber gar eine Abſcheu; als Livie uns in
die Serviliſchen Gaͤrte mit ſich nahm/ darin-
nen Tiberius dem Kayſer zu Ehren aller hand
uͤppige Spiele mit Fuͤrſtellung heßlich-gebilde-
ter Wald-Goͤtter und geiler Nymphen fuͤrſtel-
lete; ja Livia in dem Tempel der Veſta/ wenn
andere am andaͤchtigſten waren/ des Naſo geile
Liebes-Schrifften laß; und als ich einsmahls
ſolches wahrnehmende daruͤber einige Entſez-
zung mercken ließ/ nicht nur lachte/ ſondern noch
darzu folgenden heiligen Tag mir das von der
Elephantis gefertigte Schand-Buch zu leſen
gab; uͤber deſſen bey der erſtern Eroͤffnung mir
in die Augen fallenden Stellung ich ſo beſchaͤmt
und verbittert ward; daß ich es in das Veſtali-
ſche Feuer warff; und hierdurch nicht alleine
Liviens Gramſchafft auf mich lud/ ſondern alle
Veſtaliſche Jungfrauen wieder mich erregte/
als welche hierdurch ihr heiliges Feuer verun-
reiniget zu ſeyn vermeinten. Dieſe/ oder viel-
mehr die hinter ihnen ſteckende Livia/ brachte es
ſo weit: daß die ſonſt denen/ welche das Feuer
ausleſchen lieſſen/ ausgeſetzte Ruthen-Zuͤchti-
gung fuͤr mein Verbrechen fuͤr zu wenig erkeñt/
und ich aus dem Heiligthume gar verſtoſſen/ in
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1332[1334]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1400>, abgerufen am 17.02.2025. |