Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
einen thätigen Geist/ der die gantze Welt besee-let/ in die Sternen/ aus diesen in die Erde/ von dar in die Thiere und Pflantzen/ ja in Bäche und Brunnen ausgeust/ und derogestalt Got- tes väterliche Vorsorge von dem Menschen biß zum Kefer/ von der Sonne biß zu Quendel sich erstreckt? Diese hat nicht minder auf die Tropf- fen des Thaues/ und den Uhrsprung der Brun- nen/ als auf die unbegreifliche Bewegung des Meeres acht. Die Hand/ welche entweder die Sonnen- oder die gantze Erd-Kugel alle Ta- ge so schnell herum treibet/ oder umwendet; ist eben so wol um den Schaum der See/ und die Adern der Quelle bekümmert. Das Auge/ wel- ches weiter als alle Lichter des Himmels siehet; zehlet und unterscheidet die Federn des Geflü- gels: daß keine der andern gleiche ist; ja es be- obachtet und gestaltet die Borsten der Schwei- ne und Jgel also: daß kein Geschöpffe so klein/ kein Ding so geringe ist; welches nicht ein Röhr abgebe den Strom der Göttlichen Liebe allent- halben einzuflössen; und den Reichthum seiner Güte auszuleeren. Die Cimbrische Fürstin schöpffte über diesen unvollkommenen Gedan- cken eine solche Vergnügung: daß sie mich noch auf der Schwelle des Tempels (weil darinnen alle Neigungen GOtt abgestolen werden/ die man ausser ihm iemanden anders zueignet) umarmte/ mit dem Nahmen ihrer Schwester beehrte/ und an das Ufer des Meeres führende alle Heimligkeiten ihres Hertzens derogestalt ausschüttete: Es wäre Unvernunfft entweder denselben Zustand wissen wollen; die durch ihre überirrdische Weißheit alles diß/ was ich durch so vieler Jahre Fleiß kaum gelernet/ überstiege; oder derselben mich zu entdecken anstehen; die so tieff in die Geheimnüsse Gottes und der Na- tur siehet. Diesemnach wisse sie/ wer sie auch ist: daß ich Tirchanis des Cimbrischen Königs Friedlevs Tochter/ des berühmten Bojorichs Enckelin sey. Meines Vaters Siege wieder die meisten Nord-Völcker sind der Welt so bekant: [Spaltenumbruch] daß sie keiner Erzehlung bedörffen/ und was ich/ nach dem mein Vater mir zum Erbtheile zwey Königreiche zugeeignet/ für Heldenthaten ausgeübet/ werden alle die rühmen müssen/ wel- che die Unterdrückung der Völcker/ die Auff- opfferung vieler tausend Feinde für Tugend/ das weibliche Geschlechte aber der Hertzhafftig- keit und der Herrschens Kunst fähig achten. Die Reichs-Stände schöpften über meinen Siegen eine solche Vergnügung: daß sie meinten den Grund-Stein ihres Wolstandes zu verrücken; wenn die Herrschafft auf andere Schultern nach mir verfallen solte; als welche aus meinen Hüf- ten kommen wären. Diese Einbildung verlei- tete sie so weit: daß sie mir ihrer Gebieterin ein Gesetze der Eh aufzudringen vermeinten. Also gebieret auch das Gute zuweilen etwas arges/ wie die Sonne gifftige Würmer und Kräuter. Nach dem nun die/ welche einmahl aus den Schrancken des Gehorsams geschritten/ kei- nen Zaum mehr leiden/ sondern ihr Verbre- chen durch ein grösseres zu verkleinern vermei- nen; so schritten meine Unterthanen nunmehr so weit: daß sie mir so gar/ wem ich mich ver- mählen solte/ fürschrieben. Dieser war zwar ein Fürst von hoher Ankunfft/ und aus dem A- lemannischen Stamme/ auch ein Held von gros- ser Tapfferkeit und ungemeiner Hoffnung. A- ber/ weil mich der Himmel entweder zur Ein- samkeit bestimmet hatte; oder der Zwang ein abgesagter Feind der Liebe ist; gewann ich nicht allein wieder diesen einen ungemeinen Haß/ sondern auch für dem Heyrathen eine gäntzliche Abscheu. Ja ich zohe mir an statt: daß ich die Rathschläge dieses vielköpfichten Thieres leicht zu verwirren/ und den Sturm des unsinnigen Volckes durch leichte Mittel/ wie das schäu- mende Meer durch einen linden Regen zu be- sänfften vermocht hätte/ die Kühnheit des Vol- ckes als eine meiner Hoheit zu wachsende Ver- kleinerung so tieff zu Hertzen: daß ich selbst mei- ner Herrschafft und Würde gram ward. Denn weil
Neuntes Buch [Spaltenumbruch]
einen thaͤtigen Geiſt/ der die gantze Welt beſee-let/ in die Sternen/ aus dieſen in die Erde/ von dar in die Thiere und Pflantzen/ ja in Baͤche und Brunnen ausgeuſt/ und derogeſtalt Got- tes vaͤterliche Vorſorge von dem Menſchen biß zum Kefer/ von der Sonne biß zu Quendel ſich erſtreckt? Dieſe hat nicht minder auf die Tropf- fen des Thaues/ und den Uhrſprung der Brun- nen/ als auf die unbegreifliche Bewegung des Meeres acht. Die Hand/ welche entweder die Sonnen- oder die gantze Erd-Kugel alle Ta- ge ſo ſchnell herum treibet/ oder umwendet; iſt eben ſo wol um den Schaum der See/ und die Adern der Quelle bekuͤmmert. Das Auge/ wel- ches weiter als alle Lichter des Himmels ſiehet; zehlet und unterſcheidet die Federn des Gefluͤ- gels: daß keine der andern gleiche iſt; ja es be- obachtet und geſtaltet die Borſten der Schwei- ne und Jgel alſo: daß kein Geſchoͤpffe ſo klein/ kein Ding ſo geringe iſt; welches nicht ein Roͤhr abgebe den Strom der Goͤttlichen Liebe allent- halben einzufloͤſſen; und den Reichthum ſeiner Guͤte auszuleeren. Die Cimbriſche Fuͤrſtin ſchoͤpffte uͤber dieſen unvollkommenen Gedan- cken eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie mich noch auf der Schwelle des Tempels (weil darinnen alle Neigungen GOtt abgeſtolen werden/ die man auſſer ihm iemanden anders zueignet) umarmte/ mit dem Nahmen ihrer Schweſter beehrte/ und an das Ufer des Meeres fuͤhrende alle Heimligkeiten ihres Hertzens derogeſtalt ausſchuͤttete: Es waͤre Unvernunfft entweder denſelben Zuſtand wiſſen wollen; die durch ihre uͤberirrdiſche Weißheit alles diß/ was ich durch ſo vieler Jahre Fleiß kaum gelernet/ uͤberſtiege; oder derſelben mich zu entdecken anſtehen; die ſo tieff in die Geheimnuͤſſe Gottes und der Na- tur ſiehet. Dieſemnach wiſſe ſie/ wer ſie auch iſt: daß ich Tirchanis des Cimbriſchen Koͤnigs Friedlevs Tochter/ des beruͤhmten Bojorichs Enckelin ſey. Meines Vateꝛs Siege wiedeꝛ die meiſten Nord-Voͤlcker ſind der Welt ſo bekant: [Spaltenumbruch] daß ſie keiner Erzehlung bedoͤrffen/ und was ich/ nach dem mein Vater mir zum Erbtheile zwey Koͤnigreiche zugeeignet/ fuͤr Heldenthaten ausgeuͤbet/ werden alle die ruͤhmen muͤſſen/ wel- che die Unterdruͤckung der Voͤlcker/ die Auff- opfferung vieler tauſend Feinde fuͤr Tugend/ das weibliche Geſchlechte aber der Hertzhafftig- keit und der Herꝛſchens Kunſt faͤhig achten. Die Reichs-Staͤnde ſchoͤpften uͤber meinen Siegen eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie meinten den Grund-Stein ihres Wolſtandes zu verruͤcken; wenn die Herꝛſchafft auf andere Schultern nach mir verfallen ſolte; als welche aus meinen Huͤf- ten kommen waͤren. Dieſe Einbildung verlei- tete ſie ſo weit: daß ſie mir ihrer Gebieterin ein Geſetze der Eh aufzudringen vermeinten. Alſo gebieret auch das Gute zuweilen etwas arges/ wie die Sonne gifftige Wuͤrmer und Kraͤuter. Nach dem nun die/ welche einmahl aus den Schrancken des Gehorſams geſchritten/ kei- nen Zaum mehr leiden/ ſondern ihr Verbre- chen durch ein groͤſſeres zu verkleinern vermei- nen; ſo ſchritten meine Unterthanen nunmehr ſo weit: daß ſie mir ſo gar/ wem ich mich ver- maͤhlen ſolte/ fuͤrſchrieben. Dieſer war zwar ein Fuͤrſt von hoher Ankunfft/ und aus dem A- lemanniſchen Stamme/ auch ein Held von groſ- ſer Tapfferkeit und ungemeiner Hoffnung. A- ber/ weil mich der Himmel entweder zur Ein- ſamkeit beſtimmet hatte; oder der Zwang ein abgeſagter Feind der Liebe iſt; gewann ich nicht allein wieder dieſen einen ungemeinen Haß/ ſondern auch fuͤr dem Heyrathen eine gaͤntzliche Abſcheu. Ja ich zohe mir an ſtatt: daß ich die Rathſchlaͤge dieſes vielkoͤpfichten Thieres leicht zu verwirren/ und den Sturm des unſinnigen Volckes durch leichte Mittel/ wie das ſchaͤu- mende Meer durch einen linden Regen zu be- ſaͤnfften vermocht haͤtte/ die Kuͤhnheit des Vol- ckes als eine meiner Hoheit zu wachſende Ver- kleinerung ſo tieff zu Hertzen: daß ich ſelbſt mei- ner Herrſchafft und Wuͤrde gram ward. Denn weil
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Neuntes Buch
einen thaͤtigen Geiſt/ der die gantze Welt beſee-
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dar in die Thiere und Pflantzen/ ja in Baͤche
und Brunnen ausgeuſt/ und derogeſtalt Got-
tes vaͤterliche Vorſorge von dem Menſchen biß
zum Kefer/ von der Sonne biß zu Quendel ſich
erſtreckt? Dieſe hat nicht minder auf die Tropf-
fen des Thaues/ und den Uhrſprung der Brun-
nen/ als auf die unbegreifliche Bewegung des
Meeres acht. Die Hand/ welche entweder
die Sonnen- oder die gantze Erd-Kugel alle Ta-
ge ſo ſchnell herum treibet/ oder umwendet; iſt
eben ſo wol um den Schaum der See/ und die
Adern der Quelle bekuͤmmert. Das Auge/ wel-
ches weiter als alle Lichter des Himmels ſiehet;
zehlet und unterſcheidet die Federn des Gefluͤ-
gels: daß keine der andern gleiche iſt; ja es be-
obachtet und geſtaltet die Borſten der Schwei-
ne und Jgel alſo: daß kein Geſchoͤpffe ſo klein/
kein Ding ſo geringe iſt; welches nicht ein Roͤhr
abgebe den Strom der Goͤttlichen Liebe allent-
halben einzufloͤſſen; und den Reichthum ſeiner
Guͤte auszuleeren. Die Cimbriſche Fuͤrſtin
ſchoͤpffte uͤber dieſen unvollkommenen Gedan-
cken eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie mich noch
auf der Schwelle des Tempels (weil darinnen
alle Neigungen GOtt abgeſtolen werden/ die
man auſſer ihm iemanden anders zueignet)
umarmte/ mit dem Nahmen ihrer Schweſter
beehrte/ und an das Ufer des Meeres fuͤhrende
alle Heimligkeiten ihres Hertzens derogeſtalt
ausſchuͤttete: Es waͤre Unvernunfft entweder
denſelben Zuſtand wiſſen wollen; die durch ihre
uͤberirrdiſche Weißheit alles diß/ was ich durch
ſo vieler Jahre Fleiß kaum gelernet/ uͤberſtiege;
oder derſelben mich zu entdecken anſtehen; die
ſo tieff in die Geheimnuͤſſe Gottes und der Na-
tur ſiehet. Dieſemnach wiſſe ſie/ wer ſie auch
iſt: daß ich Tirchanis des Cimbriſchen Koͤnigs
Friedlevs Tochter/ des beruͤhmten Bojorichs
Enckelin ſey. Meines Vateꝛs Siege wiedeꝛ die
meiſten Nord-Voͤlcker ſind der Welt ſo bekant:
daß ſie keiner Erzehlung bedoͤrffen/ und was
ich/ nach dem mein Vater mir zum Erbtheile
zwey Koͤnigreiche zugeeignet/ fuͤr Heldenthaten
ausgeuͤbet/ werden alle die ruͤhmen muͤſſen/ wel-
che die Unterdruͤckung der Voͤlcker/ die Auff-
opfferung vieler tauſend Feinde fuͤr Tugend/
das weibliche Geſchlechte aber der Hertzhafftig-
keit und der Herꝛſchens Kunſt faͤhig achten. Die
Reichs-Staͤnde ſchoͤpften uͤber meinen Siegen
eine ſolche Vergnuͤgung: daß ſie meinten den
Grund-Stein ihres Wolſtandes zu verruͤcken;
wenn die Herꝛſchafft auf andere Schultern nach
mir verfallen ſolte; als welche aus meinen Huͤf-
ten kommen waͤren. Dieſe Einbildung verlei-
tete ſie ſo weit: daß ſie mir ihrer Gebieterin ein
Geſetze der Eh aufzudringen vermeinten. Alſo
gebieret auch das Gute zuweilen etwas arges/
wie die Sonne gifftige Wuͤrmer und Kraͤuter.
Nach dem nun die/ welche einmahl aus den
Schrancken des Gehorſams geſchritten/ kei-
nen Zaum mehr leiden/ ſondern ihr Verbre-
chen durch ein groͤſſeres zu verkleinern vermei-
nen; ſo ſchritten meine Unterthanen nunmehr
ſo weit: daß ſie mir ſo gar/ wem ich mich ver-
maͤhlen ſolte/ fuͤrſchrieben. Dieſer war zwar
ein Fuͤrſt von hoher Ankunfft/ und aus dem A-
lemanniſchen Stamme/ auch ein Held von groſ-
ſer Tapfferkeit und ungemeiner Hoffnung. A-
ber/ weil mich der Himmel entweder zur Ein-
ſamkeit beſtimmet hatte; oder der Zwang ein
abgeſagter Feind der Liebe iſt; gewann ich nicht
allein wieder dieſen einen ungemeinen Haß/
ſondern auch fuͤr dem Heyrathen eine gaͤntzliche
Abſcheu. Ja ich zohe mir an ſtatt: daß ich die
Rathſchlaͤge dieſes vielkoͤpfichten Thieres leicht
zu verwirren/ und den Sturm des unſinnigen
Volckes durch leichte Mittel/ wie das ſchaͤu-
mende Meer durch einen linden Regen zu be-
ſaͤnfften vermocht haͤtte/ die Kuͤhnheit des Vol-
ckes als eine meiner Hoheit zu wachſende Ver-
kleinerung ſo tieff zu Hertzen: daß ich ſelbſt mei-
ner Herrſchafft und Wuͤrde gram ward. Denn
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1328[1330]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1396>, abgerufen am 17.07.2024. |