Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Achtes Buch [Spaltenumbruch]
gleichsam schwebende halten. Er selbst aber stiegoder flog vielmehr die Leiter hinauff/ und hob Thußnelden darauf/ welcher Hände schon gantz verschwartzt/ und kaum wenig Augenblicke sich mehr zu erhalten geschickt waren. An statt der nunmehr entbundenen Hände/ erstarrten alle ihre Glieder/ als sie ihren liebsten Hertzog Herr- mann für sich sah/ und ihn abermahls für ihren Erlöser erkennete. Ja auch ihre Zunge war unbeweglich; nur die Augen zeigten ihre Leb- hafftigkeit mit denen daraus fallenden Thränen an. Hertzog Herrmann selbst konte entweder für Mitleiden/ oder für Freuden sich derselben nicht mäßigen; und gab darmit an Tag: daß die Augen der Helden nichts weniger in sich Wasser der Empfindligkeit/ als Felsen Quelle haben. So bald sie nun beyde von dieser gleich- sam in der Lufft hängenden Leiter auf die feste Erde sich begeben hatten/ umarmete der gleich- sam auffs neue lebendige Herrmann seine Thuß- nelde/ welche ihn aber erinnerte: daß selbige Zeit unauffschieblichere Dinge zu erörtern hät- te. Wie dieser nun: worinnen solche bestünden/ fragte; antwortete sie: daß er in dem eroberten Schlosse der besorglichen Blutstürtzung ein Ende machte. Denn ob zwar die Belägerten ihn beleidiget hätten/ bäte sie doch zu erwegen: daß diese Beleidigung ein Gehorsam gegen ih- ren Fürsten; und sie alle ihre Landes-Leute wä- ren. Hertzog Herrmann eilte hiermit geraden Weges in das von Blut allenthalben besprützte Schloß; welchem denn Thußnelde selbst auff der Fersen folgte/ und durch ihre Vorbitte zu wege brachte: daß der Hertzog niemanden mehr zu tödten/ alsofort ein Kriegs Zeichen geben ließ. Wie nun bey nahe die Helffte noch gefan- gen ward; also brachten Böltzig und Tecke/ zwey Cherusker den Schloß-Hauptmann A- schenburg in Band und Eisen für den Hertzog dem sie den auff sich selbst gezückten Degen aus- gewunden/ und um ihn zu einer grössern Pein aufzuheben zu sterben verwehret hatten. Dieser [Spaltenumbruch] fiel gantz verzweiffelt für dem Hertzog Herrmann und Thußnelden nieder; entweder/ weil er itzt allererst seine bey ihrer Herabstürtzung aus ge- übte Grausamkeit erwog; indem alle Laster nach ihrer Vollbringung nach Art des in die Lufft kommenden Stein-Saltzes vielmahl schwerer im Gewichte werden; oder/ weil er nicht zu be- greiffen wuste: wie diese mit seiner eigenen Hand herab gestürtzte Fürstin nicht nur unzerschmet- tert/ sondern lebendig/ ja gantz gesund seyn kön- te. Er konte zwar für Schrecken kein Wort auffbringen; aber seine zitternde Glieder rede- ten sie deutlich genung um Erbarmnüs an; biß seine stammelnde Zunge endlich eine Bitte um keinen langsamen Tod halb zerbrochen aus- schüttete; ja sich selbst so vielmehr verdammete; weil ihm Hertzog Herrmann in Rom wegen ei- nes Kriegs-Verbrechens das Leben geschenckt; Er auch diesen Ausschlag leicht hätte vermuthen können; weil die Gerechtigkeit der Waffen auf Seiten der grösten Tapfferkeit der Welt mit diesem Uberwünder gestanden wäre. Hertzog Herrmann antwortete ihm mit einer ernsthaff- ten Gebehrdung: wer das vergangene vergist/ das gegenwärtige nicht wahrnimmt/ das künff- tige verachtet/ ist des Lebens nicht werth. Denn der weiß nur zu leben/ der aller dreyer Zeiten Genüß durch Erinnerung geschehener/ durch tugendhaffte Anwehrung gegenwärtiger/ und kluge Vorsehung künfftiger Dinge nicht ver- absäumet. Der aber verdient nicht einst die Ruhe des Todes zu genüssen/ der der Unschuld Leben bitterer macht/ als der Tod an sich selbst ist. Und daher solstu nicht leben/ noch auch ster- ben; sondern die Wermuth von beyden auff einmahl schmecken. Die mitleidende Thuß- nelde sagte zwar kein Wort/ ihr einiger Anblick aber war ein so beredsames Stillschweigen/ und hatte in sich eine so lebhaffte Vorbitte: daß er ihr die Willkühr über sein Leben und Tod ent- räumete. Welche denn hierauff sich erklärte: Sie wolte ihm die völlige Freyheit schencken; weil
Achtes Buch [Spaltenumbruch]
gleichſam ſchwebende halten. Er ſelbſt aber ſtiegoder flog vielmehr die Leiter hinauff/ und hob Thußnelden darauf/ welcher Haͤnde ſchon gantz verſchwartzt/ und kaum wenig Augenblicke ſich mehr zu erhalten geſchickt waren. An ſtatt der nunmehr entbundenen Haͤnde/ erſtarrten alle ihre Glieder/ als ſie ihren liebſten Hertzog Herꝛ- mann fuͤr ſich ſah/ und ihn abermahls fuͤr ihren Erloͤſer erkennete. Ja auch ihre Zunge war unbeweglich; nur die Augen zeigten ihre Leb- hafftigkeit mit denen daraus fallenden Thraͤnen an. Hertzog Herꝛmann ſelbſt konte entweder fuͤr Mitleiden/ oder fuͤr Freuden ſich derſelben nicht maͤßigen; und gab darmit an Tag: daß die Augen der Helden nichts weniger in ſich Waſſer der Empfindligkeit/ als Felſen Quelle haben. So bald ſie nun beyde von dieſer gleich- ſam in der Lufft haͤngenden Leiter auf die feſte Erde ſich begeben hatten/ umarmete der gleich- ſam auffs neue lebendige Herrmañ ſeine Thuß- nelde/ welche ihn aber erinnerte: daß ſelbige Zeit unauffſchieblichere Dinge zu eroͤrtern haͤt- te. Wie dieſer nun: worinnen ſolche beſtuͤnden/ fragte; antwortete ſie: daß er in dem eroberten Schloſſe der beſorglichen Blutſtuͤrtzung ein Ende machte. Denn ob zwar die Belaͤgerten ihn beleidiget haͤtten/ baͤte ſie doch zu erwegen: daß dieſe Beleidigung ein Gehorſam gegen ih- ren Fuͤrſten; und ſie alle ihre Landes-Leute waͤ- ren. Hertzog Herrmann eilte hiermit geraden Weges in das von Blut allenthalben beſpruͤtzte Schloß; welchem denn Thußnelde ſelbſt auff der Ferſen folgte/ und durch ihre Vorbitte zu wege brachte: daß der Hertzog niemanden mehr zu toͤdten/ alſofort ein Kriegs Zeichen geben ließ. Wie nun bey nahe die Helffte noch gefan- gen ward; alſo brachten Boͤltzig und Tecke/ zwey Cherusker den Schloß-Hauptmann A- ſchenburg in Band und Eiſen fuͤr den Hertzog dem ſie den auff ſich ſelbſt gezuͤckten Degen aus- gewunden/ und um ihn zu einer groͤſſern Pein aufzuheben zu ſterben verwehret hatten. Dieſer [Spaltenumbruch] fiel gantz verzweiffelt fuͤr dem Hertzog Herrmañ und Thußnelden nieder; entweder/ weil er itzt allererſt ſeine bey ihrer Herabſtuͤrtzung aus ge- uͤbte Grauſamkeit erwog; indem alle Laſter nach ihrer Vollbringung nach Art des in die Lufft kommenden Stein-Saltzes vielmahl ſchwerer im Gewichte werden; oder/ weil er nicht zu be- greiffen wuſte: wie dieſe mit ſeiner eigenen Hand herab geſtuͤrtzte Fuͤrſtin nicht nur unzerſchmet- tert/ ſondern lebendig/ ja gantz geſund ſeyn koͤn- te. Er konte zwar fuͤr Schrecken kein Wort auffbringen; aber ſeine zitternde Glieder rede- ten ſie deutlich genung um Erbarmnuͤs an; biß ſeine ſtammelnde Zunge endlich eine Bitte um keinen langſamen Tod halb zerbrochen aus- ſchuͤttete; ja ſich ſelbſt ſo vielmehr verdammete; weil ihm Hertzog Herꝛmann in Rom wegen ei- nes Kriegs-Verbrechens das Leben geſchenckt; Er auch dieſen Ausſchlag leicht haͤtte vermuthen koͤnnen; weil die Gerechtigkeit der Waffen auf Seiten der groͤſten Tapfferkeit der Welt mit dieſem Uberwuͤnder geſtanden waͤre. Hertzog Herrmann antwortete ihm mit einer ernſthaff- ten Gebehrdung: wer das vergangene vergiſt/ das gegenwaͤrtige nicht wahrnimmt/ das kuͤnff- tige verachtet/ iſt des Lebens nicht werth. Denn der weiß nur zu leben/ der aller dreyer Zeiten Genuͤß durch Erinnerung geſchehener/ durch tugendhaffte Anwehrung gegenwaͤrtiger/ und kluge Vorſehung kuͤnfftiger Dinge nicht ver- abſaͤumet. Der aber verdient nicht einſt die Ruhe des Todes zu genuͤſſen/ der der Unſchuld Leben bitterer macht/ als der Tod an ſich ſelbſt iſt. Und daher ſolſtu nicht leben/ noch auch ſter- ben; ſondern die Wermuth von beyden auff einmahl ſchmecken. Die mitleidende Thuß- nelde ſagte zwar kein Wort/ ihr einiger Anblick aber war ein ſo beredſames Stillſchweigen/ und hatte in ſich eine ſo lebhaffte Vorbitte: daß er ihr die Willkuͤhr uͤber ſein Leben und Tod ent- raͤumete. Welche denn hierauff ſich erklaͤrte: Sie wolte ihm die voͤllige Freyheit ſchencken; weil
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f1374" n="1308[1310]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Buch</hi></fw><lb/><cb/> gleichſam ſchwebende halten. Er ſelbſt aber ſtieg<lb/> oder flog vielmehr die Leiter hinauff/ und hob<lb/> Thußnelden darauf/ welcher Haͤnde ſchon gantz<lb/> verſchwartzt/ und kaum wenig Augenblicke ſich<lb/> mehr zu erhalten geſchickt waren. An ſtatt der<lb/> nunmehr entbundenen Haͤnde/ erſtarrten alle<lb/> ihre Glieder/ als ſie ihren liebſten Hertzog Herꝛ-<lb/> mann fuͤr ſich ſah/ und ihn abermahls fuͤr ihren<lb/> Erloͤſer erkennete. Ja auch ihre Zunge war<lb/> unbeweglich; nur die Augen zeigten ihre Leb-<lb/> hafftigkeit mit denen daraus fallenden Thraͤnen<lb/> an. Hertzog Herꝛmann ſelbſt konte entweder<lb/> fuͤr Mitleiden/ oder fuͤr Freuden ſich derſelben<lb/> nicht maͤßigen; und gab darmit an Tag: daß<lb/> die Augen der Helden nichts weniger in ſich<lb/> Waſſer der Empfindligkeit/ als Felſen Quelle<lb/> haben. So bald ſie nun beyde von dieſer gleich-<lb/> ſam in der Lufft haͤngenden Leiter auf die feſte<lb/> Erde ſich begeben hatten/ umarmete der gleich-<lb/> ſam auffs neue lebendige Herrmañ ſeine Thuß-<lb/> nelde/ welche ihn aber erinnerte: daß ſelbige<lb/> Zeit unauffſchieblichere Dinge zu eroͤrtern haͤt-<lb/> te. Wie dieſer nun: worinnen ſolche beſtuͤnden/<lb/> fragte; antwortete ſie: daß er in dem eroberten<lb/> Schloſſe der beſorglichen Blutſtuͤrtzung ein<lb/> Ende machte. Denn ob zwar die Belaͤgerten<lb/> ihn beleidiget haͤtten/ baͤte ſie doch zu erwegen:<lb/> daß dieſe Beleidigung ein Gehorſam gegen ih-<lb/> ren Fuͤrſten; und ſie alle ihre Landes-Leute waͤ-<lb/> ren. Hertzog Herrmann eilte hiermit geraden<lb/> Weges in das von Blut allenthalben beſpruͤtzte<lb/> Schloß; welchem denn Thußnelde ſelbſt auff<lb/> der Ferſen folgte/ und durch ihre Vorbitte zu<lb/> wege brachte: daß der Hertzog niemanden mehr<lb/> zu toͤdten/ alſofort ein Kriegs Zeichen geben<lb/> ließ. Wie nun bey nahe die Helffte noch gefan-<lb/> gen ward; alſo brachten Boͤltzig und Tecke/<lb/> zwey Cherusker den Schloß-Hauptmann A-<lb/> ſchenburg in Band und Eiſen fuͤr den Hertzog<lb/> dem ſie den auff ſich ſelbſt gezuͤckten Degen aus-<lb/> gewunden/ und um ihn zu einer groͤſſern Pein<lb/> aufzuheben zu ſterben verwehret hatten. Dieſer<lb/><cb/> fiel gantz verzweiffelt fuͤr dem Hertzog Herrmañ<lb/> und Thußnelden nieder; entweder/ weil er itzt<lb/> allererſt ſeine bey ihrer Herabſtuͤrtzung aus ge-<lb/> uͤbte Grauſamkeit erwog; indem alle Laſter nach<lb/> ihrer Vollbringung nach Art des in die Lufft<lb/> kommenden Stein-Saltzes vielmahl ſchwerer<lb/> im Gewichte werden; oder/ weil er nicht zu be-<lb/> greiffen wuſte: wie dieſe mit ſeiner eigenen Hand<lb/> herab geſtuͤrtzte Fuͤrſtin nicht nur unzerſchmet-<lb/> tert/ ſondern lebendig/ ja gantz geſund ſeyn koͤn-<lb/> te. Er konte zwar fuͤr Schrecken kein Wort<lb/> auffbringen; aber ſeine zitternde Glieder rede-<lb/> ten ſie deutlich genung um Erbarmnuͤs an; biß<lb/> ſeine ſtammelnde Zunge endlich eine Bitte um<lb/> keinen langſamen Tod halb zerbrochen aus-<lb/> ſchuͤttete; ja ſich ſelbſt ſo vielmehr verdammete;<lb/> weil ihm Hertzog Herꝛmann in Rom wegen ei-<lb/> nes Kriegs-Verbrechens das Leben geſchenckt;<lb/> Er auch dieſen Ausſchlag leicht haͤtte vermuthen<lb/> koͤnnen; weil die Gerechtigkeit der Waffen auf<lb/> Seiten der groͤſten Tapfferkeit der Welt mit<lb/> dieſem Uberwuͤnder geſtanden waͤre. Hertzog<lb/> Herrmann antwortete ihm mit einer ernſthaff-<lb/> ten Gebehrdung: wer das vergangene vergiſt/<lb/> das gegenwaͤrtige nicht wahrnimmt/ das kuͤnff-<lb/> tige verachtet/ iſt des Lebens nicht werth. Denn<lb/> der weiß nur zu leben/ der aller dreyer Zeiten<lb/> Genuͤß durch Erinnerung geſchehener/ durch<lb/> tugendhaffte Anwehrung gegenwaͤrtiger/ und<lb/> kluge Vorſehung kuͤnfftiger Dinge nicht ver-<lb/> abſaͤumet. Der aber verdient nicht einſt die<lb/> Ruhe des Todes zu genuͤſſen/ der der Unſchuld<lb/> Leben bitterer macht/ als der Tod an ſich ſelbſt<lb/> iſt. Und daher ſolſtu nicht leben/ noch auch ſter-<lb/> ben; ſondern die Wermuth von beyden auff<lb/> einmahl ſchmecken. Die mitleidende Thuß-<lb/> nelde ſagte zwar kein Wort/ ihr einiger Anblick<lb/> aber war ein ſo beredſames Stillſchweigen/ und<lb/> hatte in ſich eine ſo lebhaffte Vorbitte: daß er<lb/> ihr die Willkuͤhr uͤber ſein Leben und Tod ent-<lb/> raͤumete. Welche denn hierauff ſich erklaͤrte:<lb/> Sie wolte ihm die voͤllige Freyheit ſchencken;<lb/> <fw place="bottom" type="catch">weil</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [1308[1310]/1374]
Achtes Buch
gleichſam ſchwebende halten. Er ſelbſt aber ſtieg
oder flog vielmehr die Leiter hinauff/ und hob
Thußnelden darauf/ welcher Haͤnde ſchon gantz
verſchwartzt/ und kaum wenig Augenblicke ſich
mehr zu erhalten geſchickt waren. An ſtatt der
nunmehr entbundenen Haͤnde/ erſtarrten alle
ihre Glieder/ als ſie ihren liebſten Hertzog Herꝛ-
mann fuͤr ſich ſah/ und ihn abermahls fuͤr ihren
Erloͤſer erkennete. Ja auch ihre Zunge war
unbeweglich; nur die Augen zeigten ihre Leb-
hafftigkeit mit denen daraus fallenden Thraͤnen
an. Hertzog Herꝛmann ſelbſt konte entweder
fuͤr Mitleiden/ oder fuͤr Freuden ſich derſelben
nicht maͤßigen; und gab darmit an Tag: daß
die Augen der Helden nichts weniger in ſich
Waſſer der Empfindligkeit/ als Felſen Quelle
haben. So bald ſie nun beyde von dieſer gleich-
ſam in der Lufft haͤngenden Leiter auf die feſte
Erde ſich begeben hatten/ umarmete der gleich-
ſam auffs neue lebendige Herrmañ ſeine Thuß-
nelde/ welche ihn aber erinnerte: daß ſelbige
Zeit unauffſchieblichere Dinge zu eroͤrtern haͤt-
te. Wie dieſer nun: worinnen ſolche beſtuͤnden/
fragte; antwortete ſie: daß er in dem eroberten
Schloſſe der beſorglichen Blutſtuͤrtzung ein
Ende machte. Denn ob zwar die Belaͤgerten
ihn beleidiget haͤtten/ baͤte ſie doch zu erwegen:
daß dieſe Beleidigung ein Gehorſam gegen ih-
ren Fuͤrſten; und ſie alle ihre Landes-Leute waͤ-
ren. Hertzog Herrmann eilte hiermit geraden
Weges in das von Blut allenthalben beſpruͤtzte
Schloß; welchem denn Thußnelde ſelbſt auff
der Ferſen folgte/ und durch ihre Vorbitte zu
wege brachte: daß der Hertzog niemanden mehr
zu toͤdten/ alſofort ein Kriegs Zeichen geben
ließ. Wie nun bey nahe die Helffte noch gefan-
gen ward; alſo brachten Boͤltzig und Tecke/
zwey Cherusker den Schloß-Hauptmann A-
ſchenburg in Band und Eiſen fuͤr den Hertzog
dem ſie den auff ſich ſelbſt gezuͤckten Degen aus-
gewunden/ und um ihn zu einer groͤſſern Pein
aufzuheben zu ſterben verwehret hatten. Dieſer
fiel gantz verzweiffelt fuͤr dem Hertzog Herrmañ
und Thußnelden nieder; entweder/ weil er itzt
allererſt ſeine bey ihrer Herabſtuͤrtzung aus ge-
uͤbte Grauſamkeit erwog; indem alle Laſter nach
ihrer Vollbringung nach Art des in die Lufft
kommenden Stein-Saltzes vielmahl ſchwerer
im Gewichte werden; oder/ weil er nicht zu be-
greiffen wuſte: wie dieſe mit ſeiner eigenen Hand
herab geſtuͤrtzte Fuͤrſtin nicht nur unzerſchmet-
tert/ ſondern lebendig/ ja gantz geſund ſeyn koͤn-
te. Er konte zwar fuͤr Schrecken kein Wort
auffbringen; aber ſeine zitternde Glieder rede-
ten ſie deutlich genung um Erbarmnuͤs an; biß
ſeine ſtammelnde Zunge endlich eine Bitte um
keinen langſamen Tod halb zerbrochen aus-
ſchuͤttete; ja ſich ſelbſt ſo vielmehr verdammete;
weil ihm Hertzog Herꝛmann in Rom wegen ei-
nes Kriegs-Verbrechens das Leben geſchenckt;
Er auch dieſen Ausſchlag leicht haͤtte vermuthen
koͤnnen; weil die Gerechtigkeit der Waffen auf
Seiten der groͤſten Tapfferkeit der Welt mit
dieſem Uberwuͤnder geſtanden waͤre. Hertzog
Herrmann antwortete ihm mit einer ernſthaff-
ten Gebehrdung: wer das vergangene vergiſt/
das gegenwaͤrtige nicht wahrnimmt/ das kuͤnff-
tige verachtet/ iſt des Lebens nicht werth. Denn
der weiß nur zu leben/ der aller dreyer Zeiten
Genuͤß durch Erinnerung geſchehener/ durch
tugendhaffte Anwehrung gegenwaͤrtiger/ und
kluge Vorſehung kuͤnfftiger Dinge nicht ver-
abſaͤumet. Der aber verdient nicht einſt die
Ruhe des Todes zu genuͤſſen/ der der Unſchuld
Leben bitterer macht/ als der Tod an ſich ſelbſt
iſt. Und daher ſolſtu nicht leben/ noch auch ſter-
ben; ſondern die Wermuth von beyden auff
einmahl ſchmecken. Die mitleidende Thuß-
nelde ſagte zwar kein Wort/ ihr einiger Anblick
aber war ein ſo beredſames Stillſchweigen/ und
hatte in ſich eine ſo lebhaffte Vorbitte: daß er
ihr die Willkuͤhr uͤber ſein Leben und Tod ent-
raͤumete. Welche denn hierauff ſich erklaͤrte:
Sie wolte ihm die voͤllige Freyheit ſchencken;
weil
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1374 |
Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1308[1310]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1374>, abgerufen am 17.07.2024. |