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Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.

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Achtes Buch
[Spaltenumbruch] ren; daher ihre Tochter die Hoffnung als eine
grosse Verfälscherin der Wahrheit von der
Keuschheit wol müste gemäßiget werden. Diese
aber schien zu ihrer Ausübung Zeit zu bedürf-
fen. Denn durch dieser ihre langsamen Um-
schweiffe kommt ein Vorsichtiger zu dem Mittel-
Puncte einer erwünschten Gelegenheit; und
auff dem langsamen Maul-Esel der Gedult
weiter/ als mit dem Renn-Thiere einer gähen
Entschlüssung. Diesemnach er denn auff den
Morgen die Gesandten bedeuten ließ: weil er
nur auf eine zweytagichte Lust in diesen Garten
kommen wäre; wolte er sie in seinem Königli-
chen Sitze hören; und noch selbigen Tag dahin
aufbrechen; sie aber könten nach ihrer guten
Gemächligkeit vor- oder nach reisen. Er ver-
schaffte auch: daß auff ihren Befehl allerhand
Vorgespan und Vorschub bey der Hand seyn/
sie auch unter Weges wol unterhalten werden
solten. Als die Cattische Hertzogin den so schleu-
nigen Aufbruch vernahm/ verlangte sie beym
Segesthes vorhero eine Unterredung. Dieser
entschuldigte es auffs höflichste durch den Vor-
wand: Er wäre itzt nicht so wol als ein Hertzog
der Chaßuarier/ sondern als ein Gesandter des
Kaysers dar; also müste er wegen der zwischen
den Römern und Catten schwebender Mißhel-
ligkeiten auch den Schatten aller verdächtigen
Gemeinschafft von sich entfernen. Erdmuth
verbieß diese schimpfliche Abweisung/ und er-
suchte ihn um der unter ihrem Schirm dahin
gebrachten Fürstin Thußnelde Ausfolgung.
Segesthes ließ ihr hönisch zu entbieten: Wie
viel ihre angemaste Gewalt für der väterlichen
einen Vorzug/ und ob die Catten auch in dem
Gebiete der Marckmänner zu befehlen hätten?
Die um Thußnelden und den Hertzog Herr-
mann bekümmerte Hertzogin nahm zum Köni-
ge Marbod hiermit ihre Zuflucht; und weil er
ihr und ihrer gantzen Gesellschafft nicht nur ein
sicher Geleite ertheilet/ sondern auch vollkom-
menen Schutz in seinen Ländern versprochen
[Spaltenumbruch] hätte; möchte er die vom Segesthes eigenmäch-
tig geschehene Entwehrung Thußneldens
durch dieser ihrer so werthen Base Befreyung
wieder ergäntzen. Marbod hingegen schützte
hierwieder für: Alles/ was in der Gesandten
Häuser käme/ oder seine Zuflucht dahin nehme/
wäre nichts minder/ als sie selbst und ihre Ge-
färthen heilig und unversehrlich; also: daß auch
die ärgsten Missethäter mit Gewalt aus solcher
Verwahrung nicht gezogen werden könten; in
dem ieder Gesandte seines Fürsten Antlitz/ sein
Hauß seines Königs Hof fürbildete; und durch
die einmahl beliebte Annehmung der Botschaft
ausser dem Gerichts-zwange desselben Fürsten/
zu dem die Gesandtschafft käme/ gleichsam
durch eine still sch weigende Handlung Vermö-
ge des Völcker-Rechts gezogen würde. Ja
wenn er auch kein Gesandter wäre/ könte mit
Fugkein Mensch ihm seine eigene Tochter
entwehren; als über welcher Leben und Todt
nichts minder die Deutschen/ als die Perser
und Römer unverschrenckte Gewalt/ und in
ihren Häusern das peinliche Recht zu hegen
Macht hätten. Jnsonderheit aber wären die
Väter bey denen Ebreern und andern Völ-
ckern der Kinder Gelübde zu zernichten befugt.
Hingegen hätte die Fürstin Erdmuth zu seiner
flüchtigen Tochter keinen rechtmäßigen An-
spruch; sondern sie zielte nur sie demselben in die
Hände zu spielen; welchen er zu seinem Eyda-
me nimmermehr belieben; sondern ihr vielmehr
die Kehle selbsthändig abschneiden würde. Die
Cattische Herzogin führte hier wieder zwar aus:
daß Thußnelde weder eine Gefärthin der Ge-
sandtschafft wäre/ noch sich dahin geflüchtet hät-
te; wiewol auch derselben Häuser sonder aus-
drücklicher Abrede keine Freystädte den Flüch-
tigen abgeben könten. Segestes hätte durch
Gewalt-That Thußneldens sich bemächtigt;
daher könte sie auch mit Gewalt ihm genommen
werden. Denn der sonst unversehrlichen Ge-
sandten Thätligkeit könte man durch Beschütz-

und

Achtes Buch
[Spaltenumbruch] ren; daher ihre Tochter die Hoffnung als eine
groſſe Verfaͤlſcherin der Wahrheit von der
Keuſchheit wol muͤſte gemaͤßiget werden. Dieſe
aber ſchien zu ihrer Ausuͤbung Zeit zu beduͤrf-
fen. Denn durch dieſer ihre langſamen Um-
ſchweiffe kom̃t ein Vorſichtiger zu dem Mittel-
Puncte einer erwuͤnſchten Gelegenheit; und
auff dem langſamen Maul-Eſel der Gedult
weiter/ als mit dem Renn-Thiere einer gaͤhen
Entſchluͤſſung. Dieſemnach er denn auff den
Morgen die Geſandten bedeuten ließ: weil er
nur auf eine zweytagichte Luſt in dieſen Garten
kommen waͤre; wolte er ſie in ſeinem Koͤnigli-
chen Sitze hoͤren; und noch ſelbigen Tag dahin
aufbrechen; ſie aber koͤnten nach ihrer guten
Gemaͤchligkeit vor- oder nach reiſen. Er ver-
ſchaffte auch: daß auff ihren Befehl allerhand
Vorgeſpan und Vorſchub bey der Hand ſeyn/
ſie auch unter Weges wol unterhalten werden
ſolten. Als die Cattiſche Hertzogin den ſo ſchleu-
nigen Aufbruch vernahm/ verlangte ſie beym
Segeſthes vorhero eine Unterredung. Dieſer
entſchuldigte es auffs hoͤflichſte durch den Vor-
wand: Er waͤre itzt nicht ſo wol als ein Hertzog
der Chaßuarier/ ſondern als ein Geſandter des
Kayſers dar; alſo muͤſte er wegen der zwiſchen
den Roͤmern und Catten ſchwebender Mißhel-
ligkeiten auch den Schatten aller verdaͤchtigen
Gemeinſchafft von ſich entfernen. Erdmuth
verbieß dieſe ſchimpfliche Abweiſung/ und er-
ſuchte ihn um der unter ihrem Schirm dahin
gebrachten Fuͤrſtin Thußnelde Ausfolgung.
Segeſthes ließ ihr hoͤniſch zu entbieten: Wie
viel ihre angemaſte Gewalt fuͤr der vaͤterlichen
einen Vorzug/ und ob die Catten auch in dem
Gebiete der Marckmaͤnner zu befehlen haͤtten?
Die um Thußnelden und den Hertzog Herr-
mann bekuͤmmerte Hertzogin nahm zum Koͤni-
ge Marbod hiermit ihre Zuflucht; und weil er
ihr und ihrer gantzen Geſellſchafft nicht nur ein
ſicher Geleite ertheilet/ ſondern auch vollkom-
menen Schutz in ſeinen Laͤndern verſprochen
[Spaltenumbruch] haͤtte; moͤchte er die vom Segeſthes eigenmaͤch-
tig geſchehene Entwehrung Thußneldens
durch dieſer ihrer ſo werthen Baſe Befreyung
wieder ergaͤntzen. Marbod hingegen ſchuͤtzte
hierwieder fuͤr: Alles/ was in der Geſandten
Haͤuſer kaͤme/ oder ſeine Zuflucht dahin nehme/
waͤre nichts minder/ als ſie ſelbſt und ihre Ge-
faͤrthen heilig und unverſehrlich; alſo: daß auch
die aͤrgſten Miſſethaͤter mit Gewalt aus ſolcher
Verwahrung nicht gezogen werden koͤnten; in
dem ieder Geſandte ſeines Fuͤrſten Antlitz/ ſein
Hauß ſeines Koͤnigs Hof fuͤrbildete; und durch
die einmahl beliebte Annehmung der Botſchaft
auſſer dem Gerichts-zwange deſſelben Fuͤrſten/
zu dem die Geſandtſchafft kaͤme/ gleichſam
durch eine ſtill ſch weigende Handlung Vermoͤ-
ge des Voͤlcker-Rechts gezogen wuͤrde. Ja
wenn er auch kein Geſandter waͤre/ koͤnte mit
Fugkein Menſch ihm ſeine eigene Tochter
entwehren; als uͤber welcher Leben und Todt
nichts minder die Deutſchen/ als die Perſer
und Roͤmer unverſchrenckte Gewalt/ und in
ihren Haͤuſern das peinliche Recht zu hegen
Macht haͤtten. Jnſonderheit aber waͤren die
Vaͤter bey denen Ebreern und andern Voͤl-
ckern der Kinder Geluͤbde zu zernichten befugt.
Hingegen haͤtte die Fuͤrſtin Erdmuth zu ſeiner
fluͤchtigen Tochter keinen rechtmaͤßigen An-
ſpruch; ſondern ſie zielte nur ſie demſelben in die
Haͤnde zu ſpielen; welchen er zu ſeinem Eyda-
me nimmermehr belieben; ſondern ihr vielmehr
die Kehle ſelbſthaͤndig abſchneiden wuͤrde. Die
Cattiſche Herzogin fuͤhrte hier wieder zwar aus:
daß Thußnelde weder eine Gefaͤrthin der Ge-
ſandtſchafft waͤre/ noch ſich dahin gefluͤchtet haͤt-
te; wiewol auch derſelben Haͤuſer ſonder aus-
druͤcklicher Abrede keine Freyſtaͤdte den Fluͤch-
tigen abgeben koͤnten. Segeſtes haͤtte durch
Gewalt-That Thußneldens ſich bemaͤchtigt;
daher koͤnte ſie auch mit Gewalt ihm genommen
werden. Denn der ſonſt unverſehrlichen Ge-
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[1280[1282]/1346] Achtes Buch ren; daher ihre Tochter die Hoffnung als eine groſſe Verfaͤlſcherin der Wahrheit von der Keuſchheit wol muͤſte gemaͤßiget werden. Dieſe aber ſchien zu ihrer Ausuͤbung Zeit zu beduͤrf- fen. Denn durch dieſer ihre langſamen Um- ſchweiffe kom̃t ein Vorſichtiger zu dem Mittel- Puncte einer erwuͤnſchten Gelegenheit; und auff dem langſamen Maul-Eſel der Gedult weiter/ als mit dem Renn-Thiere einer gaͤhen Entſchluͤſſung. Dieſemnach er denn auff den Morgen die Geſandten bedeuten ließ: weil er nur auf eine zweytagichte Luſt in dieſen Garten kommen waͤre; wolte er ſie in ſeinem Koͤnigli- chen Sitze hoͤren; und noch ſelbigen Tag dahin aufbrechen; ſie aber koͤnten nach ihrer guten Gemaͤchligkeit vor- oder nach reiſen. Er ver- ſchaffte auch: daß auff ihren Befehl allerhand Vorgeſpan und Vorſchub bey der Hand ſeyn/ ſie auch unter Weges wol unterhalten werden ſolten. Als die Cattiſche Hertzogin den ſo ſchleu- nigen Aufbruch vernahm/ verlangte ſie beym Segeſthes vorhero eine Unterredung. Dieſer entſchuldigte es auffs hoͤflichſte durch den Vor- wand: Er waͤre itzt nicht ſo wol als ein Hertzog der Chaßuarier/ ſondern als ein Geſandter des Kayſers dar; alſo muͤſte er wegen der zwiſchen den Roͤmern und Catten ſchwebender Mißhel- ligkeiten auch den Schatten aller verdaͤchtigen Gemeinſchafft von ſich entfernen. Erdmuth verbieß dieſe ſchimpfliche Abweiſung/ und er- ſuchte ihn um der unter ihrem Schirm dahin gebrachten Fuͤrſtin Thußnelde Ausfolgung. Segeſthes ließ ihr hoͤniſch zu entbieten: Wie viel ihre angemaſte Gewalt fuͤr der vaͤterlichen einen Vorzug/ und ob die Catten auch in dem Gebiete der Marckmaͤnner zu befehlen haͤtten? Die um Thußnelden und den Hertzog Herr- mann bekuͤmmerte Hertzogin nahm zum Koͤni- ge Marbod hiermit ihre Zuflucht; und weil er ihr und ihrer gantzen Geſellſchafft nicht nur ein ſicher Geleite ertheilet/ ſondern auch vollkom- menen Schutz in ſeinen Laͤndern verſprochen haͤtte; moͤchte er die vom Segeſthes eigenmaͤch- tig geſchehene Entwehrung Thußneldens durch dieſer ihrer ſo werthen Baſe Befreyung wieder ergaͤntzen. Marbod hingegen ſchuͤtzte hierwieder fuͤr: Alles/ was in der Geſandten Haͤuſer kaͤme/ oder ſeine Zuflucht dahin nehme/ waͤre nichts minder/ als ſie ſelbſt und ihre Ge- faͤrthen heilig und unverſehrlich; alſo: daß auch die aͤrgſten Miſſethaͤter mit Gewalt aus ſolcher Verwahrung nicht gezogen werden koͤnten; in dem ieder Geſandte ſeines Fuͤrſten Antlitz/ ſein Hauß ſeines Koͤnigs Hof fuͤrbildete; und durch die einmahl beliebte Annehmung der Botſchaft auſſer dem Gerichts-zwange deſſelben Fuͤrſten/ zu dem die Geſandtſchafft kaͤme/ gleichſam durch eine ſtill ſch weigende Handlung Vermoͤ- ge des Voͤlcker-Rechts gezogen wuͤrde. Ja wenn er auch kein Geſandter waͤre/ koͤnte mit Fugkein Menſch ihm ſeine eigene Tochter entwehren; als uͤber welcher Leben und Todt nichts minder die Deutſchen/ als die Perſer und Roͤmer unverſchrenckte Gewalt/ und in ihren Haͤuſern das peinliche Recht zu hegen Macht haͤtten. Jnſonderheit aber waͤren die Vaͤter bey denen Ebreern und andern Voͤl- ckern der Kinder Geluͤbde zu zernichten befugt. Hingegen haͤtte die Fuͤrſtin Erdmuth zu ſeiner fluͤchtigen Tochter keinen rechtmaͤßigen An- ſpruch; ſondern ſie zielte nur ſie demſelben in die Haͤnde zu ſpielen; welchen er zu ſeinem Eyda- me nimmermehr belieben; ſondern ihr vielmehr die Kehle ſelbſthaͤndig abſchneiden wuͤrde. Die Cattiſche Herzogin fuͤhrte hier wieder zwar aus: daß Thußnelde weder eine Gefaͤrthin der Ge- ſandtſchafft waͤre/ noch ſich dahin gefluͤchtet haͤt- te; wiewol auch derſelben Haͤuſer ſonder aus- druͤcklicher Abrede keine Freyſtaͤdte den Fluͤch- tigen abgeben koͤnten. Segeſtes haͤtte durch Gewalt-That Thußneldens ſich bemaͤchtigt; daher koͤnte ſie auch mit Gewalt ihm genommen werden. Denn der ſonſt unverſehrlichen Ge- ſandten Thaͤtligkeit koͤnte man durch Beſchuͤtz- und

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Zitationshilfe: Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1280[1282]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1346>, abgerufen am 23.11.2024.