Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Erstes Buch [Spaltenumbruch]
welche bey gemeinen Verwirrungen sich etwaszu entschlüssen kein Hertze hätten/ würden durch so grausame Barmhertzigkeit zu schädlicher Nachfolge verleitet/ die Unschuld aber schüchtern gemacht/ welcher ohnediß stets mehr Gefahr als Ehre zuhinge; da hingegen die Boßhaften noch mit ihren Ubelthaten wucherten. Wenn nun Segesthes das Kauff-Geld/ das ihm die Römer für der Deutschen Freyheit gegeben/ behielte/ die Deutschen aber seine Verrätherey nicht straff- ten/ wer wolte nicht glauben/ daß die Vergeltung numehr der Boßheit/ die Schande der Tugend gewiedmet wäre; oder/ daß Segesthes diese nicht unbillich verhandelt hätte/ welche über ihrer Dienstbarkeit so unempfindlich wären. Wie viel rühmlicher wäre es ihnen/ wenn die Vor- Eltern ihre Freyheit mit so viel Blute nicht be- hauptet hätten; weil es ja schimpflicher wäre/ das erworbene verlieren/ als es gar nicht erwer- ben! Was würde in Deutschland mehr heilig bleiben/ nun das Vater-Land zu feilem Kauffe ginge? Zu was würde Recht und Richter mehr nütze seyn/ nun die Verrätherey unsträfflich wä- re? Zu was Ende kämpften sie umb das Joch der Herrschafft abzulehnen/ wenn Segesthes thun möchte/ was er wolte? Denn dis wäre das euserste der Königlichen Gewalt. Würde man nun am Segesthes ein Bey-Spiel der Rache üben/ würden sich alle/ die was Böses im Schilde führten/ wie das kleine Gepüsche bey einem grossen Zeder-Falle erschüttern/ die Redlichen aber von der empor wachsenden Boßheit nicht gedämpft werden. Es wäre viel schädlicher/ die Laster ungestrafft/ als die Tugend unbelohnet lassen. Denn die Gutten würden dadurch nur träger/ die Bösen aber verwegener und schlim- mer. Die meisten Anwesenden billigten diese Meynung durch ein helles Begehren: Man solte denen Gesetzen ihre Krafft/ dem Rechte sei- nen Lauff/ und der Straffe ihr Maaß lassen. Ja das Volck bezeigte mit seinen Ungeberden gleichsam seine Ungedult über der allzulangsa- [Spaltenumbruch] men Rache. Gleichwol erholte sich Hertzog Herrmann/ drehete sich gegen dem obersten Prie- ster/ als welcher ihm hierinnen am meisten zu statten kommen konte/ meldende: Diese Opfer könten mit einheimischem Blute nicht besudelt werden/ nach dem die Sitten des Vaterlandes nur frembdes Blut heischten. Alleine wie grosses Ansehen er bey iedermann hatte/ so war doch dieser Fürwand die erbitterten Gemüther zu beruhigen allzuohnmächtig. Denn Hertzog Ganasch hielt entgegen: Es foderten die Gesetze nicht allein Straffe über die Beleidiger; sondern es solte der Feldherr sich nur sines eigenen Ge- lübdes erinnern/ wie er an diesem heiligen Orte den Göttern bey aufgehendem Monden ange- lobt/ alle die er gefangen bekommen würde/ auf- zuopfern. Ja/ antwortete der Feldherr: Aber Segesthes ist nicht in meine/ sondern in seiner eigenen Tochter Hände verfallen/ welche für das Vaterland mit mehr als männlicher Tapferkeit ihr Blut aufgesetzet/ durch ihren glücklichen An- fang dem gantzen Heere die unzweifelbare Hoff- nung eines herrlichen Sieges eingebildet/ und dahero zweyfaches Hertze gemacht. Denn der erste Ausschlag gebiehret entweder verzagte Furcht/ oder vermässene Zuversicht. Mit nicht minderm Ruhm hat Fürst Sigesmund seine Liebe zum Vaterlande bezeugt/ und mit seinem Blut die Flecken der väterlichen Schuld abge- waschen. Uber dis haben Sylla und andere Wüteriche denen Verstorbenen zu Ehren ehe- mals denen undanckbarsten und schuldigsten Missethätern die verdienten Straffen enthan- gen. Segesthes ward nebst denen zweyen ge- fangenen Fürsten Armeniens und Thraciens auf einem Wagen gleich herzu geführt/ als der Feldherr für den ersten derogestalt redete. Se- gesthes ward hierüber nicht wenig beschämt; fiel ihm dahero in die Rede: Er hätte diese Verthei- digung weder umb den Feldherrn/ noch seine Begnadigung umbs Vaterland verdienet. Er erkenne die Grösse seines Verbrechens erst nach voll-
Erſtes Buch [Spaltenumbruch]
welche bey gemeinen Verwirrungen ſich etwaszu entſchluͤſſen kein Hertze haͤtten/ wuͤrden durch ſo grauſame Barmhertzigkeit zu ſchaͤdlicher Nachfolge verleitet/ die Unſchuld aber ſchuͤchtern gemacht/ welcher ohnediß ſtets mehr Gefahr als Ehre zuhinge; da hingegen die Boßhaften noch mit ihren Ubelthaten wucherten. Wenn nun Segeſthes das Kauff-Geld/ das ihm die Roͤmer fuͤr der Deutſchen Freyheit gegeben/ behielte/ die Deutſchen aber ſeine Verraͤtherey nicht ſtraff- ten/ wer wolte nicht glauben/ daß die Vergeltung numehr der Boßheit/ die Schande der Tugend gewiedmet waͤre; oder/ daß Segeſthes dieſe nicht unbillich verhandelt haͤtte/ welche uͤber ihrer Dienſtbarkeit ſo unempfindlich waͤren. Wie viel ruͤhmlicher waͤre es ihnen/ wenn die Vor- Eltern ihre Freyheit mit ſo viel Blute nicht be- hauptet haͤtten; weil es ja ſchimpflicher waͤre/ das erworbene verlieren/ als es gar nicht erwer- ben! Was wuͤrde in Deutſchland mehr heilig bleiben/ nun das Vater-Land zu feilem Kauffe ginge? Zu was wuͤrde Recht und Richter mehr nuͤtze ſeyn/ nun die Verraͤtherey unſtraͤfflich waͤ- re? Zu was Ende kaͤmpften ſie umb das Joch der Herrſchafft abzulehnen/ wenn Segeſthes thun moͤchte/ was er wolte? Denn dis waͤre das euſerſte der Koͤniglichen Gewalt. Wuͤrde man nun am Segeſthes ein Bey-Spiel der Rache uͤben/ wuͤrden ſich alle/ die was Boͤſes im Schilde fuͤhrten/ wie das kleine Gepuͤſche bey einem groſſen Zeder-Falle erſchuͤttern/ die Redlichen aber von der empor wachſenden Boßheit nicht gedaͤmpft werden. Es waͤre viel ſchaͤdlicher/ die Laſter ungeſtrafft/ als die Tugend unbelohnet laſſen. Denn die Gutten wuͤrden dadurch nur traͤger/ die Boͤſen aber verwegener und ſchlim- mer. Die meiſten Anweſenden billigten dieſe Meynung durch ein helles Begehren: Man ſolte denen Geſetzen ihre Krafft/ dem Rechte ſei- nen Lauff/ und der Straffe ihr Maaß laſſen. Ja das Volck bezeigte mit ſeinen Ungeberden gleichſam ſeine Ungedult uͤber der allzulangſa- [Spaltenumbruch] men Rache. Gleichwol erholte ſich Hertzog Herrmann/ drehete ſich gegen dem oberſten Prie- ſter/ als welcher ihm hierinnen am meiſten zu ſtatten kommen konte/ meldende: Dieſe Opfer koͤnten mit einheimiſchem Blute nicht beſudelt werden/ nach dem die Sitten des Vaterlandes nur frembdes Blut heiſchten. Alleine wie groſſes Anſehen er bey iedermann hatte/ ſo war doch dieſer Fuͤrwand die erbitterten Gemuͤther zu beruhigen allzuohnmaͤchtig. Denn Hertzog Ganaſch hielt entgegen: Es foderten die Geſetze nicht allein Straffe uͤber die Beleidiger; ſondern es ſolte der Feldherr ſich nur ſines eigenen Ge- luͤbdes erinnern/ wie er an dieſem heiligen Orte den Goͤttern bey aufgehendem Monden ange- lobt/ alle die er gefangen bekommen wuͤrde/ auf- zuopfern. Ja/ antwortete der Feldherr: Aber Segeſthes iſt nicht in meine/ ſondern in ſeiner eigenen Tochter Haͤnde verfallen/ welche fuͤr das Vaterland mit mehr als maͤnnlicher Tapferkeit ihr Blut aufgeſetzet/ durch ihren gluͤcklichen An- fang dem gantzen Heere die unzweifelbare Hoff- nung eines herrlichen Sieges eingebildet/ und dahero zweyfaches Hertze gemacht. Denn der erſte Ausſchlag gebiehret entweder verzagte Furcht/ oder vermaͤſſene Zuverſicht. Mit nicht minderm Ruhm hat Fuͤrſt Sigesmund ſeine Liebe zum Vaterlande bezeugt/ und mit ſeinem Blut die Flecken der vaͤterlichen Schuld abge- waſchen. Uber dis haben Sylla und andere Wuͤteriche denen Verſtorbenen zu Ehren ehe- mals denen undanckbarſten und ſchuldigſten Miſſethaͤtern die verdienten Straffen enthan- gen. Segeſthes ward nebſt denen zweyen ge- fangenen Fuͤrſten Armeniens und Thraciens auf einem Wagen gleich herzu gefuͤhrt/ als der Feldherr fuͤr den erſten derogeſtalt redete. Se- geſthes ward hieruͤber nicht wenig beſchaͤmt; fiel ihm dahero in die Rede: Er haͤtte dieſe Verthei- digung weder umb den Feldherrn/ noch ſeine Begnadigung umbs Vaterland verdienet. Er erkenne die Groͤſſe ſeines Verbrechens erſt nach voll-
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Erſtes Buch
welche bey gemeinen Verwirrungen ſich etwas
zu entſchluͤſſen kein Hertze haͤtten/ wuͤrden durch
ſo grauſame Barmhertzigkeit zu ſchaͤdlicher
Nachfolge verleitet/ die Unſchuld aber ſchuͤchtern
gemacht/ welcher ohnediß ſtets mehr Gefahr als
Ehre zuhinge; da hingegen die Boßhaften noch
mit ihren Ubelthaten wucherten. Wenn nun
Segeſthes das Kauff-Geld/ das ihm die Roͤmer
fuͤr der Deutſchen Freyheit gegeben/ behielte/ die
Deutſchen aber ſeine Verraͤtherey nicht ſtraff-
ten/ wer wolte nicht glauben/ daß die Vergeltung
numehr der Boßheit/ die Schande der Tugend
gewiedmet waͤre; oder/ daß Segeſthes dieſe nicht
unbillich verhandelt haͤtte/ welche uͤber ihrer
Dienſtbarkeit ſo unempfindlich waͤren. Wie
viel ruͤhmlicher waͤre es ihnen/ wenn die Vor-
Eltern ihre Freyheit mit ſo viel Blute nicht be-
hauptet haͤtten; weil es ja ſchimpflicher waͤre/
das erworbene verlieren/ als es gar nicht erwer-
ben! Was wuͤrde in Deutſchland mehr heilig
bleiben/ nun das Vater-Land zu feilem Kauffe
ginge? Zu was wuͤrde Recht und Richter mehr
nuͤtze ſeyn/ nun die Verraͤtherey unſtraͤfflich waͤ-
re? Zu was Ende kaͤmpften ſie umb das Joch
der Herrſchafft abzulehnen/ wenn Segeſthes
thun moͤchte/ was er wolte? Denn dis waͤre das
euſerſte der Koͤniglichen Gewalt. Wuͤrde man
nun am Segeſthes ein Bey-Spiel der Rache
uͤben/ wuͤrden ſich alle/ die was Boͤſes im Schilde
fuͤhrten/ wie das kleine Gepuͤſche bey einem
groſſen Zeder-Falle erſchuͤttern/ die Redlichen
aber von der empor wachſenden Boßheit nicht
gedaͤmpft werden. Es waͤre viel ſchaͤdlicher/
die Laſter ungeſtrafft/ als die Tugend unbelohnet
laſſen. Denn die Gutten wuͤrden dadurch nur
traͤger/ die Boͤſen aber verwegener und ſchlim-
mer. Die meiſten Anweſenden billigten dieſe
Meynung durch ein helles Begehren: Man
ſolte denen Geſetzen ihre Krafft/ dem Rechte ſei-
nen Lauff/ und der Straffe ihr Maaß laſſen.
Ja das Volck bezeigte mit ſeinen Ungeberden
gleichſam ſeine Ungedult uͤber der allzulangſa-
men Rache. Gleichwol erholte ſich Hertzog
Herrmann/ drehete ſich gegen dem oberſten Prie-
ſter/ als welcher ihm hierinnen am meiſten zu
ſtatten kommen konte/ meldende: Dieſe Opfer
koͤnten mit einheimiſchem Blute nicht beſudelt
werden/ nach dem die Sitten des Vaterlandes
nur frembdes Blut heiſchten. Alleine wie
groſſes Anſehen er bey iedermann hatte/ ſo war
doch dieſer Fuͤrwand die erbitterten Gemuͤther
zu beruhigen allzuohnmaͤchtig. Denn Hertzog
Ganaſch hielt entgegen: Es foderten die Geſetze
nicht allein Straffe uͤber die Beleidiger; ſondern
es ſolte der Feldherr ſich nur ſines eigenen Ge-
luͤbdes erinnern/ wie er an dieſem heiligen Orte
den Goͤttern bey aufgehendem Monden ange-
lobt/ alle die er gefangen bekommen wuͤrde/ auf-
zuopfern. Ja/ antwortete der Feldherr: Aber
Segeſthes iſt nicht in meine/ ſondern in ſeiner
eigenen Tochter Haͤnde verfallen/ welche fuͤr das
Vaterland mit mehr als maͤnnlicher Tapferkeit
ihr Blut aufgeſetzet/ durch ihren gluͤcklichen An-
fang dem gantzen Heere die unzweifelbare Hoff-
nung eines herrlichen Sieges eingebildet/ und
dahero zweyfaches Hertze gemacht. Denn der
erſte Ausſchlag gebiehret entweder verzagte
Furcht/ oder vermaͤſſene Zuverſicht. Mit nicht
minderm Ruhm hat Fuͤrſt Sigesmund ſeine
Liebe zum Vaterlande bezeugt/ und mit ſeinem
Blut die Flecken der vaͤterlichen Schuld abge-
waſchen. Uber dis haben Sylla und andere
Wuͤteriche denen Verſtorbenen zu Ehren ehe-
mals denen undanckbarſten und ſchuldigſten
Miſſethaͤtern die verdienten Straffen enthan-
gen. Segeſthes ward nebſt denen zweyen ge-
fangenen Fuͤrſten Armeniens und Thraciens
auf einem Wagen gleich herzu gefuͤhrt/ als der
Feldherr fuͤr den erſten derogeſtalt redete. Se-
geſthes ward hieruͤber nicht wenig beſchaͤmt; fiel
ihm dahero in die Rede: Er haͤtte dieſe Verthei-
digung weder umb den Feldherrn/ noch ſeine
Begnadigung umbs Vaterland verdienet. Er
erkenne die Groͤſſe ſeines Verbrechens erſt nach
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/122>, abgerufen am 16.07.2024. |