Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
vollbrachter That. Wäre es nach den väterli-chen Rechten zuläßlich/ wolte er hier gerne ein Opfer für das gemeine Heil werden. Denn dem/ welchen sein Gewissen verdammte/ wäre der Tod ein Trost/ das Leben eine unaufhörliche Quaal; Sintemal die Gnade einen Verbre- cher zwar der Straffe/ nicht aber seiner Schan- de entbürden könte. Die Priester erstarreten gleichsam hierüber; und ob zwar der Feldherr für Segesthen das Wort nicht reden wolte/ sahen sie ihm doch unschwer an/ wie sehr ihm seines er- kieseten Schwähers Fall müste zu Hertzen geben. Denn wie die Liebe ein so nachdrückliches Feuer ist/ daß sie stählerne Hertzen erweichet; also läst es sich auch am schwersten verbergen/ und ist un- ter allen Gemüths-Regungen die unvorsichtig- ste. Ganasch nahm diese Unbewegligkeit der Priester für eine Kaltsinnigkeit auf; redete sie daher auffs neue an: Jhnen wäre die Erhaltung der Gesetze/ die Straffe der Laster auff ihre See- le gebunden. Sie solten numehro dem Volcke Recht verhelffen/ und urtheilen: Ob sie den/ wel- cher sich selbst verdammete/ loßsprechen könten? Taugte dieser Missethäter nicht zu einem Schlacht-Opfer/ so wäre dieser heilige Ort doch ihr gewöhnlicher Richt-Platz/ wo über der Edlen Leben erkennet und gesprochen würde. Sie solten erwegen die Eigenschafft des Lasters/ die Beschaffenheit des Verbrechens/ und das den Deutschen hieraus erwachsende Unheil. Grie- chenland könne sich rühmen/ daß Codrus/ umb nur durch seinen Tod das Vaterland zu erhal- ten/ seinen Purpur mit dem Rocke eines Scla- ven verwechselt; der ins Elend verjagte Themi- stocles aber/ womit er dem Xerxes wider sein un- danckbares Vaterland dienen dörfte/ habe von einem dem Jupiter geschlachteten Ochsen das Blut ausgetruncken/ und sich selbst für seine Feinde aufgeopfert. Deutschland aber habe am Segesthes so eine Schlange gebohren/ welche der eigenen Mutter Leib zerfleische. Die Geister seiner ruhmwürdigen Vorfahren/ derer Ge- [Spaltenumbruch] schlechte er mit so schlimmen Thaten beschwärtz- te/ würden in ihren Gräbern beunruhiget wer- den/ da sie nicht durch seine Hinrichtung versöh- net/ ja er seinen so tugendhaften Kindern als ein Greuel aus den Augen gerissen würde. Das Urthel wäre unschwer wider ihn abzufassen/ nach dem das Gesetze in dem benachbarten Hay- ne an so vielen Bäumen angeschrieben stünde/ daran man viel geringere Verräther und Uber- läuffer auffgehenckt sehe. Die Gesetze wären ohne folgende Bestraffung der Ubertreter eine Blendung der Einfalt/ und ein Hohn der Boß- haften. Denn keines hätte eine so kräfftige Güt- te in sich/ diese auff den Weg der Tugend zu lei- ten/ die Guten aber folgten ihr ohne Gesetze. Eine zum Argen geneigte Seele wäre zwar die Mutter/ und brächte die Laster auff die Welt/ der solche nicht hinderte/ hülffe ihr auff die Beine/ aber der Richter/ welcher sie nicht straffte/ krönete sie gar. Libys befand sich hierdurch überwiesen/ und nach dem er weder einen so hoch- verdienten Feldherrn/ welcher die Stiefmütter- lichen Abneigungen des Glücks mit so väterli- cher Liebe gegen das Vaterland ausgegleicht hätte/ betrüben/ noch iemanden die Gerechtigkeit versagen wolte/ zwischen Thür und Angel. Denn nach dem er durch die Wolthat dieses Helden sich und Deutschland allen Bekümmer- nüsses entledigt wuste/ hatte er numehr so viel mehr Kummer um ihm selbst. Hingegen mü- sten alle andere Absehen der Gerechtigkeit aus dem Wege treten; sintemal da schon die Gesetze zu Grunde gingen/ wo Gewalt und Ansehen über sie empor stiege. Bey diesem Bedencken legten gleichwohl/ aus einem besondern Ver- hängnüsse/ die Opfer-Knechte Hand an Segest- hes/ hoben ihn vom Wagen/ und er selbst warte- te nicht so wol mehr auff sein Todes-Urtheil/ als auff was Art selbtes an ihm würde vollzogen werden. Aller Augen waren auff den Libys gerichtet/ welche durch ihr Stillschweigen ihm numehr das Urthel abzunöthigen schienen. Da- K 2
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
vollbrachter That. Waͤre es nach den vaͤterli-chen Rechten zulaͤßlich/ wolte er hier gerne ein Opfer fuͤr das gemeine Heil werden. Denn dem/ welchen ſein Gewiſſen verdammte/ waͤre der Tod ein Troſt/ das Leben eine unaufhoͤrliche Quaal; Sintemal die Gnade einen Verbre- cher zwar der Straffe/ nicht aber ſeiner Schan- de entbuͤrden koͤnte. Die Prieſter erſtarreten gleichſam hieruͤber; und ob zwar der Feldherr fuͤr Segeſthen das Wort nicht reden wolte/ ſahen ſie ihm doch unſchwer an/ wie ſehr ihm ſeines er- kieſeten Schwaͤhers Fall muͤſte zu Hertzen geben. Denn wie die Liebe ein ſo nachdruͤckliches Feuer iſt/ daß ſie ſtaͤhlerne Hertzen erweichet; alſo laͤſt es ſich auch am ſchwerſten verbergen/ und iſt un- ter allen Gemuͤths-Regungen die unvorſichtig- ſte. Ganaſch nahm dieſe Unbewegligkeit der Prieſter fuͤr eine Kaltſinnigkeit auf; redete ſie daher auffs neue an: Jhnen waͤre die Erhaltung der Geſetze/ die Straffe der Laſter auff ihre See- le gebunden. Sie ſolten numehro dem Volcke Recht verhelffen/ und urtheilen: Ob ſie den/ wel- cher ſich ſelbſt verdammete/ loßſprechen koͤnten? Taugte dieſer Miſſethaͤter nicht zu einem Schlacht-Opfer/ ſo waͤre dieſer heilige Ort doch ihr gewoͤhnlicher Richt-Platz/ wo uͤber der Edlen Leben erkennet und geſprochen wuͤrde. Sie ſolten erwegen die Eigenſchafft des Laſters/ die Beſchaffenheit des Verbrechens/ und das den Deutſchen hieraus erwachſende Unheil. Grie- chenland koͤnne ſich ruͤhmen/ daß Codrus/ umb nur durch ſeinen Tod das Vaterland zu erhal- ten/ ſeinen Purpur mit dem Rocke eines Scla- ven verwechſelt; der ins Elend verjagte Themi- ſtocles aber/ womit er dem Xerxes wider ſein un- danckbares Vaterland dienen doͤrfte/ habe von einem dem Jupiter geſchlachteten Ochſen das Blut ausgetruncken/ und ſich ſelbſt fuͤr ſeine Feinde aufgeopfert. Deutſchland aber habe am Segeſthes ſo eine Schlange gebohren/ welche der eigenen Mutter Leib zerfleiſche. Die Geiſter ſeiner ruhmwuͤrdigen Vorfahren/ derer Ge- [Spaltenumbruch] ſchlechte er mit ſo ſchlimmen Thaten beſchwaͤrtz- te/ wuͤrden in ihren Graͤbern beunruhiget wer- den/ da ſie nicht durch ſeine Hinrichtung verſoͤh- net/ ja er ſeinen ſo tugendhaften Kindern als ein Greuel aus den Augen geriſſen wuͤrde. Das Urthel waͤre unſchwer wider ihn abzufaſſen/ nach dem das Geſetze in dem benachbarten Hay- ne an ſo vielen Baͤumen angeſchrieben ſtuͤnde/ daran man viel geringere Verraͤther und Uber- laͤuffer auffgehenckt ſehe. Die Geſetze waͤren ohne folgende Beſtraffung der Ubertreter eine Blendung der Einfalt/ und ein Hohn der Boß- haften. Denn keines haͤtte eine ſo kraͤfftige Guͤt- te in ſich/ dieſe auff den Weg der Tugend zu lei- ten/ die Guten aber folgten ihr ohne Geſetze. Eine zum Argen geneigte Seele waͤre zwar die Mutter/ und braͤchte die Laſter auff die Welt/ der ſolche nicht hinderte/ huͤlffe ihr auff die Beine/ aber der Richter/ welcher ſie nicht ſtraffte/ kroͤnete ſie gar. Libys befand ſich hierdurch uͤberwieſen/ und nach dem er weder einen ſo hoch- verdienten Feldherrn/ welcher die Stiefmuͤtter- lichen Abneigungen des Gluͤcks mit ſo vaͤterli- cher Liebe gegen das Vaterland ausgegleicht haͤtte/ betruͤben/ noch iemanden die Gerechtigkeit verſagen wolte/ zwiſchen Thuͤr und Angel. Denn nach dem er durch die Wolthat dieſes Helden ſich und Deutſchland allen Bekuͤmmer- nuͤſſes entledigt wuſte/ hatte er numehr ſo viel mehr Kummer um ihm ſelbſt. Hingegen muͤ- ſten alle andere Abſehen der Gerechtigkeit aus dem Wege treten; ſintemal da ſchon die Geſetze zu Grunde gingen/ wo Gewalt und Anſehen uͤber ſie empor ſtiege. Bey dieſem Bedencken legten gleichwohl/ aus einem beſondern Ver- haͤngnuͤſſe/ die Opfer-Knechte Hand an Segeſt- hes/ hoben ihn vom Wagen/ und er ſelbſt warte- te nicht ſo wol mehr auff ſein Todes-Urtheil/ als auff was Art ſelbtes an ihm wuͤrde vollzogen werden. Aller Augen waren auff den Libys gerichtet/ welche durch ihr Stillſchweigen ihm numehr das Urthel abzunoͤthigen ſchienen. Da- K 2
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Arminius und Thußnelda.
vollbrachter That. Waͤre es nach den vaͤterli-
chen Rechten zulaͤßlich/ wolte er hier gerne ein
Opfer fuͤr das gemeine Heil werden. Denn
dem/ welchen ſein Gewiſſen verdammte/ waͤre
der Tod ein Troſt/ das Leben eine unaufhoͤrliche
Quaal; Sintemal die Gnade einen Verbre-
cher zwar der Straffe/ nicht aber ſeiner Schan-
de entbuͤrden koͤnte. Die Prieſter erſtarreten
gleichſam hieruͤber; und ob zwar der Feldherr
fuͤr Segeſthen das Wort nicht reden wolte/ ſahen
ſie ihm doch unſchwer an/ wie ſehr ihm ſeines er-
kieſeten Schwaͤhers Fall muͤſte zu Hertzen geben.
Denn wie die Liebe ein ſo nachdruͤckliches Feuer
iſt/ daß ſie ſtaͤhlerne Hertzen erweichet; alſo laͤſt
es ſich auch am ſchwerſten verbergen/ und iſt un-
ter allen Gemuͤths-Regungen die unvorſichtig-
ſte. Ganaſch nahm dieſe Unbewegligkeit der
Prieſter fuͤr eine Kaltſinnigkeit auf; redete ſie
daher auffs neue an: Jhnen waͤre die Erhaltung
der Geſetze/ die Straffe der Laſter auff ihre See-
le gebunden. Sie ſolten numehro dem Volcke
Recht verhelffen/ und urtheilen: Ob ſie den/ wel-
cher ſich ſelbſt verdammete/ loßſprechen koͤnten?
Taugte dieſer Miſſethaͤter nicht zu einem
Schlacht-Opfer/ ſo waͤre dieſer heilige Ort doch
ihr gewoͤhnlicher Richt-Platz/ wo uͤber der Edlen
Leben erkennet und geſprochen wuͤrde. Sie
ſolten erwegen die Eigenſchafft des Laſters/ die
Beſchaffenheit des Verbrechens/ und das den
Deutſchen hieraus erwachſende Unheil. Grie-
chenland koͤnne ſich ruͤhmen/ daß Codrus/ umb
nur durch ſeinen Tod das Vaterland zu erhal-
ten/ ſeinen Purpur mit dem Rocke eines Scla-
ven verwechſelt; der ins Elend verjagte Themi-
ſtocles aber/ womit er dem Xerxes wider ſein un-
danckbares Vaterland dienen doͤrfte/ habe von
einem dem Jupiter geſchlachteten Ochſen das
Blut ausgetruncken/ und ſich ſelbſt fuͤr ſeine
Feinde aufgeopfert. Deutſchland aber habe am
Segeſthes ſo eine Schlange gebohren/ welche der
eigenen Mutter Leib zerfleiſche. Die Geiſter
ſeiner ruhmwuͤrdigen Vorfahren/ derer Ge-
ſchlechte er mit ſo ſchlimmen Thaten beſchwaͤrtz-
te/ wuͤrden in ihren Graͤbern beunruhiget wer-
den/ da ſie nicht durch ſeine Hinrichtung verſoͤh-
net/ ja er ſeinen ſo tugendhaften Kindern als ein
Greuel aus den Augen geriſſen wuͤrde. Das
Urthel waͤre unſchwer wider ihn abzufaſſen/
nach dem das Geſetze in dem benachbarten Hay-
ne an ſo vielen Baͤumen angeſchrieben ſtuͤnde/
daran man viel geringere Verraͤther und Uber-
laͤuffer auffgehenckt ſehe. Die Geſetze waͤren
ohne folgende Beſtraffung der Ubertreter eine
Blendung der Einfalt/ und ein Hohn der Boß-
haften. Denn keines haͤtte eine ſo kraͤfftige Guͤt-
te in ſich/ dieſe auff den Weg der Tugend zu lei-
ten/ die Guten aber folgten ihr ohne Geſetze.
Eine zum Argen geneigte Seele waͤre zwar die
Mutter/ und braͤchte die Laſter auff die Welt/
der ſolche nicht hinderte/ huͤlffe ihr auff die
Beine/ aber der Richter/ welcher ſie nicht ſtraffte/
kroͤnete ſie gar. Libys befand ſich hierdurch
uͤberwieſen/ und nach dem er weder einen ſo hoch-
verdienten Feldherrn/ welcher die Stiefmuͤtter-
lichen Abneigungen des Gluͤcks mit ſo vaͤterli-
cher Liebe gegen das Vaterland ausgegleicht
haͤtte/ betruͤben/ noch iemanden die Gerechtigkeit
verſagen wolte/ zwiſchen Thuͤr und Angel.
Denn nach dem er durch die Wolthat dieſes
Helden ſich und Deutſchland allen Bekuͤmmer-
nuͤſſes entledigt wuſte/ hatte er numehr ſo viel
mehr Kummer um ihm ſelbſt. Hingegen muͤ-
ſten alle andere Abſehen der Gerechtigkeit aus
dem Wege treten; ſintemal da ſchon die Geſetze
zu Grunde gingen/ wo Gewalt und Anſehen
uͤber ſie empor ſtiege. Bey dieſem Bedencken
legten gleichwohl/ aus einem beſondern Ver-
haͤngnuͤſſe/ die Opfer-Knechte Hand an Segeſt-
hes/ hoben ihn vom Wagen/ und er ſelbſt warte-
te nicht ſo wol mehr auff ſein Todes-Urtheil/ als
auff was Art ſelbtes an ihm wuͤrde vollzogen
werden. Aller Augen waren auff den Libys
gerichtet/ welche durch ihr Stillſchweigen ihm
numehr das Urthel abzunoͤthigen ſchienen.
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/123>, abgerufen am 16.07.2024. |