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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
feceris, rede. Da nun dieses noch in diesen letzten
Zeiten der Grund-Satz des Rechts der Natur ist,
so weiß ich nicht, wo der Hr. Prof. Manzel sein Jus
Naturae vere tale
finden will: Jm Stande der Un-
schuld suchet er es vergebens. Denn die ersten Men-
schen hatten, wie er selbst bekennet, keine andere
Grund-Sätze, als wir: Haben sie dieselbe nicht
auf die Fälle appliciret, die wir dadurch entscheiden,
so ist es zwar ein Zeichen, daß diese Fälle sich noch nicht
zugetragen gehabt, oder, nach den damahligen Um-
ständen, nicht begeben können: Allein es macht kei-
nen wesentlichen Unterscheid unter ihren und unsern
Grund-Sätzen. Die Grund-Sätze des Rechts
der Natur sind unveränderlich, wie ich schon oben
erwiesen habe.

Es heißt also nichts, wann der Hr. Prof. (§. 60.
61.) sich die Mühe giebt, weitläuftig anzumercken,
"daß in dem Stande der Unschuld keine Beleidi-"
gung, keine Ersetzung des verursachten Schadens,"
kein Streit über den Besitz der Dinge, keine Pacta"
und Contracte Platz gehabt u.s.w. Man glaubt ihm"
dieses leicht zu, wenn er seinen Stand der Unschuld
erst erwiesen hat; Allein es ist ofenbahr, daß daraus
kein besonders, und in dem Stande der Unschuld nur
allein statt habendes Recht der Natur fliesset. Die
Grund-Sätze des Rechts der Natur bleiben einerley,
vor und nach dem Fall, der Unterscheid betrift nur ei-
nige Neben-Umstände, in Ansehung welcher auch heu-
tiges Tages viele Völcker nicht übereinkommen, die
doch, wie niemand zweifelt, alle ein Jus Naturae ha-
ben. Die Hottentotten z. E., und alle wilde Völcker
leben in einer grössern Einfalt und Unschuld als wir,

es
A a a 3

(o)
feceris, rede. Da nun dieſes noch in dieſen letzten
Zeiten der Grund-Satz des Rechts der Natur iſt,
ſo weiß ich nicht, wo der Hr. Prof. Manzel ſein Jus
Naturæ veré tale
finden will: Jm Stande der Un-
ſchuld ſuchet er es vergebens. Denn die erſten Men-
ſchen hatten, wie er ſelbſt bekennet, keine andere
Grund-Saͤtze, als wir: Haben ſie dieſelbe nicht
auf die Faͤlle appliciret, die wir dadurch entſcheiden,
ſo iſt es zwar ein Zeichen, daß dieſe Faͤlle ſich noch nicht
zugetragen gehabt, oder, nach den damahligen Um-
ſtaͤnden, nicht begeben koͤnnen: Allein es macht kei-
nen weſentlichen Unterſcheid unter ihren und unſern
Grund-Saͤtzen. Die Grund-Saͤtze des Rechts
der Natur ſind unveraͤnderlich, wie ich ſchon oben
erwieſen habe.

Es heißt alſo nichts, wann der Hr. Prof. (§. 60.
61.) ſich die Muͤhe giebt, weitlaͤuftig anzumercken,
„daß in dem Stande der Unſchuld keine Beleidi-„
gung, keine Erſetzung des verurſachten Schadens,„
kein Streit uͤber den Beſitz der Dinge, keine Pacta
und Contracte Platz gehabt u.ſ.w. Man glaubt ihm„
dieſes leicht zu, wenn er ſeinen Stand der Unſchuld
erſt erwieſen hat; Allein es iſt ofenbahr, daß daraus
kein beſonders, und in dem Stande der Unſchuld nur
allein ſtatt habendes Recht der Natur flieſſet. Die
Grund-Saͤtze des Rechts der Natur bleiben einerley,
vor und nach dem Fall, der Unterſcheid betrift nur ei-
nige Neben-Umſtaͤnde, in Anſehung welcher auch heu-
tiges Tages viele Voͤlcker nicht uͤbereinkommen, die
doch, wie niemand zweifelt, alle ein Jus Naturæ ha-
ben. Die Hottentotten z. E., und alle wilde Voͤlcker
leben in einer groͤſſern Einfalt und Unſchuld als wir,

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[741/0833] (o) feceris, rede. Da nun dieſes noch in dieſen letzten Zeiten der Grund-Satz des Rechts der Natur iſt, ſo weiß ich nicht, wo der Hr. Prof. Manzel ſein Jus Naturæ veré tale finden will: Jm Stande der Un- ſchuld ſuchet er es vergebens. Denn die erſten Men- ſchen hatten, wie er ſelbſt bekennet, keine andere Grund-Saͤtze, als wir: Haben ſie dieſelbe nicht auf die Faͤlle appliciret, die wir dadurch entſcheiden, ſo iſt es zwar ein Zeichen, daß dieſe Faͤlle ſich noch nicht zugetragen gehabt, oder, nach den damahligen Um- ſtaͤnden, nicht begeben koͤnnen: Allein es macht kei- nen weſentlichen Unterſcheid unter ihren und unſern Grund-Saͤtzen. Die Grund-Saͤtze des Rechts der Natur ſind unveraͤnderlich, wie ich ſchon oben erwieſen habe. Es heißt alſo nichts, wann der Hr. Prof. (§. 60. 61.) ſich die Muͤhe giebt, weitlaͤuftig anzumercken, „daß in dem Stande der Unſchuld keine Beleidi-„ gung, keine Erſetzung des verurſachten Schadens,„ kein Streit uͤber den Beſitz der Dinge, keine Pacta„ und Contracte Platz gehabt u.ſ.w. Man glaubt ihm„ dieſes leicht zu, wenn er ſeinen Stand der Unſchuld erſt erwieſen hat; Allein es iſt ofenbahr, daß daraus kein beſonders, und in dem Stande der Unſchuld nur allein ſtatt habendes Recht der Natur flieſſet. Die Grund-Saͤtze des Rechts der Natur bleiben einerley, vor und nach dem Fall, der Unterſcheid betrift nur ei- nige Neben-Umſtaͤnde, in Anſehung welcher auch heu- tiges Tages viele Voͤlcker nicht uͤbereinkommen, die doch, wie niemand zweifelt, alle ein Jus Naturæ ha- ben. Die Hottentotten z. E., und alle wilde Voͤlcker leben in einer groͤſſern Einfalt und Unſchuld als wir, es A a a 3

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/833>, abgerufen am 02.05.2024.