Menschen dem Bösen zuschreiben: und andern theils ist es falsch, daß die Heiden überhaupt den Streit des Fleisches und des Geistes einem bösen princi- pio zugeschrieben haben. Alle diejenigen, welche nicht zwey principia glaubten, gaben ihren Göt- tern Schuld, daß sie sie zu Lastern reitzeten: Und es ist bekannt, daß fast keine Untugend zu erdencken ist, die nicht ihren eigenen Patron unter den Göttern ge- habt hätte. Die Heiden meinten also, daß von den Göttern, die ihnen das Gute gaben, auch das Böse herrühre, und bildeten sich, wann sie von ihren Be- gierden zu etwas getrieben wurden, dessen Unbillig- keit und Schädlichkeit sie wohl erkannten, feste ein, dieser Trieb sey göttlich. So erklärte die Medea ihre unbändige Liebe zu dem Jason, deren Unver- nunft sie selbst wohl erkannte.
"Concipit interea validas AEetias ignes "Et luctata diu, postquam ratione furorem "Vincere non poterat; Frustra Medea re- pugnas "Nescio quis DEVS obstat, ait ... (1)
Mr. Bayle sagt (2) die Heiden hätten diese göttli- che Reitzung zum Bösen als eine Strafe einer vorher- gegangenen Uebertretung angesehen, und vergleicht die Begrife, welche sie gehabt, mit dem, so unsere Got- tes-Gelehrten vom Verlust des freyen Willens durch den Fall, und der Entziehung der Gnade GOttes leh- ren. Aber auch dieses kan dem Hn. Prof. Manzel we- nig helfen: Denn, wie sehr auch die Grillen der Heiden
mit
(1) OVIDIVS Metam. Lib. VII.
(2)Diction. Histor. & Crit. Art. Ovid. not. G.
(o)
Menſchen dem Boͤſen zuſchreiben: und andern theils iſt es falſch, daß die Heiden uͤberhaupt den Streit des Fleiſches und des Geiſtes einem boͤſen princi- pio zugeſchrieben haben. Alle diejenigen, welche nicht zwey principia glaubten, gaben ihren Goͤt- tern Schuld, daß ſie ſie zu Laſtern reitzeten: Und es iſt bekannt, daß faſt keine Untugend zu erdencken iſt, die nicht ihren eigenen Patron unter den Goͤttern ge- habt haͤtte. Die Heiden meinten alſo, daß von den Goͤttern, die ihnen das Gute gaben, auch das Boͤſe herruͤhre, und bildeten ſich, wann ſie von ihren Be- gierden zu etwas getrieben wurden, deſſen Unbillig- keit und Schaͤdlichkeit ſie wohl erkannten, feſte ein, dieſer Trieb ſey goͤttlich. So erklaͤrte die Medea ihre unbaͤndige Liebe zu dem Jaſon, deren Unver- nunft ſie ſelbſt wohl erkannte.
„Concipit interea validas Æetias ignes „Et luctata diu, poſtquam ratione furorem „Vincere non poterat; Fruſtra Medea re- pugnas „Neſcio quis DEVS obſtat, ait … (1)
Mr. Bayle ſagt (2) die Heiden haͤtten dieſe goͤttli- che Reitzung zum Boͤſen als eine Strafe einer vorher- gegangenen Uebertretung angeſehen, und vergleicht die Begrife, welche ſie gehabt, mit dem, ſo unſere Got- tes-Gelehrten vom Verluſt des freyen Willens durch den Fall, und der Entziehung der Gnade GOttes leh- ren. Aber auch dieſes kan dem Hn. Prof. Manzel we- nig helfen: Denn, wie ſehr auch die Grillen der Heiden
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(1) OVIDIVS Metam. Lib. VII.
(2)Diction. Hiſtor. & Crit. Art. Ovid. not. G.
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(o)
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nicht zwey principia glaubten, gaben ihren Goͤt-
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iſt bekannt, daß faſt keine Untugend zu erdencken iſt,
die nicht ihren eigenen Patron unter den Goͤttern ge-
habt haͤtte. Die Heiden meinten alſo, daß von den
Goͤttern, die ihnen das Gute gaben, auch das Boͤſe
herruͤhre, und bildeten ſich, wann ſie von ihren Be-
gierden zu etwas getrieben wurden, deſſen Unbillig-
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dieſer Trieb ſey goͤttlich. So erklaͤrte die Medea
ihre unbaͤndige Liebe zu dem Jaſon, deren Unver-
nunft ſie ſelbſt wohl erkannte.
„Concipit interea validas Æetias ignes
„Et luctata diu, poſtquam ratione furorem
„Vincere non poterat; Fruſtra Medea re-
pugnas
„Neſcio quis DEVS obſtat, ait … (1)
Mr. Bayle ſagt (2) die Heiden haͤtten dieſe goͤttli-
che Reitzung zum Boͤſen als eine Strafe einer vorher-
gegangenen Uebertretung angeſehen, und vergleicht
die Begrife, welche ſie gehabt, mit dem, ſo unſere Got-
tes-Gelehrten vom Verluſt des freyen Willens durch
den Fall, und der Entziehung der Gnade GOttes leh-
ren. Aber auch dieſes kan dem Hn. Prof. Manzel we-
nig helfen: Denn, wie ſehr auch die Grillen der Heiden
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(1) OVIDIVS Metam. Lib. VII.
(2) Diction. Hiſtor. & Crit. Art. Ovid. not. G.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 651. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/743>, abgerufen am 22.11.2024.
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