Ja wenn sie auch gleich so böse Geister, als dieje- nigen, die wir Teufel nennen, kennete, so würde sie doch nicht verdauen können, daß dieselbe, wieder den Willen des allmächtigen GOttes, den Menschen ge- waltsamer Weise seine Vollkommenheit solten be- raubet haben.
Sie findet darinn eine doppelte Unförmlichkeit. Einmahl, daß eine Creatur mächtiger seyn solle, als ihr Schöpfer: und zum andern, daß dem Menschen etwas gewaltsamer Weise solle entwandt seyn, wel- ches er nicht anders, als mit Willen hat verliehren können.
Die Vollkommenheit, so der erste Mensch verloh- ren haben soll, war keine Sache, die man ihm mit Ge- walt nehmen konnte. Sie steckte vornemlich in der Seele, und was noch mehr ist, in dem Willen selbst. Dieser muste verdorben werden. Wie aber? Durch äusserliche Gewalt? Das geht nicht an. Voluntas non potest cogi. Durch Verführung und liebrei- chen Zwang? Aber so wäre der Casus, wie der Herr Manzel will, nicht violentus; so wäre der Mensch nicht vollkommen gewesen. Denn es ist ausgemacht, daß, auch bey unserm ietzigen Verderben, der Teufel uns nicht verführen kan, ohne sich unserer Schwach- heit zu bedienen. Er verführet niemand, als der ver- führet seyn will. Wer ihm wiederstehet vor dem fleucht er. Der Mensch in seiner Vollkommenheit hat dieses letzte mit weit grösserm Nachdruck, als wir in unserer ietzigen Schwachheit thun können, und die Lust verführet zu werden, sammt allen den Neigungen, deren sich der Teufel bedienet, uns zu berücken, fan- den sich bey ihm nicht. Wie hat er dann verführet werden können?
Ew.
(o)
Ja wenn ſie auch gleich ſo boͤſe Geiſter, als dieje- nigen, die wir Teufel nennen, kennete, ſo wuͤrde ſie doch nicht verdauen koͤnnen, daß dieſelbe, wieder den Willen des allmaͤchtigen GOttes, den Menſchen ge- waltſamer Weiſe ſeine Vollkommenheit ſolten be- raubet haben.
Sie findet darinn eine doppelte Unfoͤrmlichkeit. Einmahl, daß eine Creatur maͤchtiger ſeyn ſolle, als ihr Schoͤpfer: und zum andern, daß dem Menſchen etwas gewaltſamer Weiſe ſolle entwandt ſeyn, wel- ches er nicht anders, als mit Willen hat verliehren koͤnnen.
Die Vollkommenheit, ſo der erſte Menſch verloh- ren haben ſoll, war keine Sache, die man ihm mit Ge- walt nehmen konnte. Sie ſteckte vornemlich in der Seele, und was noch mehr iſt, in dem Willen ſelbſt. Dieſer muſte verdorben werden. Wie aber? Durch aͤuſſerliche Gewalt? Das geht nicht an. Voluntas non poteſt cogi. Durch Verfuͤhrung und liebrei- chen Zwang? Aber ſo waͤre der Caſus, wie der Herr Manzel will, nicht violentus; ſo waͤre der Menſch nicht vollkommen geweſen. Denn es iſt ausgemacht, daß, auch bey unſerm ietzigen Verderben, der Teufel uns nicht verfuͤhren kan, ohne ſich unſerer Schwach- heit zu bedienen. Er verfuͤhret niemand, als der ver- fuͤhret ſeyn will. Wer ihm wiederſtehet vor dem fleucht er. Der Menſch in ſeiner Vollkommenheit hat dieſes letzte mit weit groͤſſerm Nachdruck, als wir in unſerer ietzigen Schwachheit thun koͤnnen, und die Luſt verfuͤhret zu werden, ſammt allen den Neigungen, deren ſich der Teufel bedienet, uns zu beruͤcken, fan- den ſich bey ihm nicht. Wie hat er dann verfuͤhret werden koͤnnen?
Ew.
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(o)
Ja wenn ſie auch gleich ſo boͤſe Geiſter, als dieje-
nigen, die wir Teufel nennen, kennete, ſo wuͤrde ſie
doch nicht verdauen koͤnnen, daß dieſelbe, wieder den
Willen des allmaͤchtigen GOttes, den Menſchen ge-
waltſamer Weiſe ſeine Vollkommenheit ſolten be-
raubet haben.
Sie findet darinn eine doppelte Unfoͤrmlichkeit.
Einmahl, daß eine Creatur maͤchtiger ſeyn ſolle, als
ihr Schoͤpfer: und zum andern, daß dem Menſchen
etwas gewaltſamer Weiſe ſolle entwandt ſeyn, wel-
ches er nicht anders, als mit Willen hat verliehren
koͤnnen.
Die Vollkommenheit, ſo der erſte Menſch verloh-
ren haben ſoll, war keine Sache, die man ihm mit Ge-
walt nehmen konnte. Sie ſteckte vornemlich in der
Seele, und was noch mehr iſt, in dem Willen ſelbſt.
Dieſer muſte verdorben werden. Wie aber? Durch
aͤuſſerliche Gewalt? Das geht nicht an. Voluntas
non poteſt cogi. Durch Verfuͤhrung und liebrei-
chen Zwang? Aber ſo waͤre der Caſus, wie der Herr
Manzel will, nicht violentus; ſo waͤre der Menſch
nicht vollkommen geweſen. Denn es iſt ausgemacht,
daß, auch bey unſerm ietzigen Verderben, der Teufel
uns nicht verfuͤhren kan, ohne ſich unſerer Schwach-
heit zu bedienen. Er verfuͤhret niemand, als der ver-
fuͤhret ſeyn will. Wer ihm wiederſtehet vor dem
fleucht er. Der Menſch in ſeiner Vollkommenheit hat
dieſes letzte mit weit groͤſſerm Nachdruck, als wir in
unſerer ietzigen Schwachheit thun koͤnnen, und die
Luſt verfuͤhret zu werden, ſammt allen den Neigungen,
deren ſich der Teufel bedienet, uns zu beruͤcken, fan-
den ſich bey ihm nicht. Wie hat er dann verfuͤhret
werden koͤnnen?
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 639. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/731>, abgerufen am 22.11.2024.
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