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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
diese, mit so besonderer Klugheit begabte, Crea-
turen, so verblendet, und so übel berathen, daß sie
die Selbst-Erkänntniß vor nöthig halten. Meine
Leser mögen urtheilen, ob ein so widersinniges Be-
tragen mit der tiefen und abergläubigen Ehrerbie-
tung, die guten Scribenten gegen die Vernunft
hegen, bestehen könne?

Jch weiß wohl, es mangelt den guten Scriben-
ten nimmer an Ausflüchten. Sie werden spre-
chen: Ob gleich die Erkänntniß ihrer Fehler im
Anfange verdrießlich wäre: So habe sie doch eine
gute Würckung, und treibe sie an, die erkannte
Fehler auszubessern, und nach der Vollkommenheit
zu trachten, die ein so unaussprechliches Vergnü-
gen mit sich führe, daß dadurch einem Scribenten
die, auf die Ausbesserung seiner Fehler gewandte,
Mühe mehr als doppelt belohnet würde. Aber
alles dieses heist nichts gesagt.

Ein Scribent ist ein Mensch, und muß also Feh-
ler haben. Wer sich darüber nicht zu frieden ge-
ben kan, dem weiß ich keinen bessern Rath, als daß er
seine Menschheit ablege, und sich entweder um eine
Stelle unter den Seraphinen bewerbe, oder gar
vergöttern lasse. Jn dieser Sterblichkeit nach ei-
ner Vollkommenheit trachten ist lächerlich und ver-
gebens. Und wenn es denn ja möglich wäre diese
eingebildete Vollkommenheit zu erlangen; so weiß
ich doch nicht, ob es der Mühe werth seyn würde,
desfalls seiner Natur Gewalt anzuthun, und sich
mit einer verdrießlichen Ausbesserung einiger, der
Menschheit so wesentlichen, Fehler zu quälen? Und
ob man nicht auf eine gemächlichere Art derjenigen

Vor-

(o)
dieſe, mit ſo beſonderer Klugheit begabte, Crea-
turen, ſo verblendet, und ſo uͤbel berathen, daß ſie
die Selbſt-Erkaͤnntniß vor noͤthig halten. Meine
Leſer moͤgen urtheilen, ob ein ſo widerſinniges Be-
tragen mit der tiefen und aberglaͤubigen Ehrerbie-
tung, die guten Scribenten gegen die Vernunft
hegen, beſtehen koͤnne?

Jch weiß wohl, es mangelt den guten Scriben-
ten nimmer an Ausfluͤchten. Sie werden ſpre-
chen: Ob gleich die Erkaͤnntniß ihrer Fehler im
Anfange verdrießlich waͤre: So habe ſie doch eine
gute Wuͤrckung, und treibe ſie an, die erkannte
Fehler auszubeſſern, und nach der Vollkommenheit
zu trachten, die ein ſo unausſprechliches Vergnuͤ-
gen mit ſich fuͤhre, daß dadurch einem Scribenten
die, auf die Ausbeſſerung ſeiner Fehler gewandte,
Muͤhe mehr als doppelt belohnet wuͤrde. Aber
alles dieſes heiſt nichts geſagt.

Ein Scribent iſt ein Menſch, und muß alſo Feh-
ler haben. Wer ſich daruͤber nicht zu frieden ge-
ben kan, dem weiß ich keinen beſſern Rath, als daß er
ſeine Menſchheit ablege, und ſich entweder um eine
Stelle unter den Seraphinen bewerbe, oder gar
vergoͤttern laſſe. Jn dieſer Sterblichkeit nach ei-
ner Vollkommenheit trachten iſt laͤcherlich und ver-
gebens. Und wenn es denn ja moͤglich waͤre dieſe
eingebildete Vollkommenheit zu erlangen; ſo weiß
ich doch nicht, ob es der Muͤhe werth ſeyn wuͤrde,
desfalls ſeiner Natur Gewalt anzuthun, und ſich
mit einer verdrießlichen Ausbeſſerung einiger, der
Menſchheit ſo weſentlichen, Fehler zu quaͤlen? Und
ob man nicht auf eine gemaͤchlichere Art derjenigen

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[541/0633] (o) dieſe, mit ſo beſonderer Klugheit begabte, Crea- turen, ſo verblendet, und ſo uͤbel berathen, daß ſie die Selbſt-Erkaͤnntniß vor noͤthig halten. Meine Leſer moͤgen urtheilen, ob ein ſo widerſinniges Be- tragen mit der tiefen und aberglaͤubigen Ehrerbie- tung, die guten Scribenten gegen die Vernunft hegen, beſtehen koͤnne? Jch weiß wohl, es mangelt den guten Scriben- ten nimmer an Ausfluͤchten. Sie werden ſpre- chen: Ob gleich die Erkaͤnntniß ihrer Fehler im Anfange verdrießlich waͤre: So habe ſie doch eine gute Wuͤrckung, und treibe ſie an, die erkannte Fehler auszubeſſern, und nach der Vollkommenheit zu trachten, die ein ſo unausſprechliches Vergnuͤ- gen mit ſich fuͤhre, daß dadurch einem Scribenten die, auf die Ausbeſſerung ſeiner Fehler gewandte, Muͤhe mehr als doppelt belohnet wuͤrde. Aber alles dieſes heiſt nichts geſagt. Ein Scribent iſt ein Menſch, und muß alſo Feh- ler haben. Wer ſich daruͤber nicht zu frieden ge- ben kan, dem weiß ich keinen beſſern Rath, als daß er ſeine Menſchheit ablege, und ſich entweder um eine Stelle unter den Seraphinen bewerbe, oder gar vergoͤttern laſſe. Jn dieſer Sterblichkeit nach ei- ner Vollkommenheit trachten iſt laͤcherlich und ver- gebens. Und wenn es denn ja moͤglich waͤre dieſe eingebildete Vollkommenheit zu erlangen; ſo weiß ich doch nicht, ob es der Muͤhe werth ſeyn wuͤrde, desfalls ſeiner Natur Gewalt anzuthun, und ſich mit einer verdrießlichen Ausbeſſerung einiger, der Menſchheit ſo weſentlichen, Fehler zu quaͤlen? Und ob man nicht auf eine gemaͤchlichere Art derjenigen Vor-

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/633>, abgerufen am 22.11.2024.