ben, da meine vortrefliche Schrift zum Vorschein kömmt, so würden sie unstreitig gantz umgekehret, und neue Menschen werden.
Jch kehre wieder zu meinem Zweck, und sage, daß wir, wenn wir schreiben wollen, die Prüfung unserer Kräfte, mit welcher sich unsere Feinde quä- len, vor eben so unnütz halten, als Vernunft und Nachdencken. Wir brauchen so vieler Umstän- de nicht. Wir haben die besondere Gabe von der Natur, daß wir schreiben können, was wir nicht gelernet haben, und von Sachen urtheilen können, die wir nicht verstehen. Wir schreiben gantze Bü- cher von der Möglichkeit einer ewigen Welt, und handeln die schwersten Fragen aus der Welt-Weiß- heit, auf eine gantze eigene Weise, ab, ob wir gleich nichts davon begreifen. Philippi kan unbesehens von den Schriften urtheilen, die vor und wider die wolfische Philosophie herausgekommen sind. Sievers, der kaum seinen Cathechismus weiß, ist doch geschickt, andere zu lehren, was der seeligma- chende Glaube sey, und Rodigast kan die ungeheure- sten Wercke aus dem Lateinischen ins Deutsche über- setzen, ob er gleich weder Latein noch Deutsch beste- het, und niemand, ja vielleicht er selbst nicht weiß, was er vor eine Sprache redet. Hätte dieses edle Klee-Blat elender Scribenten sich lange besinnen, und seine Kräfte untersuchen wollen, ehe es die Fe- der ansetzte, so will ich wetten, wir würden noch nicht wissen, ob es in der Welt sey. Allein wir elende Scribenten sind so mißtrauisch gegen uns selbst nicht: Weil wir wissen, daß uns, auch bey der grösten Schwachheit, alles möglich ist.
Diese
(o)
ben, da meine vortrefliche Schrift zum Vorſchein koͤmmt, ſo wuͤrden ſie unſtreitig gantz umgekehret, und neue Menſchen werden.
Jch kehre wieder zu meinem Zweck, und ſage, daß wir, wenn wir ſchreiben wollen, die Pruͤfung unſerer Kraͤfte, mit welcher ſich unſere Feinde quaͤ- len, vor eben ſo unnuͤtz halten, als Vernunft und Nachdencken. Wir brauchen ſo vieler Umſtaͤn- de nicht. Wir haben die beſondere Gabe von der Natur, daß wir ſchreiben koͤnnen, was wir nicht gelernet haben, und von Sachen urtheilen koͤnnen, die wir nicht verſtehen. Wir ſchreiben gantze Buͤ- cher von der Moͤglichkeit einer ewigen Welt, und handeln die ſchwerſten Fragen aus der Welt-Weiß- heit, auf eine gantze eigene Weiſe, ab, ob wir gleich nichts davon begreifen. Philippi kan unbeſehens von den Schriften urtheilen, die vor und wider die wolfiſche Philoſophie herausgekommen ſind. Sievers, der kaum ſeinen Cathechiſmus weiß, iſt doch geſchickt, andere zu lehren, was der ſeeligma- chende Glaube ſey, und Rodigaſt kan die ungeheure- ſten Wercke aus dem Lateiniſchen ins Deutſche uͤber- ſetzen, ob er gleich weder Latein noch Deutſch beſte- het, und niemand, ja vielleicht er ſelbſt nicht weiß, was er vor eine Sprache redet. Haͤtte dieſes edle Klee-Blat elender Scribenten ſich lange beſinnen, und ſeine Kraͤfte unterſuchen wollen, ehe es die Fe- der anſetzte, ſo will ich wetten, wir wuͤrden noch nicht wiſſen, ob es in der Welt ſey. Allein wir elende Scribenten ſind ſo mißtrauiſch gegen uns ſelbſt nicht: Weil wir wiſſen, daß uns, auch bey der groͤſten Schwachheit, alles moͤglich iſt.
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(o)
ben, da meine vortrefliche Schrift zum Vorſchein
koͤmmt, ſo wuͤrden ſie unſtreitig gantz umgekehret,
und neue Menſchen werden.
Jch kehre wieder zu meinem Zweck, und ſage,
daß wir, wenn wir ſchreiben wollen, die Pruͤfung
unſerer Kraͤfte, mit welcher ſich unſere Feinde quaͤ-
len, vor eben ſo unnuͤtz halten, als Vernunft und
Nachdencken. Wir brauchen ſo vieler Umſtaͤn-
de nicht. Wir haben die beſondere Gabe von der
Natur, daß wir ſchreiben koͤnnen, was wir nicht
gelernet haben, und von Sachen urtheilen koͤnnen,
die wir nicht verſtehen. Wir ſchreiben gantze Buͤ-
cher von der Moͤglichkeit einer ewigen Welt, und
handeln die ſchwerſten Fragen aus der Welt-Weiß-
heit, auf eine gantze eigene Weiſe, ab, ob wir gleich
nichts davon begreifen. Philippi kan unbeſehens
von den Schriften urtheilen, die vor und wider
die wolfiſche Philoſophie herausgekommen ſind.
Sievers, der kaum ſeinen Cathechiſmus weiß, iſt
doch geſchickt, andere zu lehren, was der ſeeligma-
chende Glaube ſey, und Rodigaſt kan die ungeheure-
ſten Wercke aus dem Lateiniſchen ins Deutſche uͤber-
ſetzen, ob er gleich weder Latein noch Deutſch beſte-
het, und niemand, ja vielleicht er ſelbſt nicht weiß,
was er vor eine Sprache redet. Haͤtte dieſes edle
Klee-Blat elender Scribenten ſich lange beſinnen,
und ſeine Kraͤfte unterſuchen wollen, ehe es die Fe-
der anſetzte, ſo will ich wetten, wir wuͤrden noch
nicht wiſſen, ob es in der Welt ſey. Allein wir
elende Scribenten ſind ſo mißtrauiſch gegen uns
ſelbſt nicht: Weil wir wiſſen, daß uns, auch bey
der groͤſten Schwachheit, alles moͤglich iſt.
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/610>, abgerufen am 26.11.2024.
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