Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite
(o)

Sie bilden sich ein, dieses sey ein unverantwort-
licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch gestehe
diese Censur hat mich sehr befremdet, und ich weiß
fast nicht, was ich darauf antworten soll. Kaum
kan ich mir einbilden, daß es Ernst damit sey.
Denn es ist schwer zu begreifen, wie kluge Leute
ihre Gottseligkeit so gar hoch treiben können. Wenn
ich also arg wolte, so könnte ich die Herren, die
sich so gar ohne Ursach an meiner Schrift geärgert
haben, ziemlich lächerlich machen. Aber auch bey
dieser Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum
Spotten geneigt sey, so will ich ihnen ihre Scru-
pel mit aller Sanftmuth zubenehmen suchen, und
ernsthaft mit ihnen reden.

Es verdienet auch überdem ihr zärtliches Gewis-
sen, mehr ein Mittleiden, als daß man darüber
lache. Jch bedaure sie von Grund meiner Seelen.
Sie setzen sich durch ihre gar zu grosse Heiligkeit in
den Stand, daß sie ohne Gefahr zu sündigen, nicht
einmahl Essen und Trincken fordern können. Plagt
sie der Durst, so dürfen sie nicht sagen, daß sie
dürste. Und wann sie auf Reisen in ein Wirths-Haus
kommen, ist es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr
nichts zu essen? Leute mit denen es so beschaffen ist, die
sind vor andern eines liebreichen Unterrichts würdig;
Und ich mache mir ein Gewissen, sie auszuhöhnen.

Jch bitte sie demnach zu bedencken, daß dasje-
nige, was ich vom grünen Holtz gesaget habe, ein
Sprichwort sey. Unser Heyland hat sich desselben
bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich solte nicht
meinen, daß dadurch die Natur dieses Sprichworts
geändert sey, und das menschliche Geschlecht et-

was
(o)

Sie bilden ſich ein, dieſes ſey ein unverantwort-
licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch geſtehe
dieſe Cenſur hat mich ſehr befremdet, und ich weiß
faſt nicht, was ich darauf antworten ſoll. Kaum
kan ich mir einbilden, daß es Ernſt damit ſey.
Denn es iſt ſchwer zu begreifen, wie kluge Leute
ihre Gottſeligkeit ſo gar hoch treiben koͤnnen. Wenn
ich alſo arg wolte, ſo koͤnnte ich die Herren, die
ſich ſo gar ohne Urſach an meiner Schrift geaͤrgert
haben, ziemlich laͤcherlich machen. Aber auch bey
dieſer Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum
Spotten geneigt ſey, ſo will ich ihnen ihre Scru-
pel mit aller Sanftmuth zubenehmen ſuchen, und
ernſthaft mit ihnen reden.

Es verdienet auch uͤberdem ihr zaͤrtliches Gewiſ-
ſen, mehr ein Mittleiden, als daß man daruͤber
lache. Jch bedaure ſie von Grund meiner Seelen.
Sie ſetzen ſich durch ihre gar zu groſſe Heiligkeit in
den Stand, daß ſie ohne Gefahr zu ſuͤndigen, nicht
einmahl Eſſen und Trincken fordern koͤnnen. Plagt
ſie der Durſt, ſo duͤrfen ſie nicht ſagen, daß ſie
duͤrſte. Und wann ſie auf Reiſen in ein Wirths-Haus
kommen, iſt es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr
nichts zu eſſen? Leute mit denen es ſo beſchaffen iſt, die
ſind vor andern eines liebreichen Unterrichts wuͤrdig;
Und ich mache mir ein Gewiſſen, ſie auszuhoͤhnen.

Jch bitte ſie demnach zu bedencken, daß dasje-
nige, was ich vom gruͤnen Holtz geſaget habe, ein
Sprichwort ſey. Unſer Heyland hat ſich deſſelben
bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich ſolte nicht
meinen, daß dadurch die Natur dieſes Sprichworts
geaͤndert ſey, und das menſchliche Geſchlecht et-

was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0222" n="130"/>
          <fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
          <p>Sie bilden &#x017F;ich ein, die&#x017F;es &#x017F;ey ein unverantwort-<lb/>
licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch ge&#x017F;tehe<lb/>
die&#x017F;e Cen&#x017F;ur hat mich &#x017F;ehr befremdet, und ich weiß<lb/>
fa&#x017F;t nicht, was ich darauf antworten &#x017F;oll. Kaum<lb/>
kan ich mir einbilden, daß es Ern&#x017F;t damit &#x017F;ey.<lb/>
Denn es i&#x017F;t &#x017F;chwer zu begreifen, wie kluge Leute<lb/>
ihre Gott&#x017F;eligkeit &#x017F;o gar hoch treiben ko&#x0364;nnen. Wenn<lb/>
ich al&#x017F;o arg wolte, &#x017F;o ko&#x0364;nnte ich die Herren, die<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;o gar ohne Ur&#x017F;ach an meiner Schrift gea&#x0364;rgert<lb/>
haben, ziemlich la&#x0364;cherlich machen. Aber auch bey<lb/>
die&#x017F;er Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum<lb/>
Spotten geneigt &#x017F;ey, &#x017F;o will ich ihnen ihre Scru-<lb/>
pel mit aller Sanftmuth zubenehmen &#x017F;uchen, und<lb/>
ern&#x017F;thaft mit ihnen reden.</p><lb/>
          <p>Es verdienet auch u&#x0364;berdem ihr za&#x0364;rtliches Gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, mehr ein Mittleiden, als daß man daru&#x0364;ber<lb/>
lache. Jch bedaure &#x017F;ie von Grund meiner Seelen.<lb/>
Sie &#x017F;etzen &#x017F;ich durch ihre gar zu gro&#x017F;&#x017F;e Heiligkeit in<lb/>
den Stand, daß &#x017F;ie ohne Gefahr zu &#x017F;u&#x0364;ndigen, nicht<lb/>
einmahl E&#x017F;&#x017F;en und Trincken fordern ko&#x0364;nnen. Plagt<lb/>
&#x017F;ie der Dur&#x017F;t, &#x017F;o du&#x0364;rfen &#x017F;ie nicht &#x017F;agen, daß &#x017F;ie<lb/>
du&#x0364;r&#x017F;te. Und wann &#x017F;ie auf Rei&#x017F;en in ein Wirths-Haus<lb/>
kommen, i&#x017F;t es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr<lb/>
nichts zu e&#x017F;&#x017F;en? Leute mit denen es &#x017F;o be&#x017F;chaffen i&#x017F;t, die<lb/>
&#x017F;ind vor andern eines liebreichen Unterrichts wu&#x0364;rdig;<lb/>
Und ich mache mir ein Gewi&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie auszuho&#x0364;hnen.</p><lb/>
          <p>Jch bitte &#x017F;ie demnach zu bedencken, daß dasje-<lb/>
nige, was ich vom gru&#x0364;nen Holtz ge&#x017F;aget habe, ein<lb/>
Sprichwort &#x017F;ey. Un&#x017F;er Heyland hat &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;elben<lb/>
bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich &#x017F;olte nicht<lb/>
meinen, daß dadurch die Natur die&#x017F;es Sprichworts<lb/>
gea&#x0364;ndert &#x017F;ey, und das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht et-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">was</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[130/0222] (o) Sie bilden ſich ein, dieſes ſey ein unverantwort- licher Mißbrauch der Heil. Schrift. Jch geſtehe dieſe Cenſur hat mich ſehr befremdet, und ich weiß faſt nicht, was ich darauf antworten ſoll. Kaum kan ich mir einbilden, daß es Ernſt damit ſey. Denn es iſt ſchwer zu begreifen, wie kluge Leute ihre Gottſeligkeit ſo gar hoch treiben koͤnnen. Wenn ich alſo arg wolte, ſo koͤnnte ich die Herren, die ſich ſo gar ohne Urſach an meiner Schrift geaͤrgert haben, ziemlich laͤcherlich machen. Aber auch bey dieſer Gelegenheit zu zeigen, wie wenig ich zum Spotten geneigt ſey, ſo will ich ihnen ihre Scru- pel mit aller Sanftmuth zubenehmen ſuchen, und ernſthaft mit ihnen reden. Es verdienet auch uͤberdem ihr zaͤrtliches Gewiſ- ſen, mehr ein Mittleiden, als daß man daruͤber lache. Jch bedaure ſie von Grund meiner Seelen. Sie ſetzen ſich durch ihre gar zu groſſe Heiligkeit in den Stand, daß ſie ohne Gefahr zu ſuͤndigen, nicht einmahl Eſſen und Trincken fordern koͤnnen. Plagt ſie der Durſt, ſo duͤrfen ſie nicht ſagen, daß ſie duͤrſte. Und wann ſie auf Reiſen in ein Wirths-Haus kommen, iſt es ihnen nicht erlaubt zu fragen: Habt ihr nichts zu eſſen? Leute mit denen es ſo beſchaffen iſt, die ſind vor andern eines liebreichen Unterrichts wuͤrdig; Und ich mache mir ein Gewiſſen, ſie auszuhoͤhnen. Jch bitte ſie demnach zu bedencken, daß dasje- nige, was ich vom gruͤnen Holtz geſaget habe, ein Sprichwort ſey. Unſer Heyland hat ſich deſſelben bedienet, das weiß ich wohl: Aber ich ſolte nicht meinen, daß dadurch die Natur dieſes Sprichworts geaͤndert ſey, und das menſchliche Geſchlecht et- was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/222
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/222>, abgerufen am 29.03.2024.