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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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(o)
kan, wie viel ich auch darauf gedacht habe, nicht
ergründen, was ihnen Anlaß gegeben, meine un-
schuldigen Worte so übel auszulegen.

Sie thun mir gewiß zu viel Ehre, wenn sie
glauben, daß ich geschickt sey, eine Satyre zu
schreiben, und beleidigen mich, wenn sie sich ein-
bilden, daß ich Lust habe durch eine so unchristli-
che Schreib-Art mein Gewissen zu beflecken. Jch
bin mit allem, was in der Welt vorgehet, sehr
wohl zu frieden, und mehr geneigt jedermann zu
loben, als zu tadeln.

" - - - per me eqvidem sint omnia protinus
alba,
"Nil moror. Euge! omnes bene mirae eritis res.
Persius Sat. I.

Jn Ansehung der Schriften, die heraus kom-
men, bin ich überdem von Natur so wenig lecker,
als jemand in der Welt, und die Bücher, die ich
nothwendig lesen muß, sind so beschafen, daß
mein Geschmack unmöglich dadurch verwehnet
werden kan. Durch diese tägliche Kost ist mein
Gaumen so ausgehärtet, daß ich alles, was ge-
druckt ist, ohne Eckel lesen kan, und es mir gleich
viel ist, ob ich eine Historie in meinem Almanach,
oder ob ich in der Europäischen Fama lese. Und
wenn ich auch gleich von Natur zur Spötterey ge-
neigt wäre, so würde mich doch meine natürliche
Blödigkeit abhalten, meinem Triebe zu folgen,
und mir ohne Noth Feinde zu machen. Jch weiß
wohl, wie gefährlich es ist, Satyren zu schreiben:

"C est un mechant metier que celui de
medire

"A
G 5

(o)
kan, wie viel ich auch darauf gedacht habe, nicht
ergruͤnden, was ihnen Anlaß gegeben, meine un-
ſchuldigen Worte ſo uͤbel auszulegen.

Sie thun mir gewiß zu viel Ehre, wenn ſie
glauben, daß ich geſchickt ſey, eine Satyre zu
ſchreiben, und beleidigen mich, wenn ſie ſich ein-
bilden, daß ich Luſt habe durch eine ſo unchriſtli-
che Schreib-Art mein Gewiſſen zu beflecken. Jch
bin mit allem, was in der Welt vorgehet, ſehr
wohl zu frieden, und mehr geneigt jedermann zu
loben, als zu tadeln.

„ ‒ ‒ ‒ per me eqvidem ſint omnia protinus
alba,
„Nil moror. Euge! omnes bené miræ eritis res.
Perſius Sat. I.

Jn Anſehung der Schriften, die heraus kom-
men, bin ich uͤberdem von Natur ſo wenig lecker,
als jemand in der Welt, und die Buͤcher, die ich
nothwendig leſen muß, ſind ſo beſchafen, daß
mein Geſchmack unmoͤglich dadurch verwehnet
werden kan. Durch dieſe taͤgliche Koſt iſt mein
Gaumen ſo ausgehaͤrtet, daß ich alles, was ge-
druckt iſt, ohne Eckel leſen kan, und es mir gleich
viel iſt, ob ich eine Hiſtorie in meinem Almanach,
oder ob ich in der Europaͤiſchen Fama leſe. Und
wenn ich auch gleich von Natur zur Spoͤtterey ge-
neigt waͤre, ſo wuͤrde mich doch meine natuͤrliche
Bloͤdigkeit abhalten, meinem Triebe zu folgen,
und mir ohne Noth Feinde zu machen. Jch weiß
wohl, wie gefaͤhrlich es iſt, Satyren zu ſchreiben:

„C eſt un méchant métier que celui de
medire

„A
G 5
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[105/0197] (o) kan, wie viel ich auch darauf gedacht habe, nicht ergruͤnden, was ihnen Anlaß gegeben, meine un- ſchuldigen Worte ſo uͤbel auszulegen. Sie thun mir gewiß zu viel Ehre, wenn ſie glauben, daß ich geſchickt ſey, eine Satyre zu ſchreiben, und beleidigen mich, wenn ſie ſich ein- bilden, daß ich Luſt habe durch eine ſo unchriſtli- che Schreib-Art mein Gewiſſen zu beflecken. Jch bin mit allem, was in der Welt vorgehet, ſehr wohl zu frieden, und mehr geneigt jedermann zu loben, als zu tadeln. „ ‒ ‒ ‒ per me eqvidem ſint omnia protinus alba, „Nil moror. Euge! omnes bené miræ eritis res. Perſius Sat. I. Jn Anſehung der Schriften, die heraus kom- men, bin ich uͤberdem von Natur ſo wenig lecker, als jemand in der Welt, und die Buͤcher, die ich nothwendig leſen muß, ſind ſo beſchafen, daß mein Geſchmack unmoͤglich dadurch verwehnet werden kan. Durch dieſe taͤgliche Koſt iſt mein Gaumen ſo ausgehaͤrtet, daß ich alles, was ge- druckt iſt, ohne Eckel leſen kan, und es mir gleich viel iſt, ob ich eine Hiſtorie in meinem Almanach, oder ob ich in der Europaͤiſchen Fama leſe. Und wenn ich auch gleich von Natur zur Spoͤtterey ge- neigt waͤre, ſo wuͤrde mich doch meine natuͤrliche Bloͤdigkeit abhalten, meinem Triebe zu folgen, und mir ohne Noth Feinde zu machen. Jch weiß wohl, wie gefaͤhrlich es iſt, Satyren zu ſchreiben: „C eſt un méchant métier que celui de medire „A G 5

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/197>, abgerufen am 25.04.2024.