meiner Fenster-Scheibe so hohe Geheimnisse gefun- den, hatte uns eine lange Stelle aus seiner Erklärung der Offenbarung Johannis vorgelesen, in welcher von der grossen Hure, die auf den Wassern sitzet, und von der Zahl des Thiers gehandelt wurde.
Alle diese schöne Raritäten sehen Sie auf meiner gefrornen Fenster-Scheibe Zwar in ziemlicher Un- ordnung: Aber dieses ist kein Wunder; ich wundere mich vielmehr, daß eine solche Menge Ausdünstun- gen von so unterschiedener Art nicht noch auf wunder- lichere und verwirrtere Weise vermischet worden. Es ist, meines Bedünckens, noch ziemlich ordentlich hergegangen, und, ausser dem Thier mit dem Men- schen-Kopf, den Bocks-Hörnern und dem Ratzen- Schwantze, wüste ich keine einzige Figur auf der gan- tzen Fenster-Scheibe, deren Ursprung ich nicht erklä- ren wolte. Vielleicht ergründe ich auch noch, woher dieses Thier entstanden. Da es mir mit meiner Fenster- Scheibe so weit gelungen ist, so verzage ich an nichts.
Es ist mir schon mit den musicalischen Noten so ge- gangen. Anfangs wuste ich in der That nicht, was ich daraus machen solte. Jch erinnerte mich nicht, daß wir von der Music geredet hatten, und wunderte mich also ungemein, wo diese deutliche Noten hergekom- men. Endlich fiel mir bey, daß ein Sänger aus der O- pera, der mit einem von der Gesellschafft, welcher ein Poete war, etwas zu reden gehabt hatte, auf einige Minuten in meiner Stube gewesen war. Da ver- schwand meine Verwunderung, und ich bin gewiß ver- sichert, daß man die Ursache dieser Noten in diesem Sänger suchen muß. Es sey nun, daß er mit dem Poe- ten, ohne daß ich es gewahr worden, von der Music ge-
redet
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meiner Fenſter-Scheibe ſo hohe Geheimniſſe gefun- den, hatte uns eine lange Stelle aus ſeiner Erklaͤrung der Offenbarung Johannis vorgeleſen, in welcher von der groſſen Hure, die auf den Waſſern ſitzet, und von der Zahl des Thiers gehandelt wurde.
Alle dieſe ſchoͤne Raritaͤten ſehen Sie auf meiner gefrornen Fenſter-Scheibe Zwar in ziemlicher Un- ordnung: Aber dieſes iſt kein Wunder; ich wundere mich vielmehr, daß eine ſolche Menge Ausduͤnſtun- gen von ſo unterſchiedener Art nicht noch auf wunder- lichere und verwirrtere Weiſe vermiſchet worden. Es iſt, meines Beduͤnckens, noch ziemlich ordentlich hergegangen, und, auſſer dem Thier mit dem Men- ſchen-Kopf, den Bocks-Hoͤrnern und dem Ratzen- Schwantze, wuͤſte ich keine einzige Figur auf der gan- tzen Fenſter-Scheibe, deren Urſprung ich nicht erklaͤ- ren wolte. Vielleicht ergruͤnde ich auch noch, woher dieſes Thier entſtandẽ. Da es mir mit meiner Fenſter- Scheibe ſo weit gelungen iſt, ſo verzage ich an nichts.
Es iſt mir ſchon mit den muſicaliſchen Noten ſo ge- gangen. Anfangs wuſte ich in der That nicht, was ich daraus machen ſolte. Jch erinnerte mich nicht, daß wir von der Muſic geredet hatten, und wunderte mich alſo ungemein, wo dieſe deutliche Noten hergekom- men. Endlich fiel mir bey, daß ein Saͤnger aus der O- pera, der mit einem von der Geſellſchafft, welcher ein Poete war, etwas zu reden gehabt hatte, auf einige Minuten in meiner Stube geweſen war. Da ver- ſchwand meine Verwunderung, uñ ich bin gewiß ver- ſichert, daß man die Urſache dieſer Noten in dieſem Saͤnger ſuchen muß. Es ſey nun, daß er mit dem Poe- ten, ohne daß ich es gewahr worden, von der Muſic ge-
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meiner Fenſter-Scheibe ſo hohe Geheimniſſe gefun-
den, hatte uns eine lange Stelle aus ſeiner Erklaͤrung
der Offenbarung Johannis vorgeleſen, in welcher
von der groſſen Hure, die auf den Waſſern ſitzet, und
von der Zahl des Thiers gehandelt wurde.
Alle dieſe ſchoͤne Raritaͤten ſehen Sie auf meiner
gefrornen Fenſter-Scheibe Zwar in ziemlicher Un-
ordnung: Aber dieſes iſt kein Wunder; ich wundere
mich vielmehr, daß eine ſolche Menge Ausduͤnſtun-
gen von ſo unterſchiedener Art nicht noch auf wunder-
lichere und verwirrtere Weiſe vermiſchet worden.
Es iſt, meines Beduͤnckens, noch ziemlich ordentlich
hergegangen, und, auſſer dem Thier mit dem Men-
ſchen-Kopf, den Bocks-Hoͤrnern und dem Ratzen-
Schwantze, wuͤſte ich keine einzige Figur auf der gan-
tzen Fenſter-Scheibe, deren Urſprung ich nicht erklaͤ-
ren wolte. Vielleicht ergruͤnde ich auch noch, woher
dieſes Thier entſtandẽ. Da es mir mit meiner Fenſter-
Scheibe ſo weit gelungen iſt, ſo verzage ich an nichts.
Es iſt mir ſchon mit den muſicaliſchen Noten ſo ge-
gangen. Anfangs wuſte ich in der That nicht, was ich
daraus machen ſolte. Jch erinnerte mich nicht, daß
wir von der Muſic geredet hatten, und wunderte mich
alſo ungemein, wo dieſe deutliche Noten hergekom-
men. Endlich fiel mir bey, daß ein Saͤnger aus der O-
pera, der mit einem von der Geſellſchafft, welcher ein
Poete war, etwas zu reden gehabt hatte, auf einige
Minuten in meiner Stube geweſen war. Da ver-
ſchwand meine Verwunderung, uñ ich bin gewiß ver-
ſichert, daß man die Urſache dieſer Noten in dieſem
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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/161>, abgerufen am 24.11.2024.
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