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[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

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tzen-Schwantz, des Neptuns Dreyzack, den Jupiter
mit zween Trabanten, die Jahrs-Zahl, eine förmliche
Vestung, musicalische Noten, und ich weiß nicht was
für andere seltsame Figuren mehr. Mich deucht, eine
solche Fenster-Scheibe ist werth, daß man sie bewun-
dere; sie ist geschickt, allen guten Gemüthern zu erbau-
lichen Gedancken Anlaß zu geben, und ich scheue mich
nicht zu sagen, daß, wer dadurch nicht gerühret wird,
ein vollständiger Atheiste sey.

Wennich dem Exempel unserer neuen Naturkün-
diger folgen wolte, so könte ich hier schliessen, und Sie
GOtt befehlen. Diese Herren haben die Gewohn-
heit, daß sie sich begnügen von einem künstlich gebilde-
ten Steinchen, oder einer andern dergleichen Rarität,
ihrem Leser eine magere Beschreibung zu geben, sich
darauf von ihm zu beurlauben, und ihre Schrift mit
einem andächtigen Seufzer zu beschliessen. Allein ich
schäme mich, es eben so zu machen, und halte mich
schuldig, Jhnen meine Gedancken über die Wunder
mitzutheilen, die ich entdecket habe.

Jch hoffe, mein Herr, Sie werden es mir zu gute hal-
ten, wenn ich es, über Verhoffen, nicht allemahl tref-
fen solte. Jch schreibe von einer Sache, daran vor mir
kein Mensch gedacht hat. Jch habe also keinen Vor-
gänger, den ich ausschreiben könnte. Jch muß alles,
was ich schreibe, aus meinem Kopfe nehmen. Dieses
ist mühsam, und ein Scribent, der sich in solchen Um-
ständen befindet, verdienet, daß man Gedult mit ihm
hat. Es giebt sehr wenige, die dieses erkennen, weil
es wenige giebt, die wissen, was es sey, aus seinem
eigenen Kopfe zu schreiben. Die meisten wählen ih-
nen solche Materien, von denen andere bereits alles

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(o)
tzen-Schwantz, des Neptuns Dreyzack, den Jupiter
mit zween Trabanten, die Jahrs-Zahl, eine foͤrmliche
Veſtung, muſicaliſche Noten, und ich weiß nicht was
fuͤr andere ſeltſame Figuren mehr. Mich deucht, eine
ſolche Fenſter-Scheibe iſt werth, daß man ſie bewun-
dere; ſie iſt geſchickt, allen guten Gemuͤthern zu erbau-
lichen Gedancken Anlaß zu geben, und ich ſcheue mich
nicht zu ſagen, daß, wer dadurch nicht geruͤhret wird,
ein vollſtaͤndiger Atheiſte ſey.

Wennich dem Exempel unſerer neuen Naturkuͤn-
diger folgen wolte, ſo koͤnte ich hier ſchlieſſen, und Sie
GOtt befehlen. Dieſe Herren haben die Gewohn-
heit, daß ſie ſich begnuͤgen von einem kuͤnſtlich gebilde-
ten Steinchen, oder einer andern dergleichen Raritaͤt,
ihrem Leſer eine magere Beſchreibung zu geben, ſich
darauf von ihm zu beurlauben, und ihre Schrift mit
einem andaͤchtigen Seufzer zu beſchlieſſen. Allein ich
ſchaͤme mich, es eben ſo zu machen, und halte mich
ſchuldig, Jhnen meine Gedancken uͤber die Wunder
mitzutheilen, die ich entdecket habe.

Jch hoffe, mein Herr, Sie werden es mir zu gute hal-
ten, wenn ich es, uͤber Verhoffen, nicht allemahl tref-
fen ſolte. Jch ſchreibe von einer Sache, daran vor mir
kein Menſch gedacht hat. Jch habe alſo keinen Vor-
gaͤnger, den ich ausſchreiben koͤnnte. Jch muß alles,
was ich ſchreibe, aus meinem Kopfe nehmen. Dieſes
iſt muͤhſam, und ein Scribent, der ſich in ſolchen Um-
ſtaͤnden befindet, verdienet, daß man Gedult mit ihm
hat. Es giebt ſehr wenige, die dieſes erkennen, weil
es wenige giebt, die wiſſen, was es ſey, aus ſeinem
eigenen Kopfe zu ſchreiben. Die meiſten waͤhlen ih-
nen ſolche Materien, von denen andere bereits alles

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[57/0149] (o) tzen-Schwantz, des Neptuns Dreyzack, den Jupiter mit zween Trabanten, die Jahrs-Zahl, eine foͤrmliche Veſtung, muſicaliſche Noten, und ich weiß nicht was fuͤr andere ſeltſame Figuren mehr. Mich deucht, eine ſolche Fenſter-Scheibe iſt werth, daß man ſie bewun- dere; ſie iſt geſchickt, allen guten Gemuͤthern zu erbau- lichen Gedancken Anlaß zu geben, und ich ſcheue mich nicht zu ſagen, daß, wer dadurch nicht geruͤhret wird, ein vollſtaͤndiger Atheiſte ſey. Wennich dem Exempel unſerer neuen Naturkuͤn- diger folgen wolte, ſo koͤnte ich hier ſchlieſſen, und Sie GOtt befehlen. Dieſe Herren haben die Gewohn- heit, daß ſie ſich begnuͤgen von einem kuͤnſtlich gebilde- ten Steinchen, oder einer andern dergleichen Raritaͤt, ihrem Leſer eine magere Beſchreibung zu geben, ſich darauf von ihm zu beurlauben, und ihre Schrift mit einem andaͤchtigen Seufzer zu beſchlieſſen. Allein ich ſchaͤme mich, es eben ſo zu machen, und halte mich ſchuldig, Jhnen meine Gedancken uͤber die Wunder mitzutheilen, die ich entdecket habe. Jch hoffe, mein Herr, Sie werden es mir zu gute hal- ten, wenn ich es, uͤber Verhoffen, nicht allemahl tref- fen ſolte. Jch ſchreibe von einer Sache, daran vor mir kein Menſch gedacht hat. Jch habe alſo keinen Vor- gaͤnger, den ich ausſchreiben koͤnnte. Jch muß alles, was ich ſchreibe, aus meinem Kopfe nehmen. Dieſes iſt muͤhſam, und ein Scribent, der ſich in ſolchen Um- ſtaͤnden befindet, verdienet, daß man Gedult mit ihm hat. Es giebt ſehr wenige, die dieſes erkennen, weil es wenige giebt, die wiſſen, was es ſey, aus ſeinem eigenen Kopfe zu ſchreiben. Die meiſten waͤhlen ih- nen ſolche Materien, von denen andere bereits alles ge- D 5

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Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/149>, abgerufen am 24.04.2024.