Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

(o)
Vergrösserungs-Glas gebrauchen muß, wofern man
sie sehen will. Hiedurch aber wird alles wunderbare,
das man darinn findet, vernichtet: Denn es ist keine
Sache in der Welt, an welcher man, wenn man sie
durch ein Vergrösserungs-Glas betrachten will, nicht
Dinge entdecken solte, die einem, der diese Sache nie-
mals anders, als mit dem blossen Auge angesehen hat,
nothwendig fremd und seltsam scheinen müssen.

Meine Fenster-Scheibe ist vor solchen Vorwürf-
fen sicher. Die Figuren, womit sie von der spielen-
den Natur gezieret ist, sind deutlich, und man braucht
nicht mehr, als seine Augen aufzuthun, wenn man die-
selbe sehen will. Sie sehen darauf, mein Herr, in der
Mitten ein Menschen-Angesicht, auf dessen Stirne
die Zahl 666. sich deutlich zeiget. Das Haupt ist mit
einer Art von Mützen gezieret, die Anfangs immer spi-
tzer wird, endlich aber sich zu beyden Seiten, als eine
Flagge, ausbreitet, in deren Mitten ein halber Mond
zu sehen, welcher zur Rechten und Lincken mit Cara-
cteren umgeben ist, die den arabischen und malaba-
rischen Buchstaben ähnlich sind. Um den Hals ist
ein doppelter Kragen: auf der Brust siehet man gantz
deutlich ausgedruckte hebräische Buchstaben, und
der zu diesem Gesichte gehörige Cörper läufft unter-
werts immer spitzer zusammen, und gewinnet endlich
fast die Gestalt eines Fisch-Schwantzes. Zu beyden
Seiten des Kopfes sehen sie zweene förmliche Sterne.
Sie sehen ferner auf meiner Fenster-Scheibe Come-
ten, Donner-Keile, chymische Zeichen, magische Cara-
cteres, lateinische Buchstaben, Zahlen, Gesichter,
Blumen, Bäume, ein vierfüßiges Thier mit einem
menschlichen Antlitze, Bocks-Hörnern und einem Ra-

tzen-

(o)
Vergroͤſſerungs-Glas gebrauchen muß, wofern man
ſie ſehen will. Hiedurch aber wird alles wunderbare,
das man darinn findet, vernichtet: Denn es iſt keine
Sache in der Welt, an welcher man, wenn man ſie
durch ein Vergroͤſſerungs-Glas betrachten will, nicht
Dinge entdecken ſolte, die einem, der dieſe Sache nie-
mals anders, als mit dem bloſſen Auge angeſehen hat,
nothwendig fremd und ſeltſam ſcheinen muͤſſen.

Meine Fenſter-Scheibe iſt vor ſolchen Vorwuͤrf-
fen ſicher. Die Figuren, womit ſie von der ſpielen-
den Natur gezieret iſt, ſind deutlich, und man braucht
nicht mehr, als ſeine Augen aufzuthun, wenn man die-
ſelbe ſehen will. Sie ſehen darauf, mein Herr, in der
Mitten ein Menſchen-Angeſicht, auf deſſen Stirne
die Zahl 666. ſich deutlich zeiget. Das Haupt iſt mit
einer Art von Muͤtzen gezieret, die Anfangs immer ſpi-
tzer wird, endlich aber ſich zu beyden Seiten, als eine
Flagge, ausbreitet, in deren Mitten ein halber Mond
zu ſehen, welcher zur Rechten und Lincken mit Cara-
cteren umgeben iſt, die den arabiſchen und malaba-
riſchen Buchſtaben aͤhnlich ſind. Um den Hals iſt
ein doppelter Kragen: auf der Bruſt ſiehet man gantz
deutlich ausgedruckte hebraͤiſche Buchſtaben, und
der zu dieſem Geſichte gehoͤrige Coͤrper laͤufft unter-
werts immer ſpitzer zuſammen, und gewinnet endlich
faſt die Geſtalt eines Fiſch-Schwantzes. Zu beyden
Seiten des Kopfes ſehen ſie zweene foͤrmliche Sterne.
Sie ſehen ferner auf meiner Fenſter-Scheibe Come-
ten, Donner-Keile, chymiſche Zeichen, magiſche Cara-
cteres, lateiniſche Buchſtaben, Zahlen, Geſichter,
Blumen, Baͤume, ein vierfuͤßiges Thier mit einem
menſchlichen Antlitze, Bocks-Hoͤrnern und einem Ra-

tzen-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0148" n="56"/><fw place="top" type="header">(<hi rendition="#aq">o</hi>)</fw><lb/>
Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erungs-Glas gebrauchen muß, wofern man<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehen will. Hiedurch aber wird alles wunderbare,<lb/>
das man darinn findet, vernichtet: Denn es i&#x017F;t keine<lb/>
Sache in der Welt, an welcher man, wenn man &#x017F;ie<lb/>
durch ein Vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erungs-Glas betrachten will, nicht<lb/>
Dinge entdecken &#x017F;olte, die einem, der die&#x017F;e Sache nie-<lb/>
mals anders, als mit dem blo&#x017F;&#x017F;en Auge ange&#x017F;ehen hat,<lb/>
nothwendig fremd und &#x017F;elt&#x017F;am &#x017F;cheinen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Meine Fen&#x017F;ter-Scheibe i&#x017F;t vor &#x017F;olchen Vorwu&#x0364;rf-<lb/>
fen &#x017F;icher. Die Figuren, womit &#x017F;ie von der &#x017F;pielen-<lb/>
den Natur gezieret i&#x017F;t, &#x017F;ind deutlich, und man braucht<lb/>
nicht mehr, als &#x017F;eine Augen aufzuthun, wenn man die-<lb/>
&#x017F;elbe &#x017F;ehen will. Sie &#x017F;ehen darauf, mein Herr, in der<lb/>
Mitten ein Men&#x017F;chen-Ange&#x017F;icht, auf de&#x017F;&#x017F;en Stirne<lb/>
die Zahl 666. &#x017F;ich deutlich zeiget. Das Haupt i&#x017F;t mit<lb/>
einer Art von Mu&#x0364;tzen gezieret, die Anfangs immer &#x017F;pi-<lb/>
tzer wird, endlich aber &#x017F;ich zu beyden Seiten, als eine<lb/>
Flagge, ausbreitet, in deren Mitten ein halber Mond<lb/>
zu &#x017F;ehen, welcher zur Rechten und Lincken mit Cara-<lb/>
cteren umgeben i&#x017F;t, die den arabi&#x017F;chen und malaba-<lb/>
ri&#x017F;chen Buch&#x017F;taben a&#x0364;hnlich &#x017F;ind. Um den Hals i&#x017F;t<lb/>
ein doppelter Kragen: auf der Bru&#x017F;t &#x017F;iehet man gantz<lb/>
deutlich ausgedruckte hebra&#x0364;i&#x017F;che Buch&#x017F;taben, und<lb/>
der zu die&#x017F;em Ge&#x017F;ichte geho&#x0364;rige Co&#x0364;rper la&#x0364;ufft unter-<lb/>
werts immer &#x017F;pitzer zu&#x017F;ammen, und gewinnet endlich<lb/>
fa&#x017F;t die Ge&#x017F;talt eines Fi&#x017F;ch-Schwantzes. Zu beyden<lb/>
Seiten des Kopfes &#x017F;ehen &#x017F;ie zweene fo&#x0364;rmliche Sterne.<lb/>
Sie &#x017F;ehen ferner auf meiner Fen&#x017F;ter-Scheibe Come-<lb/>
ten, Donner-Keile, chymi&#x017F;che Zeichen, magi&#x017F;che Cara-<lb/>
cteres, lateini&#x017F;che Buch&#x017F;taben, Zahlen, Ge&#x017F;ichter,<lb/>
Blumen, Ba&#x0364;ume, ein vierfu&#x0364;ßiges Thier mit einem<lb/>
men&#x017F;chlichen Antlitze, Bocks-Ho&#x0364;rnern und einem Ra-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">tzen-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0148] (o) Vergroͤſſerungs-Glas gebrauchen muß, wofern man ſie ſehen will. Hiedurch aber wird alles wunderbare, das man darinn findet, vernichtet: Denn es iſt keine Sache in der Welt, an welcher man, wenn man ſie durch ein Vergroͤſſerungs-Glas betrachten will, nicht Dinge entdecken ſolte, die einem, der dieſe Sache nie- mals anders, als mit dem bloſſen Auge angeſehen hat, nothwendig fremd und ſeltſam ſcheinen muͤſſen. Meine Fenſter-Scheibe iſt vor ſolchen Vorwuͤrf- fen ſicher. Die Figuren, womit ſie von der ſpielen- den Natur gezieret iſt, ſind deutlich, und man braucht nicht mehr, als ſeine Augen aufzuthun, wenn man die- ſelbe ſehen will. Sie ſehen darauf, mein Herr, in der Mitten ein Menſchen-Angeſicht, auf deſſen Stirne die Zahl 666. ſich deutlich zeiget. Das Haupt iſt mit einer Art von Muͤtzen gezieret, die Anfangs immer ſpi- tzer wird, endlich aber ſich zu beyden Seiten, als eine Flagge, ausbreitet, in deren Mitten ein halber Mond zu ſehen, welcher zur Rechten und Lincken mit Cara- cteren umgeben iſt, die den arabiſchen und malaba- riſchen Buchſtaben aͤhnlich ſind. Um den Hals iſt ein doppelter Kragen: auf der Bruſt ſiehet man gantz deutlich ausgedruckte hebraͤiſche Buchſtaben, und der zu dieſem Geſichte gehoͤrige Coͤrper laͤufft unter- werts immer ſpitzer zuſammen, und gewinnet endlich faſt die Geſtalt eines Fiſch-Schwantzes. Zu beyden Seiten des Kopfes ſehen ſie zweene foͤrmliche Sterne. Sie ſehen ferner auf meiner Fenſter-Scheibe Come- ten, Donner-Keile, chymiſche Zeichen, magiſche Cara- cteres, lateiniſche Buchſtaben, Zahlen, Geſichter, Blumen, Baͤume, ein vierfuͤßiges Thier mit einem menſchlichen Antlitze, Bocks-Hoͤrnern und einem Ra- tzen-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die Verlagsangabe wurde ermittelt (vgl. http://op… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/148
Zitationshilfe: [Liscow, Christian Ludwig]: Samlung Satyrischer und Ernsthafter Schriften. Frankfurt u. a., 1739, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liscow_samlung_1739/148>, abgerufen am 24.11.2024.