Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Assimilation des Kohlenstoffs.

Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache,
in der Sprache der Erscheinungen, auf Fragen giebt sie jeder-
zeit Antwort, diese Fragen sind die Versuche.

Ein Versuch ist der Ausdruck eines Gedankens, entspricht
die hervorgerufene Erscheinung dem Gedachten, so sind wir
einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon beweis't, daß die
Frage falsch gestellt, daß die Vorstellung unrichtig war.

Eine Prüfung der Versuche eines Andern ist eine Prüfung
seiner Ansichten, für die er Beweise gegeben hat; wenn die
Prüfung nur negirt, wenn sie keine richtigeren Vorstellungen
an die Stelle derjenigen setzt, die man zu widerlegen sucht, so
verdient eine solche Wiederholung von Versuchen nicht beachtet
zu werden, denn je schlechter der wiederholende Fragesteller,
Experimentator ist, desto schärfer, desto größer im Widerspruch
fällt sein Beweis aus.

Man vergißt in der Physiologie zu sehr, daß es sich nicht
darum handelt, die Versuche eines Andern zu widerlegen oder
unrichtig zu finden, sondern daß das Ziel, nachdem wir Alle
streben, die Wahrheit und nur die Wahrheit ist. Daher denn
dieser Ballast von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl ge-
machten Versuchen; man erstaunt, wenn man sich überzeugt,
wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge
Personen von Geist, Talent und Kenntnissen darauf hinaus-
läuft, sich gegenseitig zu sagen, daß sie vollkommen Unrecht
haben.

Auch sie haben mit dem besten Willen, mit aller Gewissen-
haftigkeit Versuche angestellt, und die Meinung, ob die Koh-
lensäure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die
Antwort entsprach dieser Ansicht nicht, sie fiel gänzlich vernei-
nend aus. Wie waren aber die Fragen gestellt?

Sie säeten den Saamen von Balsaminen, Vicebohnen,

Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs.

Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache,
in der Sprache der Erſcheinungen, auf Fragen giebt ſie jeder-
zeit Antwort, dieſe Fragen ſind die Verſuche.

Ein Verſuch iſt der Ausdruck eines Gedankens, entſpricht
die hervorgerufene Erſcheinung dem Gedachten, ſo ſind wir
einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon beweiſ’t, daß die
Frage falſch geſtellt, daß die Vorſtellung unrichtig war.

Eine Prüfung der Verſuche eines Andern iſt eine Prüfung
ſeiner Anſichten, für die er Beweiſe gegeben hat; wenn die
Prüfung nur negirt, wenn ſie keine richtigeren Vorſtellungen
an die Stelle derjenigen ſetzt, die man zu widerlegen ſucht, ſo
verdient eine ſolche Wiederholung von Verſuchen nicht beachtet
zu werden, denn je ſchlechter der wiederholende Frageſteller,
Experimentator iſt, deſto ſchärfer, deſto größer im Widerſpruch
fällt ſein Beweis aus.

Man vergißt in der Phyſiologie zu ſehr, daß es ſich nicht
darum handelt, die Verſuche eines Andern zu widerlegen oder
unrichtig zu finden, ſondern daß das Ziel, nachdem wir Alle
ſtreben, die Wahrheit und nur die Wahrheit iſt. Daher denn
dieſer Ballaſt von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl ge-
machten Verſuchen; man erſtaunt, wenn man ſich überzeugt,
wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge
Perſonen von Geiſt, Talent und Kenntniſſen darauf hinaus-
läuft, ſich gegenſeitig zu ſagen, daß ſie vollkommen Unrecht
haben.

Auch ſie haben mit dem beſten Willen, mit aller Gewiſſen-
haftigkeit Verſuche angeſtellt, und die Meinung, ob die Koh-
lenſäure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die
Antwort entſprach dieſer Anſicht nicht, ſie fiel gänzlich vernei-
nend aus. Wie waren aber die Fragen geſtellt?

Sie ſäeten den Saamen von Balſaminen, Vicebohnen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0055" n="37"/>
          <fw place="top" type="header">Die A&#x017F;&#x017F;imilation des Kohlen&#x017F;toffs.</fw><lb/>
          <p>Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache,<lb/>
in der Sprache der Er&#x017F;cheinungen, auf Fragen giebt &#x017F;ie jeder-<lb/>
zeit Antwort, die&#x017F;e Fragen &#x017F;ind die Ver&#x017F;uche.</p><lb/>
          <p>Ein Ver&#x017F;uch i&#x017F;t der Ausdruck eines Gedankens, ent&#x017F;pricht<lb/>
die hervorgerufene Er&#x017F;cheinung dem Gedachten, &#x017F;o &#x017F;ind wir<lb/>
einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon bewei&#x017F;&#x2019;t, daß die<lb/>
Frage fal&#x017F;ch ge&#x017F;tellt, daß die Vor&#x017F;tellung unrichtig war.</p><lb/>
          <p>Eine Prüfung der Ver&#x017F;uche eines Andern i&#x017F;t eine Prüfung<lb/>
&#x017F;einer An&#x017F;ichten, für die er Bewei&#x017F;e gegeben hat; wenn die<lb/>
Prüfung nur negirt, wenn &#x017F;ie keine richtigeren Vor&#x017F;tellungen<lb/>
an die Stelle derjenigen &#x017F;etzt, die man zu widerlegen &#x017F;ucht, &#x017F;o<lb/>
verdient eine &#x017F;olche Wiederholung von Ver&#x017F;uchen nicht beachtet<lb/>
zu werden, denn je &#x017F;chlechter der wiederholende Frage&#x017F;teller,<lb/>
Experimentator i&#x017F;t, de&#x017F;to &#x017F;chärfer, de&#x017F;to größer im Wider&#x017F;pruch<lb/>
fällt &#x017F;ein Beweis aus.</p><lb/>
          <p>Man vergißt in der Phy&#x017F;iologie zu &#x017F;ehr, daß es &#x017F;ich nicht<lb/>
darum handelt, die Ver&#x017F;uche eines Andern zu widerlegen oder<lb/>
unrichtig zu finden, &#x017F;ondern daß das Ziel, nachdem wir Alle<lb/>
&#x017F;treben, die Wahrheit und nur die Wahrheit i&#x017F;t. Daher denn<lb/>
die&#x017F;er Balla&#x017F;t von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl ge-<lb/>
machten Ver&#x017F;uchen; man er&#x017F;taunt, wenn man &#x017F;ich überzeugt,<lb/>
wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge<lb/>
Per&#x017F;onen von Gei&#x017F;t, Talent und Kenntni&#x017F;&#x017F;en darauf hinaus-<lb/>
läuft, &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig zu &#x017F;agen, daß &#x017F;ie vollkommen Unrecht<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p>Auch &#x017F;ie haben mit dem be&#x017F;ten Willen, mit aller Gewi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
haftigkeit Ver&#x017F;uche ange&#x017F;tellt, und die Meinung, ob die Koh-<lb/>
len&#x017F;äure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die<lb/>
Antwort ent&#x017F;prach die&#x017F;er An&#x017F;icht nicht, &#x017F;ie fiel gänzlich vernei-<lb/>
nend aus. Wie waren aber die Fragen ge&#x017F;tellt?</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;äeten den Saamen von Bal&#x017F;aminen, Vicebohnen,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[37/0055] Die Aſſimilation des Kohlenſtoffs. Die Natur redet mit uns in einer eigenthümlichen Sprache, in der Sprache der Erſcheinungen, auf Fragen giebt ſie jeder- zeit Antwort, dieſe Fragen ſind die Verſuche. Ein Verſuch iſt der Ausdruck eines Gedankens, entſpricht die hervorgerufene Erſcheinung dem Gedachten, ſo ſind wir einer Wahrheit nahe; das Gegentheil davon beweiſ’t, daß die Frage falſch geſtellt, daß die Vorſtellung unrichtig war. Eine Prüfung der Verſuche eines Andern iſt eine Prüfung ſeiner Anſichten, für die er Beweiſe gegeben hat; wenn die Prüfung nur negirt, wenn ſie keine richtigeren Vorſtellungen an die Stelle derjenigen ſetzt, die man zu widerlegen ſucht, ſo verdient eine ſolche Wiederholung von Verſuchen nicht beachtet zu werden, denn je ſchlechter der wiederholende Frageſteller, Experimentator iſt, deſto ſchärfer, deſto größer im Widerſpruch fällt ſein Beweis aus. Man vergißt in der Phyſiologie zu ſehr, daß es ſich nicht darum handelt, die Verſuche eines Andern zu widerlegen oder unrichtig zu finden, ſondern daß das Ziel, nachdem wir Alle ſtreben, die Wahrheit und nur die Wahrheit iſt. Daher denn dieſer Ballaſt von nichtsbedeutenden, aufs Geradewohl ge- machten Verſuchen; man erſtaunt, wenn man ſich überzeugt, wie der ganze Aufwand von Zeit und Kraft einer Menge Perſonen von Geiſt, Talent und Kenntniſſen darauf hinaus- läuft, ſich gegenſeitig zu ſagen, daß ſie vollkommen Unrecht haben. Auch ſie haben mit dem beſten Willen, mit aller Gewiſſen- haftigkeit Verſuche angeſtellt, und die Meinung, ob die Koh- lenſäure wirklich nähre, einer Prüfung unterworfen, allein die Antwort entſprach dieſer Anſicht nicht, ſie fiel gänzlich vernei- nend aus. Wie waren aber die Fragen geſtellt? Sie ſäeten den Saamen von Balſaminen, Vicebohnen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/55
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/55>, abgerufen am 24.11.2024.