tel wirken, wenn er nur eine partielle Aenderung hervorge- bracht hat.
Unter allen Bestandtheilen des lebenden Organismus giebt es keinen, welcher in seiner Schwäche des Widerstandes gegen äußere Thätigkeiten mit dem Blute verglichen werden kann; denn es ist nicht ein entstandenes, sondern ein entstehendes Or- gan, es ist die Summe der entstehenden Organe; die chemi- sche Kraft und Lebenskraft halten sich einander in so vollkom- menem Gleichgewichte, daß jede auch die kleinste Störung, durch welche Ursache es auch sei, eine Veränderung im Blute be- wirkt; es kann nicht von dem Körper getrennt werden, ohne eine augenblicklich erfolgende Umwandlung zu erfahren, es kann mit keinem Organ im Körper in Berührung treten, ohne sei- ner Anziehung zu unterliegen.
Jede, auch die schwächste Einwirkung einer chemischen Thä- tigkeit, sie übt, in das Blut gebracht, eine nachtheilige Verän- derung aus, selbst der durch Zellen und Häute vermittelte mo- mentane Contact mit der Luft in der Lunge ändert Farbe und Beschaffenheit; eine jede chemische Action pflanzt sich im Blute fort, der Zustand einer in Zersetzung, Fäulniß, Gährung und Ver- wesung begriffenen Materie, die chemische Action, in welcher die Bestandtheile eines in Zersetzung begriffenen Körpers sich be- finden, sie stören den Zustand des Gleichgewichts zwischen der chemischen Kraft und der Lebenskraft im Blut. Die erstere erhält das Uebergewicht; zahllose Modificationen in der Zu- sammensetzung, dem Zustande, der aus den Elementen des Blu- tes gebildeten Verbindungen, sie gehen aus dem Kampf der Lebenskraft mit der chemischen Action, die sie unaufhörlich zu überwältigen strebt, hervor.
Dem ganzen Verhalten aller Erscheinungen nach läßt sich den Contagien kein eigenthümliches Leben zuschreiben; sie üben
Gift, Contagien, Miasmen.
tel wirken, wenn er nur eine partielle Aenderung hervorge- bracht hat.
Unter allen Beſtandtheilen des lebenden Organismus giebt es keinen, welcher in ſeiner Schwäche des Widerſtandes gegen äußere Thätigkeiten mit dem Blute verglichen werden kann; denn es iſt nicht ein entſtandenes, ſondern ein entſtehendes Or- gan, es iſt die Summe der entſtehenden Organe; die chemi- ſche Kraft und Lebenskraft halten ſich einander in ſo vollkom- menem Gleichgewichte, daß jede auch die kleinſte Störung, durch welche Urſache es auch ſei, eine Veränderung im Blute be- wirkt; es kann nicht von dem Körper getrennt werden, ohne eine augenblicklich erfolgende Umwandlung zu erfahren, es kann mit keinem Organ im Körper in Berührung treten, ohne ſei- ner Anziehung zu unterliegen.
Jede, auch die ſchwächſte Einwirkung einer chemiſchen Thä- tigkeit, ſie übt, in das Blut gebracht, eine nachtheilige Verän- derung aus, ſelbſt der durch Zellen und Häute vermittelte mo- mentane Contact mit der Luft in der Lunge ändert Farbe und Beſchaffenheit; eine jede chemiſche Action pflanzt ſich im Blute fort, der Zuſtand einer in Zerſetzung, Fäulniß, Gährung und Ver- weſung begriffenen Materie, die chemiſche Action, in welcher die Beſtandtheile eines in Zerſetzung begriffenen Körpers ſich be- finden, ſie ſtören den Zuſtand des Gleichgewichts zwiſchen der chemiſchen Kraft und der Lebenskraft im Blut. Die erſtere erhält das Uebergewicht; zahlloſe Modificationen in der Zu- ſammenſetzung, dem Zuſtande, der aus den Elementen des Blu- tes gebildeten Verbindungen, ſie gehen aus dem Kampf der Lebenskraft mit der chemiſchen Action, die ſie unaufhörlich zu überwältigen ſtrebt, hervor.
Dem ganzen Verhalten aller Erſcheinungen nach läßt ſich den Contagien kein eigenthümliches Leben zuſchreiben; ſie üben
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Gift, Contagien, Miasmen.
tel wirken, wenn er nur eine partielle Aenderung hervorge-
bracht hat.
Unter allen Beſtandtheilen des lebenden Organismus giebt
es keinen, welcher in ſeiner Schwäche des Widerſtandes gegen
äußere Thätigkeiten mit dem Blute verglichen werden kann;
denn es iſt nicht ein entſtandenes, ſondern ein entſtehendes Or-
gan, es iſt die Summe der entſtehenden Organe; die chemi-
ſche Kraft und Lebenskraft halten ſich einander in ſo vollkom-
menem Gleichgewichte, daß jede auch die kleinſte Störung, durch
welche Urſache es auch ſei, eine Veränderung im Blute be-
wirkt; es kann nicht von dem Körper getrennt werden, ohne
eine augenblicklich erfolgende Umwandlung zu erfahren, es kann
mit keinem Organ im Körper in Berührung treten, ohne ſei-
ner Anziehung zu unterliegen.
Jede, auch die ſchwächſte Einwirkung einer chemiſchen Thä-
tigkeit, ſie übt, in das Blut gebracht, eine nachtheilige Verän-
derung aus, ſelbſt der durch Zellen und Häute vermittelte mo-
mentane Contact mit der Luft in der Lunge ändert Farbe und
Beſchaffenheit; eine jede chemiſche Action pflanzt ſich im Blute
fort, der Zuſtand einer in Zerſetzung, Fäulniß, Gährung und Ver-
weſung begriffenen Materie, die chemiſche Action, in welcher die
Beſtandtheile eines in Zerſetzung begriffenen Körpers ſich be-
finden, ſie ſtören den Zuſtand des Gleichgewichts zwiſchen der
chemiſchen Kraft und der Lebenskraft im Blut. Die erſtere
erhält das Uebergewicht; zahlloſe Modificationen in der Zu-
ſammenſetzung, dem Zuſtande, der aus den Elementen des Blu-
tes gebildeten Verbindungen, ſie gehen aus dem Kampf der
Lebenskraft mit der chemiſchen Action, die ſie unaufhörlich zu
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Dem ganzen Verhalten aller Erſcheinungen nach läßt ſich
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/343>, abgerufen am 24.11.2024.
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