Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Gift, Contagien, Miasmen.
eine gewisse Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit
mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Ur-
sache dieser Wirkung ist chemische Action, welche aufgehoben
werden kann durch andere chemische Actionen, durch entgegen-
gesetzte Thätigkeiten.

Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsprocesse
erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze
Wirksamkeit, andere werden nicht zerstört.

Wie bedeutsam und entscheidend für ihre chemische Natur
und Wirkungsweise ist hier der Umstand, daß diejenigen von
ihnen, welche neutral sind oder eine alkalische Beschaffenheit
zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß diese im
Magen ihre Ansteckungsfähigkeit verlieren, während das Wurst-
gift, welches sauer reagirt, seine ganze furchtbare Wirkung
behält.

Es ist die im Magen stets vorhandene freie Säure, welche
die ihr entgegengesetzte chemische Thätigkeit in dem einen Fall
aufhebt, während sie in dem andern die Wirkung verstärkt,
oder jedenfalls kein Hinderniß entgegensetzt.

Man hat bei mikroscopischen Untersuchungen in bösartigem
faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe etc. eigenthümliche, den
Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden-
sein gab der Meinung Gewicht, daß die Ansteckung von der
Entwickelung eines krankhaften organischen Lebens ausgehe;
man hat in diesen Formen den lebendigen Saamen der Krank-
heit gesehen.

Diese Ansicht ist keiner Discussion fähig; sie hat die Na-
turforscher, welche die Erklärungen von Erscheinungen in For-
men zu suchen gewohnt sind, dahin geführt, die Hefe, die sich
in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten,
für Pflanzen oder Thiere, die sich von dem Zucker nähren und

Gift, Contagien, Miasmen.
eine gewiſſe Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit
mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Ur-
ſache dieſer Wirkung iſt chemiſche Action, welche aufgehoben
werden kann durch andere chemiſche Actionen, durch entgegen-
geſetzte Thätigkeiten.

Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsproceſſe
erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze
Wirkſamkeit, andere werden nicht zerſtört.

Wie bedeutſam und entſcheidend für ihre chemiſche Natur
und Wirkungsweiſe iſt hier der Umſtand, daß diejenigen von
ihnen, welche neutral ſind oder eine alkaliſche Beſchaffenheit
zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß dieſe im
Magen ihre Anſteckungsfähigkeit verlieren, während das Wurſt-
gift, welches ſauer reagirt, ſeine ganze furchtbare Wirkung
behält.

Es iſt die im Magen ſtets vorhandene freie Säure, welche
die ihr entgegengeſetzte chemiſche Thätigkeit in dem einen Fall
aufhebt, während ſie in dem andern die Wirkung verſtärkt,
oder jedenfalls kein Hinderniß entgegenſetzt.

Man hat bei mikroscopiſchen Unterſuchungen in bösartigem
faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe ꝛc. eigenthümliche, den
Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden-
ſein gab der Meinung Gewicht, daß die Anſteckung von der
Entwickelung eines krankhaften organiſchen Lebens ausgehe;
man hat in dieſen Formen den lebendigen Saamen der Krank-
heit geſehen.

Dieſe Anſicht iſt keiner Discuſſion fähig; ſie hat die Na-
turforſcher, welche die Erklärungen von Erſcheinungen in For-
men zu ſuchen gewohnt ſind, dahin geführt, die Hefe, die ſich
in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten,
für Pflanzen oder Thiere, die ſich von dem Zucker nähren und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="326"/><fw place="top" type="header">Gift, Contagien, Miasmen.</fw><lb/>
eine gewi&#x017F;&#x017F;e Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit<lb/>
mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Ur-<lb/>
&#x017F;ache die&#x017F;er Wirkung i&#x017F;t chemi&#x017F;che Action, welche aufgehoben<lb/>
werden kann durch andere chemi&#x017F;che Actionen, durch entgegen-<lb/>
ge&#x017F;etzte Thätigkeiten.</p><lb/>
          <p>Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsproce&#x017F;&#x017F;e<lb/>
erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze<lb/>
Wirk&#x017F;amkeit, andere werden nicht zer&#x017F;tört.</p><lb/>
          <p>Wie bedeut&#x017F;am und ent&#x017F;cheidend für ihre chemi&#x017F;che Natur<lb/>
und Wirkungswei&#x017F;e i&#x017F;t hier der Um&#x017F;tand, daß diejenigen von<lb/>
ihnen, welche neutral &#x017F;ind oder eine alkali&#x017F;che Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß die&#x017F;e im<lb/>
Magen ihre An&#x017F;teckungsfähigkeit verlieren, während das Wur&#x017F;t-<lb/>
gift, welches &#x017F;auer reagirt, &#x017F;eine ganze furchtbare Wirkung<lb/>
behält.</p><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t die im Magen &#x017F;tets vorhandene freie Säure, welche<lb/>
die ihr entgegenge&#x017F;etzte chemi&#x017F;che Thätigkeit in dem einen Fall<lb/>
aufhebt, während &#x017F;ie in dem andern die Wirkung ver&#x017F;tärkt,<lb/>
oder jedenfalls kein Hinderniß entgegen&#x017F;etzt.</p><lb/>
          <p>Man hat bei mikroscopi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen in bösartigem<lb/>
faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe &#xA75B;c. eigenthümliche, den<lb/>
Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden-<lb/>
&#x017F;ein gab der Meinung Gewicht, daß die An&#x017F;teckung von der<lb/>
Entwickelung eines krankhaften organi&#x017F;chen Lebens ausgehe;<lb/>
man hat in die&#x017F;en Formen den lebendigen Saamen der Krank-<lb/>
heit ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e An&#x017F;icht i&#x017F;t keiner Discu&#x017F;&#x017F;ion fähig; &#x017F;ie hat die Na-<lb/>
turfor&#x017F;cher, welche die Erklärungen von Er&#x017F;cheinungen in For-<lb/>
men zu &#x017F;uchen gewohnt &#x017F;ind, dahin geführt, die Hefe, die &#x017F;ich<lb/>
in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten,<lb/>
für Pflanzen oder Thiere, die &#x017F;ich von dem Zucker nähren und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[326/0344] Gift, Contagien, Miasmen. eine gewiſſe Wirkung aus, welche eine große Aehnlichkeit mit Vorgängen im lebenden Organismus hat; allein die Ur- ſache dieſer Wirkung iſt chemiſche Action, welche aufgehoben werden kann durch andere chemiſche Actionen, durch entgegen- geſetzte Thätigkeiten. Von dem im lebendigen Körper durch Krankheitsproceſſe erzeugbaren Gifte verlieren einige im Magen ihre ganze Wirkſamkeit, andere werden nicht zerſtört. Wie bedeutſam und entſcheidend für ihre chemiſche Natur und Wirkungsweiſe iſt hier der Umſtand, daß diejenigen von ihnen, welche neutral ſind oder eine alkaliſche Beſchaffenheit zeigen, wie das Milzbrandgift, das Blatterngift, daß dieſe im Magen ihre Anſteckungsfähigkeit verlieren, während das Wurſt- gift, welches ſauer reagirt, ſeine ganze furchtbare Wirkung behält. Es iſt die im Magen ſtets vorhandene freie Säure, welche die ihr entgegengeſetzte chemiſche Thätigkeit in dem einen Fall aufhebt, während ſie in dem andern die Wirkung verſtärkt, oder jedenfalls kein Hinderniß entgegenſetzt. Man hat bei mikroscopiſchen Unterſuchungen in bösartigem faulenden Eiter, in Kuhpockenlymphe ꝛc. eigenthümliche, den Blutkügelchen ähnliche Bildungen beobachtet; ihr Vorhanden- ſein gab der Meinung Gewicht, daß die Anſteckung von der Entwickelung eines krankhaften organiſchen Lebens ausgehe; man hat in dieſen Formen den lebendigen Saamen der Krank- heit geſehen. Dieſe Anſicht iſt keiner Discuſſion fähig; ſie hat die Na- turforſcher, welche die Erklärungen von Erſcheinungen in For- men zu ſuchen gewohnt ſind, dahin geführt, die Hefe, die ſich in der Biergährung bildet, ebenfalls als belebt zu betrachten, für Pflanzen oder Thiere, die ſich von dem Zucker nähren und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/344
Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/344>, abgerufen am 24.11.2024.