Betrachten wir den Erfolg der Einwirkung des Sauer- stoffs auf eine wasserstoffreiche Materie, den Alkohol z. B., so ergiebt sich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß die directe Bil- dung der Kohlensäure stets das letzte Stadium ihrer Oxidation ist, und daß bis zu ihrem Auftreten die Materie eine gewisse Anzahl von Veränderungen durchlaufen hat, deren letzte eine völlige Verbrennung ihres Wasserstoffs ist.
In dem Aldehyd, der Essigsäure, Ameisensäure, Oxalsäure und Kohlensäure haben wir eine zusammenhängende Reihe von Oxidationsproducten des Alkohols, in welcher man die Ver- änderungen, durch die Einwirkung des Sauerstoffs, mit Leichtig- keit verfolgen kann. Der Aldehyd ist Alkohol, minus Wasser- stoff; die Essigsäure entsteht aus dem Aldehyd, indem sich dieser direct mit Sauerstoff verbindet. Durch weiteres Hinzutreten von Sauerstoff entsteht aus der Essigsäure Ameisensäure und Wasser; wird aller Wasserstoff in der Ameisensäure hinwegge- nommen, so hat man Oxalsäure, und tritt zu dieser eine neue Quantität Sauerstoff hinzu, so verwandelt sie sich in Kohlen- säure.
Wenn nun auch bei der Einwirkung oxidirender Materien auf Alkohol alle diese Producte gleichzeitig aufzutreten scheinen, so bleibt doch kaum ein Zweifel, daß die Bildung des letzten Products, der Kohlensäure, eine vorhergehende Hinwegnahme alles Wasserstoffs voraussetzt.
In der Verwesung der trocknenden Oele ist die Absorbtion des Sauerstoffs offenbar nicht bedingt durch die Oxidation ihres Kohlenstoffs, denn bei dem rohen Nußöl z. B., welches nicht frei war von Schleim und anderen Stoffen, bildete sich für 146 Vol. absorbirten Sauerstoff nur 21 Vol. kohlensau- res Gas.
Man muß erwägen, daß eine Verbrennung in niederer Tem-
Verweſung.
Betrachten wir den Erfolg der Einwirkung des Sauer- ſtoffs auf eine waſſerſtoffreiche Materie, den Alkohol z. B., ſo ergiebt ſich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß die directe Bil- dung der Kohlenſäure ſtets das letzte Stadium ihrer Oxidation iſt, und daß bis zu ihrem Auftreten die Materie eine gewiſſe Anzahl von Veränderungen durchlaufen hat, deren letzte eine völlige Verbrennung ihres Waſſerſtoffs iſt.
In dem Aldehyd, der Eſſigſäure, Ameiſenſäure, Oxalſäure und Kohlenſäure haben wir eine zuſammenhängende Reihe von Oxidationsproducten des Alkohols, in welcher man die Ver- änderungen, durch die Einwirkung des Sauerſtoffs, mit Leichtig- keit verfolgen kann. Der Aldehyd iſt Alkohol, minus Waſſer- ſtoff; die Eſſigſäure entſteht aus dem Aldehyd, indem ſich dieſer direct mit Sauerſtoff verbindet. Durch weiteres Hinzutreten von Sauerſtoff entſteht aus der Eſſigſäure Ameiſenſäure und Waſſer; wird aller Waſſerſtoff in der Ameiſenſäure hinwegge- nommen, ſo hat man Oxalſäure, und tritt zu dieſer eine neue Quantität Sauerſtoff hinzu, ſo verwandelt ſie ſich in Kohlen- ſäure.
Wenn nun auch bei der Einwirkung oxidirender Materien auf Alkohol alle dieſe Producte gleichzeitig aufzutreten ſcheinen, ſo bleibt doch kaum ein Zweifel, daß die Bildung des letzten Products, der Kohlenſäure, eine vorhergehende Hinwegnahme alles Waſſerſtoffs vorausſetzt.
In der Verweſung der trocknenden Oele iſt die Abſorbtion des Sauerſtoffs offenbar nicht bedingt durch die Oxidation ihres Kohlenſtoffs, denn bei dem rohen Nußöl z. B., welches nicht frei war von Schleim und anderen Stoffen, bildete ſich für 146 Vol. abſorbirten Sauerſtoff nur 21 Vol. kohlenſau- res Gas.
Man muß erwägen, daß eine Verbrennung in niederer Tem-
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Verweſung.
Betrachten wir den Erfolg der Einwirkung des Sauer-
ſtoffs auf eine waſſerſtoffreiche Materie, den Alkohol z. B., ſo
ergiebt ſich mit unzweifelhafter Gewißheit, daß die directe Bil-
dung der Kohlenſäure ſtets das letzte Stadium ihrer Oxidation
iſt, und daß bis zu ihrem Auftreten die Materie eine gewiſſe
Anzahl von Veränderungen durchlaufen hat, deren letzte eine
völlige Verbrennung ihres Waſſerſtoffs iſt.
In dem Aldehyd, der Eſſigſäure, Ameiſenſäure, Oxalſäure
und Kohlenſäure haben wir eine zuſammenhängende Reihe von
Oxidationsproducten des Alkohols, in welcher man die Ver-
änderungen, durch die Einwirkung des Sauerſtoffs, mit Leichtig-
keit verfolgen kann. Der Aldehyd iſt Alkohol, minus Waſſer-
ſtoff; die Eſſigſäure entſteht aus dem Aldehyd, indem ſich dieſer
direct mit Sauerſtoff verbindet. Durch weiteres Hinzutreten
von Sauerſtoff entſteht aus der Eſſigſäure Ameiſenſäure und
Waſſer; wird aller Waſſerſtoff in der Ameiſenſäure hinwegge-
nommen, ſo hat man Oxalſäure, und tritt zu dieſer eine neue
Quantität Sauerſtoff hinzu, ſo verwandelt ſie ſich in Kohlen-
ſäure.
Wenn nun auch bei der Einwirkung oxidirender Materien
auf Alkohol alle dieſe Producte gleichzeitig aufzutreten ſcheinen,
ſo bleibt doch kaum ein Zweifel, daß die Bildung des letzten
Products, der Kohlenſäure, eine vorhergehende Hinwegnahme
alles Waſſerſtoffs vorausſetzt.
In der Verweſung der trocknenden Oele iſt die Abſorbtion
des Sauerſtoffs offenbar nicht bedingt durch die Oxidation
ihres Kohlenſtoffs, denn bei dem rohen Nußöl z. B., welches
nicht frei war von Schleim und anderen Stoffen, bildete ſich
für 146 Vol. abſorbirten Sauerſtoff nur 21 Vol. kohlenſau-
res Gas.
Man muß erwägen, daß eine Verbrennung in niederer Tem-
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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/262>, abgerufen am 22.07.2024.
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