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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Die Cultur.
während welcher Zeit das Alkali dem Boden nicht entzogen
wird, kann man wieder auf eine neue Ernte rechnen.

Die ersten Colonisten fanden in Virginien einen Boden
von der obenerwähnten Beschaffenheit vor; ohne Dünger ern-
tete man auf einem und demselben Felde, ein ganzes Jahrhun-
dert lang, Weizen oder Taback, und jetzt sieht man ganze Ge-
genden verlassen und in unfruchtbares Weideland verwandelt,
was kein Getreide, keinen Taback mehr, ohne Dünger, hervor-
bringt. Einem Morgen von diesem Lande wurden aber in
100 Jahren in den Blättern, dem Korn und Stroh über
1200 Lb Alkali entzogen; er wurde unfruchtbar, weil der auf-
geschlossene Boden gänzlich seines Alkali's beraubt war und
weil dasjenige, was im Zeitraum von einem Jahre durch den
Einfluß der Witterung zur Aufschließung gelangte, nicht hin-
reichte, um die Bedürfnisse der Pflanze zu befriedigen.

In diesem Zustande befindet sich im Allgemeinen alles Cul-
turland in Europa. Die Brache ist die Zeit der Verwit-
terung.

Man giebt sich einer unbegreiflichen Täuschung hin, indem
man dem Verschwinden des Humusgehaltes in diesem Boden
zuschreibt, was eine bloße Folge der Entziehung von Alka-
lien ist.

Man versetze sich in die Umgebungen Neapels, welche be-
kannt sind als fruchtbares Getreideland; die Ortschaften und
Dörfer liegen 6--8 Stunden entfernt von einander, von We-
gen ist in diesen Gegenden keine Rede, noch viel weniger von
Dünger; seit Jahrtausenden wird auf diesen Feldern Getreide
gezogen, ohne daß dem Boden wiedergegeben wird, was man
ihm jährlich nimmt. Wie kann man unter solchen Verhält-
nissen dem Humus eine Wirkung zuschreiben, die nach tausend
Jahren noch bemerkbar ist, dem Humus, von dem man nicht

Die Cultur.
während welcher Zeit das Alkali dem Boden nicht entzogen
wird, kann man wieder auf eine neue Ernte rechnen.

Die erſten Coloniſten fanden in Virginien einen Boden
von der obenerwähnten Beſchaffenheit vor; ohne Dünger ern-
tete man auf einem und demſelben Felde, ein ganzes Jahrhun-
dert lang, Weizen oder Taback, und jetzt ſieht man ganze Ge-
genden verlaſſen und in unfruchtbares Weideland verwandelt,
was kein Getreide, keinen Taback mehr, ohne Dünger, hervor-
bringt. Einem Morgen von dieſem Lande wurden aber in
100 Jahren in den Blättern, dem Korn und Stroh über
1200 ℔ Alkali entzogen; er wurde unfruchtbar, weil der auf-
geſchloſſene Boden gänzlich ſeines Alkali’s beraubt war und
weil dasjenige, was im Zeitraum von einem Jahre durch den
Einfluß der Witterung zur Aufſchließung gelangte, nicht hin-
reichte, um die Bedürfniſſe der Pflanze zu befriedigen.

In dieſem Zuſtande befindet ſich im Allgemeinen alles Cul-
turland in Europa. Die Brache iſt die Zeit der Verwit-
terung.

Man giebt ſich einer unbegreiflichen Täuſchung hin, indem
man dem Verſchwinden des Humusgehaltes in dieſem Boden
zuſchreibt, was eine bloße Folge der Entziehung von Alka-
lien iſt.

Man verſetze ſich in die Umgebungen Neapels, welche be-
kannt ſind als fruchtbares Getreideland; die Ortſchaften und
Dörfer liegen 6—8 Stunden entfernt von einander, von We-
gen iſt in dieſen Gegenden keine Rede, noch viel weniger von
Dünger; ſeit Jahrtauſenden wird auf dieſen Feldern Getreide
gezogen, ohne daß dem Boden wiedergegeben wird, was man
ihm jährlich nimmt. Wie kann man unter ſolchen Verhält-
niſſen dem Humus eine Wirkung zuſchreiben, die nach tauſend
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[134/0152] Die Cultur. während welcher Zeit das Alkali dem Boden nicht entzogen wird, kann man wieder auf eine neue Ernte rechnen. Die erſten Coloniſten fanden in Virginien einen Boden von der obenerwähnten Beſchaffenheit vor; ohne Dünger ern- tete man auf einem und demſelben Felde, ein ganzes Jahrhun- dert lang, Weizen oder Taback, und jetzt ſieht man ganze Ge- genden verlaſſen und in unfruchtbares Weideland verwandelt, was kein Getreide, keinen Taback mehr, ohne Dünger, hervor- bringt. Einem Morgen von dieſem Lande wurden aber in 100 Jahren in den Blättern, dem Korn und Stroh über 1200 ℔ Alkali entzogen; er wurde unfruchtbar, weil der auf- geſchloſſene Boden gänzlich ſeines Alkali’s beraubt war und weil dasjenige, was im Zeitraum von einem Jahre durch den Einfluß der Witterung zur Aufſchließung gelangte, nicht hin- reichte, um die Bedürfniſſe der Pflanze zu befriedigen. In dieſem Zuſtande befindet ſich im Allgemeinen alles Cul- turland in Europa. Die Brache iſt die Zeit der Verwit- terung. Man giebt ſich einer unbegreiflichen Täuſchung hin, indem man dem Verſchwinden des Humusgehaltes in dieſem Boden zuſchreibt, was eine bloße Folge der Entziehung von Alka- lien iſt. Man verſetze ſich in die Umgebungen Neapels, welche be- kannt ſind als fruchtbares Getreideland; die Ortſchaften und Dörfer liegen 6—8 Stunden entfernt von einander, von We- gen iſt in dieſen Gegenden keine Rede, noch viel weniger von Dünger; ſeit Jahrtauſenden wird auf dieſen Feldern Getreide gezogen, ohne daß dem Boden wiedergegeben wird, was man ihm jährlich nimmt. Wie kann man unter ſolchen Verhält- niſſen dem Humus eine Wirkung zuſchreiben, die nach tauſend Jahren noch bemerkbar iſt, dem Humus, von dem man nicht

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/152>, abgerufen am 26.11.2024.