walt in Jenny's Seele lesen zu wollen schien. Joseph aber entging dies ängstliche Spähen Theresens nicht, das ihn ebenso wenig, als Jenny's qualvolle Aufregung befremdete. Er sah finster auf die Scene vor seinen Augen als auf etwas, das er lange erwartet hatte; nur als Reinhard nach der Taufe die Braut in seine Arme schloß, fuhr Jener mit der Hand nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchti- gen Schmerz empfinde.
Der Vater allein war vollkommen ruhig und heiter geblieben, er freute sich Reinhard's, der sich der glücklichste Mensch unter der Sonne zu sein dünkte, und dies mit so stolzer, voller Freude äußerte, daß es auf alle Übrige, Therese vielleicht ausgenommen, einen wohlthuenden, besänftigenden Eindruck hervorbrachte und end- lich auch über Jenny's Thränen und ihren nicht zu verbergenden Schmerz zu siegen begann.
Eine Weile ließ Herr Meier den erregten
walt in Jenny's Seele leſen zu wollen ſchien. Joſeph aber entging dies ängſtliche Spähen Thereſens nicht, das ihn ebenſo wenig, als Jenny's qualvolle Aufregung befremdete. Er ſah finſter auf die Scene vor ſeinen Augen als auf etwas, das er lange erwartet hatte; nur als Reinhard nach der Taufe die Braut in ſeine Arme ſchloß, fuhr Jener mit der Hand nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchti- gen Schmerz empfinde.
Der Vater allein war vollkommen ruhig und heiter geblieben, er freute ſich Reinhard's, der ſich der glücklichſte Menſch unter der Sonne zu ſein dünkte, und dies mit ſo ſtolzer, voller Freude äußerte, daß es auf alle Übrige, Thereſe vielleicht auſgenommen, einen wohlthuenden, beſänftigenden Eindruck hervorbrachte und end- lich auch über Jenny's Thränen und ihren nicht zu verbergenden Schmerz zu ſiegen begann.
Eine Weile ließ Herr Meier den erregten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0058"n="48"/>
walt in Jenny's Seele leſen zu wollen ſchien.<lb/>
Joſeph aber entging dies ängſtliche Spähen<lb/>
Thereſens nicht, das ihn ebenſo wenig, als<lb/>
Jenny's qualvolle Aufregung befremdete. Er<lb/>ſah finſter auf die Scene vor ſeinen Augen<lb/>
als auf etwas, das er lange erwartet hatte;<lb/>
nur als Reinhard nach der Taufe die Braut<lb/>
in ſeine Arme ſchloß, fuhr Jener mit der Hand<lb/>
nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchti-<lb/>
gen Schmerz empfinde.</p><lb/><p>Der Vater allein war vollkommen ruhig<lb/>
und heiter geblieben, er freute ſich Reinhard's,<lb/>
der ſich der glücklichſte Menſch unter der Sonne<lb/>
zu ſein dünkte, und dies mit ſo ſtolzer, voller<lb/>
Freude äußerte, daß es auf alle Übrige, Thereſe<lb/>
vielleicht auſgenommen, einen wohlthuenden,<lb/>
beſänftigenden Eindruck hervorbrachte und end-<lb/>
lich auch über Jenny's Thränen und ihren nicht<lb/>
zu verbergenden Schmerz zu ſiegen begann.</p><lb/><p>Eine Weile ließ Herr Meier den erregten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0058]
walt in Jenny's Seele leſen zu wollen ſchien.
Joſeph aber entging dies ängſtliche Spähen
Thereſens nicht, das ihn ebenſo wenig, als
Jenny's qualvolle Aufregung befremdete. Er
ſah finſter auf die Scene vor ſeinen Augen
als auf etwas, das er lange erwartet hatte;
nur als Reinhard nach der Taufe die Braut
in ſeine Arme ſchloß, fuhr Jener mit der Hand
nach dem Herzen, als ob er dort einen flüchti-
gen Schmerz empfinde.
Der Vater allein war vollkommen ruhig
und heiter geblieben, er freute ſich Reinhard's,
der ſich der glücklichſte Menſch unter der Sonne
zu ſein dünkte, und dies mit ſo ſtolzer, voller
Freude äußerte, daß es auf alle Übrige, Thereſe
vielleicht auſgenommen, einen wohlthuenden,
beſänftigenden Eindruck hervorbrachte und end-
lich auch über Jenny's Thränen und ihren nicht
zu verbergenden Schmerz zu ſiegen begann.
Eine Weile ließ Herr Meier den erregten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/58>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.