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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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Walter's erster Gedanke, sein erster Blick
galt Jenny. Sie war leblos, aus einer kleinen
Stirnwunde blutend, zurückgesunken und ihre
Arme hatten den Knaben losgelassen, der sie
jetzt weinend umfaßt hielt. Bei der Hast, mit
der Jenny das Kind an sich gedrückt, hatte der
eiserne Griff der Schmetterlingsscheere Jenny's
Stirne mit so heftigem Schlage getroffen, daß
er die Haut zerriß, ohne daß Jenny in der
entsetzlichen Aufregung des Momentes die Ver-
wundung oder das herabtröpfelnde Blut be-
merkte. Nur des einen Gedankens, das Kind
zu retten, das man ihr anvertraut hatte, war
sie sich bewußt gewesen, und als mit dem
Stillestehen der Pferde die furchtbare Angst
von ihr gewichen, war sie, von einer in See-
lenleiden durchwachten Nacht schon ohnehin an-
gegriffen, ohnmächtig zusammengebrochen. An
eine augenblickliche Hülfe war hier nicht zu
denken; kein Haus in der Nähe, und wie weit

Walter's erſter Gedanke, ſein erſter Blick
galt Jenny. Sie war leblos, aus einer kleinen
Stirnwunde blutend, zurückgeſunken und ihre
Arme hatten den Knaben losgelaſſen, der ſie
jetzt weinend umfaßt hielt. Bei der Haſt, mit
der Jenny das Kind an ſich gedrückt, hatte der
eiſerne Griff der Schmetterlingsſcheere Jenny's
Stirne mit ſo heftigem Schlage getroffen, daß
er die Haut zerriß, ohne daß Jenny in der
entſetzlichen Aufregung des Momentes die Ver-
wundung oder das herabtröpfelnde Blut be-
merkte. Nur des einen Gedankens, das Kind
zu retten, das man ihr anvertraut hatte, war
ſie ſich bewußt geweſen, und als mit dem
Stilleſtehen der Pferde die furchtbare Angſt
von ihr gewichen, war ſie, von einer in See-
lenleiden durchwachten Nacht ſchon ohnehin an-
gegriffen, ohnmächtig zuſammengebrochen. An
eine augenblickliche Hülfe war hier nicht zu
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[276/0286] Walter's erſter Gedanke, ſein erſter Blick galt Jenny. Sie war leblos, aus einer kleinen Stirnwunde blutend, zurückgeſunken und ihre Arme hatten den Knaben losgelaſſen, der ſie jetzt weinend umfaßt hielt. Bei der Haſt, mit der Jenny das Kind an ſich gedrückt, hatte der eiſerne Griff der Schmetterlingsſcheere Jenny's Stirne mit ſo heftigem Schlage getroffen, daß er die Haut zerriß, ohne daß Jenny in der entſetzlichen Aufregung des Momentes die Ver- wundung oder das herabtröpfelnde Blut be- merkte. Nur des einen Gedankens, das Kind zu retten, das man ihr anvertraut hatte, war ſie ſich bewußt geweſen, und als mit dem Stilleſtehen der Pferde die furchtbare Angſt von ihr gewichen, war ſie, von einer in See- lenleiden durchwachten Nacht ſchon ohnehin an- gegriffen, ohnmächtig zuſammengebrochen. An eine augenblickliche Hülfe war hier nicht zu denken; kein Haus in der Nähe, und wie weit

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/286>, abgerufen am 10.05.2024.