Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

deren Zuhörerin sie am Abend gewesen war,
hatten ihr gezeigt, was sie ohnehin fühlte, daß
sie Walter, indem sie seine Hand annehme, in
den Kampf verwickle, den sie als Jüdin gegen
die Meinung der Menge zu bestehen hatte.

"Ich war stark genug", sagte sie, "noch ein
Kind, meiner Liebe zu entsagen, um Frieden
mit mir selbst zu haben, und sollte nicht Kraft
besitzen, für Walter ein Gleiches zu thun, für
ihn, der mir ein so großes Opfer bringen
will? Nimmermehr! Den Leidenskelch, der mir
vom Schicksal bestimmt ist, will ich allein lee-
ren. Ich will Walter wiedersehen, ich will
ihm morgen sagen, daß ich nie die Seine
werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigstens
den Trost erhalten, sein Leben nicht verbittert
zu haben.

Man hatte verabredet, am nächsten Tage
die Fahrt nach Gernsbach zu machen, um mit
dem Vater Mariens, so hieß Jenny's Schütz-

deren Zuhörerin ſie am Abend geweſen war,
hatten ihr gezeigt, was ſie ohnehin fühlte, daß
ſie Walter, indem ſie ſeine Hand annehme, in
den Kampf verwickle, den ſie als Jüdin gegen
die Meinung der Menge zu beſtehen hatte.

„Ich war ſtark genug“, ſagte ſie, „noch ein
Kind, meiner Liebe zu entſagen, um Frieden
mit mir ſelbſt zu haben, und ſollte nicht Kraft
beſitzen, für Walter ein Gleiches zu thun, für
ihn, der mir ein ſo großes Opfer bringen
will? Nimmermehr! Den Leidenskelch, der mir
vom Schickſal beſtimmt iſt, will ich allein lee-
ren. Ich will Walter wiederſehen, ich will
ihm morgen ſagen, daß ich nie die Seine
werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigſtens
den Troſt erhalten, ſein Leben nicht verbittert
zu haben.

Man hatte verabredet, am nächſten Tage
die Fahrt nach Gernsbach zu machen, um mit
dem Vater Mariens, ſo hieß Jenny's Schütz-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="268"/>
deren Zuhörerin &#x017F;ie am Abend gewe&#x017F;en war,<lb/>
hatten ihr gezeigt, was &#x017F;ie ohnehin fühlte, daß<lb/>
&#x017F;ie Walter, indem &#x017F;ie &#x017F;eine Hand annehme, in<lb/>
den Kampf verwickle, den &#x017F;ie als Jüdin gegen<lb/>
die Meinung der Menge zu be&#x017F;tehen hatte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich war &#x017F;tark genug&#x201C;, &#x017F;agte &#x017F;ie, &#x201E;noch ein<lb/>
Kind, meiner Liebe zu ent&#x017F;agen, um Frieden<lb/>
mit mir &#x017F;elb&#x017F;t zu haben, und &#x017F;ollte nicht Kraft<lb/>
be&#x017F;itzen, für Walter ein Gleiches zu thun, für<lb/>
ihn, der mir ein &#x017F;o großes Opfer bringen<lb/>
will? Nimmermehr! Den Leidenskelch, der mir<lb/>
vom Schick&#x017F;al be&#x017F;timmt i&#x017F;t, will ich allein lee-<lb/>
ren. Ich will Walter wieder&#x017F;ehen, ich will<lb/>
ihm morgen &#x017F;agen, daß ich nie die Seine<lb/>
werde, weil ich ihn liebe, und mir wenig&#x017F;tens<lb/>
den Tro&#x017F;t erhalten, &#x017F;ein Leben nicht verbittert<lb/>
zu haben.</p><lb/>
        <p>Man hatte verabredet, am näch&#x017F;ten Tage<lb/>
die Fahrt nach Gernsbach zu machen, um mit<lb/>
dem Vater Mariens, &#x017F;o hieß Jenny's Schütz-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0278] deren Zuhörerin ſie am Abend geweſen war, hatten ihr gezeigt, was ſie ohnehin fühlte, daß ſie Walter, indem ſie ſeine Hand annehme, in den Kampf verwickle, den ſie als Jüdin gegen die Meinung der Menge zu beſtehen hatte. „Ich war ſtark genug“, ſagte ſie, „noch ein Kind, meiner Liebe zu entſagen, um Frieden mit mir ſelbſt zu haben, und ſollte nicht Kraft beſitzen, für Walter ein Gleiches zu thun, für ihn, der mir ein ſo großes Opfer bringen will? Nimmermehr! Den Leidenskelch, der mir vom Schickſal beſtimmt iſt, will ich allein lee- ren. Ich will Walter wiederſehen, ich will ihm morgen ſagen, daß ich nie die Seine werde, weil ich ihn liebe, und mir wenigſtens den Troſt erhalten, ſein Leben nicht verbittert zu haben. Man hatte verabredet, am nächſten Tage die Fahrt nach Gernsbach zu machen, um mit dem Vater Mariens, ſo hieß Jenny's Schütz-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/278
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/278>, abgerufen am 10.05.2024.