kein Alter und kein Verhältniß sie davor schütze, nöthigte sie zum Schweigen und scheuchte sie in ihr Zimmer zurück, wo sie sich einsam der tiefsten Verzweiflung überließ. Sie konnte sich es nicht verhehlen, sie liebte Walter; nicht mit der stürmischen Glut der Leidenschaft, die sie für Reinhard gefühlt, sondern mit jener ru- higen Zuversicht, die an der Brust des Gelieb- ten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoff- nung, aber eine sichere Zuflucht in allen Stür- men des Lebens erwartet. Sie wußte, wie theuer sie ihm sei, sie konnte sich in den lieb- lichsten Farben eine Zukunft an seiner Seite denken und hatte ihre Hoffnung, ohne es zu wissen, bereits an diese Zukunft geknüpft, das fühlte sie an dem Schmerz, den die Idee, sich von Walter trennen zu müssen, in ihr hervor- rief. Aber diese Trennung stand jetzt als Nothwendigkeit vor ihr. Die Aeußerungen Steinheim's am Morgen und die Unterhaltung,
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kein Alter und kein Verhältniß ſie davor ſchütze, nöthigte ſie zum Schweigen und ſcheuchte ſie in ihr Zimmer zurück, wo ſie ſich einſam der tiefſten Verzweiflung überließ. Sie konnte ſich es nicht verhehlen, ſie liebte Walter; nicht mit der ſtürmiſchen Glut der Leidenſchaft, die ſie für Reinhard gefühlt, ſondern mit jener ru- higen Zuverſicht, die an der Bruſt des Gelieb- ten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoff- nung, aber eine ſichere Zuflucht in allen Stür- men des Lebens erwartet. Sie wußte, wie theuer ſie ihm ſei, ſie konnte ſich in den lieb- lichſten Farben eine Zukunft an ſeiner Seite denken und hatte ihre Hoffnung, ohne es zu wiſſen, bereits an dieſe Zukunft geknüpft, das fühlte ſie an dem Schmerz, den die Idee, ſich von Walter trennen zu müſſen, in ihr hervor- rief. Aber dieſe Trennung ſtand jetzt als Nothwendigkeit vor ihr. Die Aeußerungen Steinheim's am Morgen und die Unterhaltung,
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kein Alter und kein Verhältniß ſie davor ſchütze,
nöthigte ſie zum Schweigen und ſcheuchte ſie
in ihr Zimmer zurück, wo ſie ſich einſam der
tiefſten Verzweiflung überließ. Sie konnte
ſich es nicht verhehlen, ſie liebte Walter; nicht
mit der ſtürmiſchen Glut der Leidenſchaft, die
ſie für Reinhard gefühlt, ſondern mit jener ru-
higen Zuverſicht, die an der Bruſt des Gelieb-
ten zwar nicht den Himmel jugendlicher Hoff-
nung, aber eine ſichere Zuflucht in allen Stür-
men des Lebens erwartet. Sie wußte, wie
theuer ſie ihm ſei, ſie konnte ſich in den lieb-
lichſten Farben eine Zukunft an ſeiner Seite
denken und hatte ihre Hoffnung, ohne es zu
wiſſen, bereits an dieſe Zukunft geknüpft, das
fühlte ſie an dem Schmerz, den die Idee, ſich
von Walter trennen zu müſſen, in ihr hervor-
rief. Aber dieſe Trennung ſtand jetzt als
Nothwendigkeit vor ihr. Die Aeußerungen
Steinheim's am Morgen und die Unterhaltung,
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/277>, abgerufen am 10.05.2024.
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