Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern um es zu werden, war sie Christin ge-
worden; es lag Selbstsucht auch in dieser
Handlung, und die Bemerkung, daß es ihr fast
zur Gewohnheit geworden, sich nach ihrem Be-
dürfniß selbst zu täuschen, vermehrte ihre See-
lenpein in einem Grade, der ihr jedes ruhige
Urtheil raubte. Eine Furcht vor der Strafe
Gottes bemächtigte sich ihrer Seele und sie,
die nicht an die mystischen Lehren des Chri-
stenthums zu glauben vermochte, überließ sich
fast willenlos dem Aberglauben des alten Te-
staments, das in Gott einen Rächer zeigt das
Böse strafend bis in das fernste Glied. Auch
Reinhard, sagte sie sich, ziehe ich mit in mein
Verderben; auch ihn wird der Strudel erfassen,
wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann, daß
ich nicht glaube. Was soll er dann beginnen?
Er wird mich lieben und mir doch nicht ver-
zeihen können! Auch er wird in den heillosen
Kampf zwischen seiner Liebe und seinem Glau-

6*

ſondern um es zu werden, war ſie Chriſtin ge-
worden; es lag Selbſtſucht auch in dieſer
Handlung, und die Bemerkung, daß es ihr faſt
zur Gewohnheit geworden, ſich nach ihrem Be-
dürfniß ſelbſt zu täuſchen, vermehrte ihre See-
lenpein in einem Grade, der ihr jedes ruhige
Urtheil raubte. Eine Furcht vor der Strafe
Gottes bemächtigte ſich ihrer Seele und ſie,
die nicht an die myſtiſchen Lehren des Chri-
ſtenthums zu glauben vermochte, überließ ſich
faſt willenlos dem Aberglauben des alten Te-
ſtaments, das in Gott einen Rächer zeigt das
Böſe ſtrafend bis in das fernſte Glied. Auch
Reinhard, ſagte ſie ſich, ziehe ich mit in mein
Verderben; auch ihn wird der Strudel erfaſſen,
wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann, daß
ich nicht glaube. Was ſoll er dann beginnen?
Er wird mich lieben und mir doch nicht ver-
zeihen können! Auch er wird in den heilloſen
Kampf zwiſchen ſeiner Liebe und ſeinem Glau-

6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="123"/>
&#x017F;ondern um es zu werden, war &#x017F;ie Chri&#x017F;tin ge-<lb/>
worden; es lag Selb&#x017F;t&#x017F;ucht auch in die&#x017F;er<lb/>
Handlung, und die Bemerkung, daß es ihr fa&#x017F;t<lb/>
zur Gewohnheit geworden, &#x017F;ich nach ihrem Be-<lb/>
dürfniß &#x017F;elb&#x017F;t zu täu&#x017F;chen, vermehrte ihre See-<lb/>
lenpein in einem Grade, der ihr jedes ruhige<lb/>
Urtheil raubte. Eine Furcht vor der Strafe<lb/>
Gottes bemächtigte &#x017F;ich ihrer Seele und &#x017F;ie,<lb/>
die nicht an die my&#x017F;ti&#x017F;chen Lehren des Chri-<lb/>
&#x017F;tenthums zu glauben vermochte, überließ &#x017F;ich<lb/>
fa&#x017F;t willenlos dem Aberglauben des alten Te-<lb/>
&#x017F;taments, das in Gott einen Rächer zeigt das<lb/>&#x017F;e &#x017F;trafend bis in das fern&#x017F;te Glied. Auch<lb/>
Reinhard, &#x017F;agte &#x017F;ie &#x017F;ich, ziehe ich mit in mein<lb/>
Verderben; auch ihn wird der Strudel erfa&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann, daß<lb/>
ich nicht glaube. Was &#x017F;oll er dann beginnen?<lb/>
Er wird mich lieben und mir doch nicht ver-<lb/>
zeihen können! Auch er wird in den heillo&#x017F;en<lb/>
Kampf zwi&#x017F;chen &#x017F;einer Liebe und &#x017F;einem Glau-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">6*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0133] ſondern um es zu werden, war ſie Chriſtin ge- worden; es lag Selbſtſucht auch in dieſer Handlung, und die Bemerkung, daß es ihr faſt zur Gewohnheit geworden, ſich nach ihrem Be- dürfniß ſelbſt zu täuſchen, vermehrte ihre See- lenpein in einem Grade, der ihr jedes ruhige Urtheil raubte. Eine Furcht vor der Strafe Gottes bemächtigte ſich ihrer Seele und ſie, die nicht an die myſtiſchen Lehren des Chri- ſtenthums zu glauben vermochte, überließ ſich faſt willenlos dem Aberglauben des alten Te- ſtaments, das in Gott einen Rächer zeigt das Böſe ſtrafend bis in das fernſte Glied. Auch Reinhard, ſagte ſie ſich, ziehe ich mit in mein Verderben; auch ihn wird der Strudel erfaſſen, wenn ich ihm nicht mehr verbergen kann, daß ich nicht glaube. Was ſoll er dann beginnen? Er wird mich lieben und mir doch nicht ver- zeihen können! Auch er wird in den heilloſen Kampf zwiſchen ſeiner Liebe und ſeinem Glau- 6*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/133
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/133>, abgerufen am 25.11.2024.