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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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liebte, geöffnete Herz empfindet das Lebens-
wehen, das für ihn ausgeströmt wird. Die
Uebrigen berührt der Strom von Jenseits nicht,
und sie athmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne
zu ahnen, wie schnell und leicht und überselig
zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen.

Reinhard und Jenny waren allein mit ein-
ander, nur für sie allein sang die Gräfin, nur
um ihren stillen Gefühlen Worte zu geben, und
wie zum Schwure blickten sie sich ernst und
heilig in die Augen, und wiederholten innerlich:
"Laß mich sterben, Gott der Liebe, oder lindre
meinen Schmerz."

Jenny, dem Kindesalter noch sehr nahe,
wurde froh wie ein Kind, nachdem die Gewalt
des ersten Eindruckes sich etwas vermindert hatte.
Sie war glücklich in dem Bewußtsein, geliebt
zu werden, sie hätte es dem ganzen Publicum
zurufen mögen: "Gustav Reinhard ist meinet-
wegen in das Theater gekommen, er liebt mich",

liebte, geöffnete Herz empfindet das Lebens-
wehen, das für ihn ausgeſtrömt wird. Die
Uebrigen berührt der Strom von Jenſeits nicht,
und ſie athmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne
zu ahnen, wie ſchnell und leicht und überſelig
zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen.

Reinhard und Jenny waren allein mit ein-
ander, nur für ſie allein ſang die Gräfin, nur
um ihren ſtillen Gefühlen Worte zu geben, und
wie zum Schwure blickten ſie ſich ernſt und
heilig in die Augen, und wiederholten innerlich:
„Laß mich ſterben, Gott der Liebe, oder lindre
meinen Schmerz.“

Jenny, dem Kindesalter noch ſehr nahe,
wurde froh wie ein Kind, nachdem die Gewalt
des erſten Eindruckes ſich etwas vermindert hatte.
Sie war glücklich in dem Bewußtſein, geliebt
zu werden, ſie hätte es dem ganzen Publicum
zurufen mögen: „Guſtav Reinhard iſt meinet-
wegen in das Theater gekommen, er liebt mich“,

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[86/0098] liebte, geöffnete Herz empfindet das Lebens- wehen, das für ihn ausgeſtrömt wird. Die Uebrigen berührt der Strom von Jenſeits nicht, und ſie athmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne zu ahnen, wie ſchnell und leicht und überſelig zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen. Reinhard und Jenny waren allein mit ein- ander, nur für ſie allein ſang die Gräfin, nur um ihren ſtillen Gefühlen Worte zu geben, und wie zum Schwure blickten ſie ſich ernſt und heilig in die Augen, und wiederholten innerlich: „Laß mich ſterben, Gott der Liebe, oder lindre meinen Schmerz.“ Jenny, dem Kindesalter noch ſehr nahe, wurde froh wie ein Kind, nachdem die Gewalt des erſten Eindruckes ſich etwas vermindert hatte. Sie war glücklich in dem Bewußtſein, geliebt zu werden, ſie hätte es dem ganzen Publicum zurufen mögen: „Guſtav Reinhard iſt meinet- wegen in das Theater gekommen, er liebt mich“,

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/98>, abgerufen am 27.04.2024.