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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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nach Eduard's Entfernung zu ihm kam, ihm
die Hand reichte und mit ungewohnter Feier-
lichkeit zu ihm sagte: "Joseph! ich habe Dich
bis jetzt verkannt, Dich nicht genug geliebt.
Was mir die Zukunft auch bringen wird, Du
sollst mein geliebter Bruder, mein zweiter
Eduard sein. Willst Du das? -- und Du
kannst mir vertrauen, wie einem Manne, wie
ich Dir!" -- Joseph bebte, sein Urtheil war
damit gesprochen. "So sei es!" war Alles,
was er erwiderte, da er Aufregungen und
Scenen der Art ebenso sehr haßte, als Jenny
sie liebte, die ihn verließ, weil sie einen wär-
mern Anklang erwartet hatte und nicht Beob-
achtung genug besaß, in Joseph's kalten, ruhigen
Zügen den wahren Schmerz zu lesen, den ihr
Verlust ihm verursachte.

Eduard kehrte schon um 11 1/2 Uhr von sei-
ner Praxis zurück und versuchte umsonst, die
Aufregung zu verbergen, mit der er nach dem

nach Eduard's Entfernung zu ihm kam, ihm
die Hand reichte und mit ungewohnter Feier-
lichkeit zu ihm ſagte: „Joſeph! ich habe Dich
bis jetzt verkannt, Dich nicht genug geliebt.
Was mir die Zukunft auch bringen wird, Du
ſollſt mein geliebter Bruder, mein zweiter
Eduard ſein. Willſt Du das? — und Du
kannſt mir vertrauen, wie einem Manne, wie
ich Dir!“ — Joſeph bebte, ſein Urtheil war
damit geſprochen. „So ſei es!“ war Alles,
was er erwiderte, da er Aufregungen und
Scenen der Art ebenſo ſehr haßte, als Jenny
ſie liebte, die ihn verließ, weil ſie einen wär-
mern Anklang erwartet hatte und nicht Beob-
achtung genug beſaß, in Joſeph's kalten, ruhigen
Zügen den wahren Schmerz zu leſen, den ihr
Verluſt ihm verurſachte.

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ner Praxis zurück und verſuchte umſonſt, die
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[190/0202] nach Eduard's Entfernung zu ihm kam, ihm die Hand reichte und mit ungewohnter Feier- lichkeit zu ihm ſagte: „Joſeph! ich habe Dich bis jetzt verkannt, Dich nicht genug geliebt. Was mir die Zukunft auch bringen wird, Du ſollſt mein geliebter Bruder, mein zweiter Eduard ſein. Willſt Du das? — und Du kannſt mir vertrauen, wie einem Manne, wie ich Dir!“ — Joſeph bebte, ſein Urtheil war damit geſprochen. „So ſei es!“ war Alles, was er erwiderte, da er Aufregungen und Scenen der Art ebenſo ſehr haßte, als Jenny ſie liebte, die ihn verließ, weil ſie einen wär- mern Anklang erwartet hatte und nicht Beob- achtung genug beſaß, in Joſeph's kalten, ruhigen Zügen den wahren Schmerz zu leſen, den ihr Verluſt ihm verurſachte. Eduard kehrte ſchon um 11 ½ Uhr von ſei- ner Praxis zurück und verſuchte umſonſt, die Aufregung zu verbergen, mit der er nach dem

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/202>, abgerufen am 25.11.2024.