ich in thörichter Eifersucht aufgeregt, hart über meine Jenny urtheile -- vergiß es, liebe Mut- ter! denn ich habe Jenny verleumdet, ihrer edlen Seele sehr, sehr Unrecht gethan. Ich selbst glaube nicht, was ich sagte; es war Leidenschaft, Zorn, was aus mir sprach, nicht meine Ueberzeugung, nicht mein Herz, das Jenny liebt -- liebt wie Dich, meine theure Mutter! Nicht wahr? auch Du hast meine Jenny lieb?" fragte Reinhard, und die Pfar- rerin schwankte, was sie beginnen sollte. Sie sah, daß ihr Sohn zu sehr an der Geliebten hing, um selbst aus dem Munde seiner Mutter ein Wort des Tadels gegen sie ertragen zu können. Lieber wollte er seine Ueberzeugung, seine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen strafen, als Jenny tadeln hören, die er gerade jetzt, wo die Eifersucht ihm die Gefahr, sie zu ver- lieren, vorspiegelte, unaussprechlich liebte. Doch siegte die Pflicht, ihren Sohn aufmerksam zu
ich in thörichter Eiferſucht aufgeregt, hart über meine Jenny urtheile — vergiß es, liebe Mut- ter! denn ich habe Jenny verleumdet, ihrer edlen Seele ſehr, ſehr Unrecht gethan. Ich ſelbſt glaube nicht, was ich ſagte; es war Leidenſchaft, Zorn, was aus mir ſprach, nicht meine Ueberzeugung, nicht mein Herz, das Jenny liebt — liebt wie Dich, meine theure Mutter! Nicht wahr? auch Du haſt meine Jenny lieb?“ fragte Reinhard, und die Pfar- rerin ſchwankte, was ſie beginnen ſollte. Sie ſah, daß ihr Sohn zu ſehr an der Geliebten hing, um ſelbſt aus dem Munde ſeiner Mutter ein Wort des Tadels gegen ſie ertragen zu können. Lieber wollte er ſeine Ueberzeugung, ſeine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen ſtrafen, als Jenny tadeln hören, die er gerade jetzt, wo die Eiferſucht ihm die Gefahr, ſie zu ver- lieren, vorſpiegelte, unausſprechlich liebte. Doch ſiegte die Pflicht, ihren Sohn aufmerkſam zu
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ich in thörichter Eiferſucht aufgeregt, hart über
meine Jenny urtheile — vergiß es, liebe Mut-
ter! denn ich habe Jenny verleumdet, ihrer
edlen Seele ſehr, ſehr Unrecht gethan. Ich
ſelbſt glaube nicht, was ich ſagte; es war
Leidenſchaft, Zorn, was aus mir ſprach, nicht
meine Ueberzeugung, nicht mein Herz, das
Jenny liebt — liebt wie Dich, meine theure
Mutter! Nicht wahr? auch Du haſt meine
Jenny lieb?“ fragte Reinhard, und die Pfar-
rerin ſchwankte, was ſie beginnen ſollte. Sie
ſah, daß ihr Sohn zu ſehr an der Geliebten
hing, um ſelbſt aus dem Munde ſeiner Mutter
ein Wort des Tadels gegen ſie ertragen zu
können. Lieber wollte er ſeine Ueberzeugung,
ſeine eigene Erfahrung in der Beziehung Lügen
ſtrafen, als Jenny tadeln hören, die er gerade
jetzt, wo die Eiferſucht ihm die Gefahr, ſie zu ver-
lieren, vorſpiegelte, unausſprechlich liebte. Doch
ſiegte die Pflicht, ihren Sohn aufmerkſam zu
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/192>, abgerufen am 11.10.2024.
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