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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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als die Thür aufging und Reinhard in das
Zimmer trat. Er blieb überrascht stehen, Jenny
sprang entsetzt in die Höhe, und nur Joseph
war ruhig und hieß ihn willkommen. Dadurch
gewann Reinhard Zeit, sich zu fassen; einen
kurzen Moment schien er zu überlegen, dann
ging er schnell und leidenschaftlich bewegt auf
Joseph zu und sagte: "Ich kenne Sie nicht ge-
nau genug, Herr Meier! um eigentlich eine
solche Frage an Sie richten zu dürfen. Sie
könnten mich der Zudringlichkeit beschuldigen,
aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab:
"Wie stehen Sie mit Jenny Meier?"

"Ihre Forderung ist allerdings sonderbar",
antwortete Jener, "da ich wirklich nicht einsehe,
was Sie zu der Frage berechtigt? Doch will
ich Ihnen antworten, weil ich Ihrer Ehre ver-
traue. Jenny Meier ist mir eine theure Ver-
wandte, die, unter meinen Augen aufgewachsen,
mir wie eine Schwester werth ist."

I. 8


als die Thür aufging und Reinhard in das
Zimmer trat. Er blieb überraſcht ſtehen, Jenny
ſprang entſetzt in die Höhe, und nur Joſeph
war ruhig und hieß ihn willkommen. Dadurch
gewann Reinhard Zeit, ſich zu faſſen; einen
kurzen Moment ſchien er zu überlegen, dann
ging er ſchnell und leidenſchaftlich bewegt auf
Joſeph zu und ſagte: „Ich kenne Sie nicht ge-
nau genug, Herr Meier! um eigentlich eine
ſolche Frage an Sie richten zu dürfen. Sie
könnten mich der Zudringlichkeit beſchuldigen,
aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab:
„Wie ſtehen Sie mit Jenny Meier?“

„Ihre Forderung iſt allerdings ſonderbar“,
antwortete Jener, „da ich wirklich nicht einſehe,
was Sie zu der Frage berechtigt? Doch will
ich Ihnen antworten, weil ich Ihrer Ehre ver-
traue. Jenny Meier iſt mir eine theure Ver-
wandte, die, unter meinen Augen aufgewachſen,
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I. 8
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[169/0181] als die Thür aufging und Reinhard in das Zimmer trat. Er blieb überraſcht ſtehen, Jenny ſprang entſetzt in die Höhe, und nur Joſeph war ruhig und hieß ihn willkommen. Dadurch gewann Reinhard Zeit, ſich zu faſſen; einen kurzen Moment ſchien er zu überlegen, dann ging er ſchnell und leidenſchaftlich bewegt auf Joſeph zu und ſagte: „Ich kenne Sie nicht ge- nau genug, Herr Meier! um eigentlich eine ſolche Frage an Sie richten zu dürfen. Sie könnten mich der Zudringlichkeit beſchuldigen, aber mein Lebensglück hängt von der Frage ab: „Wie ſtehen Sie mit Jenny Meier?“ „Ihre Forderung iſt allerdings ſonderbar“, antwortete Jener, „da ich wirklich nicht einſehe, was Sie zu der Frage berechtigt? Doch will ich Ihnen antworten, weil ich Ihrer Ehre ver- traue. Jenny Meier iſt mir eine theure Ver- wandte, die, unter meinen Augen aufgewachſen, mir wie eine Schweſter werth iſt.“ I. 8

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/181>, abgerufen am 28.04.2024.