Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
Jhr kamt, hatt' ich drey Tag' und Nächt' in Asch'
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. --
Geweint? Beyher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezürnt, getobt, mich und die Welt verwünscht;
Der Christenheit den unversöhnlichsten
Haß zugeschworen --
Klosterbruder.
Ach! Jch glaubs Euch wohl!
Nathan.
Doch nun kam die Vernunft allmählig wieder.
Sie sprach mit sanfter Stimm': "und doch ist Gott!
Doch war auch Gottes Rathschluß das! Wohlan!
Komm! übe, was du längst begriffen hast;
Was sicherlich zu üben schwerer nicht,
Als zu begreifen ist, wenn du nur willst.
Steh auf!" -- Jch stand! und rief zu Gott: ich will!
Willst du nur, daß ich will! -- Jndem stiegt Jhr
Vom Pferd', und überreichtet mir das Kind,
Jn Euern Mantel eingehüllt. -- Was Jhr
Mir damals sagtet; was ich Euch: hab' ich
Vergessen. So viel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trugs auf mein Lager, küßt' es, warf
Mich auf die Knie' und schluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun schon Eines wieder!
Klosterbruder.
Nathan! Nathan!
Jhr seyd ein Christ! -- Bey Gott, Jhr seyd ein Christ!
Ein beßrer Christ war nie!

Nathan.
Jhr kamt, hatt’ ich drey Tag’ und Naͤcht’ in Aſch’
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. —
Geweint? Beyher mit Gott auch wohl gerechtet,
Gezuͤrnt, getobt, mich und die Welt verwuͤnſcht;
Der Chriſtenheit den unverſoͤhnlichſten
Haß zugeſchworen —
Kloſterbruder.
Ach! Jch glaubs Euch wohl!
Nathan.
Doch nun kam die Vernunft allmaͤhlig wieder.
Sie ſprach mit ſanfter Stimm’: „und doch iſt Gott!
Doch war auch Gottes Rathſchluß das! Wohlan!
Komm! uͤbe, was du laͤngſt begriffen haſt;
Was ſicherlich zu uͤben ſchwerer nicht,
Als zu begreifen iſt, wenn du nur willſt.
Steh auf!„ — Jch ſtand! und rief zu Gott: ich will!
Willſt du nur, daß ich will! — Jndem ſtiegt Jhr
Vom Pferd’, und uͤberreichtet mir das Kind,
Jn Euern Mantel eingehuͤllt. — Was Jhr
Mir damals ſagtet; was ich Euch: hab’ ich
Vergeſſen. So viel weiß ich nur; ich nahm
Das Kind, trugs auf mein Lager, kuͤßt’ es, warf
Mich auf die Knie’ und ſchluchzte: Gott! auf Sieben
Doch nun ſchon Eines wieder!
Kloſterbruder.
Nathan! Nathan!
Jhr ſeyd ein Chriſt! — Bey Gott, Jhr ſeyd ein Chriſt!
Ein beßrer Chriſt war nie!

Nathan.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#NAT">
              <p><pb facs="#f0195" n="187"/>
Jhr kamt, hatt&#x2019; ich drey Tag&#x2019; und Na&#x0364;cht&#x2019; in A&#x017F;ch&#x2019;<lb/>
Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. &#x2014;<lb/>
Geweint? Beyher mit Gott auch wohl gerechtet,<lb/>
Gezu&#x0364;rnt, getobt, mich und die Welt verwu&#x0364;n&#x017F;cht;<lb/>
Der Chri&#x017F;tenheit den unver&#x017F;o&#x0364;hnlich&#x017F;ten<lb/>
Haß zuge&#x017F;chworen &#x2014;</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#KLO">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Klo&#x017F;terbruder.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p> <hi rendition="#et">Ach! Jch glaubs Euch wohl!</hi> </p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#NAT">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p>Doch nun kam die Vernunft allma&#x0364;hlig wieder.<lb/>
Sie &#x017F;prach mit &#x017F;anfter Stimm&#x2019;: &#x201E;und doch i&#x017F;t Gott!<lb/>
Doch war auch Gottes Rath&#x017F;chluß das! Wohlan!<lb/>
Komm! u&#x0364;be, was du la&#x0364;ng&#x017F;t begriffen ha&#x017F;t;<lb/>
Was &#x017F;icherlich zu u&#x0364;ben &#x017F;chwerer nicht,<lb/>
Als zu begreifen i&#x017F;t, wenn du nur will&#x017F;t.<lb/>
Steh auf!&#x201E; &#x2014; Jch &#x017F;tand! und rief zu Gott: ich will!<lb/>
Will&#x017F;t du nur, daß ich will! &#x2014; Jndem &#x017F;tiegt Jhr<lb/>
Vom Pferd&#x2019;, und u&#x0364;berreichtet mir das Kind,<lb/>
Jn Euern Mantel eingehu&#x0364;llt. &#x2014; Was Jhr<lb/>
Mir damals &#x017F;agtet; was ich Euch: hab&#x2019; ich<lb/>
Verge&#x017F;&#x017F;en. So viel weiß ich nur; ich nahm<lb/>
Das Kind, trugs auf mein Lager, ku&#x0364;ßt&#x2019; es, warf<lb/>
Mich auf die Knie&#x2019; und &#x017F;chluchzte: Gott! auf Sieben<lb/>
Doch nun &#x017F;chon Eines wieder!</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#KLO">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Klo&#x017F;terbruder.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Nathan! Nathan!</hi><lb/>
Jhr &#x017F;eyd ein Chri&#x017F;t! &#x2014; Bey Gott, Jhr &#x017F;eyd ein Chri&#x017F;t!<lb/>
Ein beßrer Chri&#x017F;t war nie!</p><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Nathan.</hi> </fw><lb/>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[187/0195] Jhr kamt, hatt’ ich drey Tag’ und Naͤcht’ in Aſch’ Und Staub vor Gott gelegen, und geweint. — Geweint? Beyher mit Gott auch wohl gerechtet, Gezuͤrnt, getobt, mich und die Welt verwuͤnſcht; Der Chriſtenheit den unverſoͤhnlichſten Haß zugeſchworen — Kloſterbruder. Ach! Jch glaubs Euch wohl! Nathan. Doch nun kam die Vernunft allmaͤhlig wieder. Sie ſprach mit ſanfter Stimm’: „und doch iſt Gott! Doch war auch Gottes Rathſchluß das! Wohlan! Komm! uͤbe, was du laͤngſt begriffen haſt; Was ſicherlich zu uͤben ſchwerer nicht, Als zu begreifen iſt, wenn du nur willſt. Steh auf!„ — Jch ſtand! und rief zu Gott: ich will! Willſt du nur, daß ich will! — Jndem ſtiegt Jhr Vom Pferd’, und uͤberreichtet mir das Kind, Jn Euern Mantel eingehuͤllt. — Was Jhr Mir damals ſagtet; was ich Euch: hab’ ich Vergeſſen. So viel weiß ich nur; ich nahm Das Kind, trugs auf mein Lager, kuͤßt’ es, warf Mich auf die Knie’ und ſchluchzte: Gott! auf Sieben Doch nun ſchon Eines wieder! Kloſterbruder. Nathan! Nathan! Jhr ſeyd ein Chriſt! — Bey Gott, Jhr ſeyd ein Chriſt! Ein beßrer Chriſt war nie! Nathan.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/195
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/195>, abgerufen am 22.11.2024.