Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779. Patriarch. Wer sagt denn das? -- Ey freylich Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, Zu brauchen unterlassen, -- wo sie hin Gehört. -- Gehört sie aber überall Denn hin? -- O nein! -- Zum Beyspiel: wenn uns Gott: Durch einen seiner Engel, -- ist zu sagen, Durch einen Diener seines Worts, ein Mittel Bekannt zu machen würdiget, das Wohl Der ganzen Christenheit, das Heil der Kirche, Auf irgend eine ganz besondre Weise Zu fördern, zu befestigen: wer darf Sich da noch unterstehn, die Willkühr deß, Der die Vernunft erschaffen, nach Vernunft Zu untersuchen? und das ewige Gesetz der Herrlichkeit des Himmels, nach Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre Zu prüfen? -- Doch hiervon genug. -- Was ist Es denn, worüber unsern Rath für itzt Der Herr verlangt? Tempelherr. Gesetzt, ehrwürd'ger Vater, Ein Jude hätt' ein einzig Kind, -- es fey Ein Mädchen, -- das er mit der größten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als seine Seele, das Jhn wieder mit der frömmsten Liebe liebe. Und
Patriarch. Wer ſagt denn das? — Ey freylich Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab, Zu brauchen unterlaſſen, — wo ſie hin Gehoͤrt. — Gehoͤrt ſie aber uͤberall Denn hin? — O nein! — Zum Beyſpiel: wenn uns Gott: Durch einen ſeiner Engel, — iſt zu ſagen, Durch einen Diener ſeines Worts, ein Mittel Bekannt zu machen wuͤrdiget, das Wohl Der ganzen Chriſtenheit, das Heil der Kirche, Auf irgend eine ganz beſondre Weiſe Zu foͤrdern, zu befeſtigen: wer darf Sich da noch unterſtehn, die Willkuͤhr deß, Der die Vernunft erſchaffen, nach Vernunft Zu unterſuchen? und das ewige Geſetz der Herrlichkeit des Himmels, nach Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre Zu pruͤfen? — Doch hiervon genug. — Was iſt Es denn, woruͤber unſern Rath fuͤr itzt Der Herr verlangt? Tempelherr. Geſetzt, ehrwuͤrd’ger Vater, Ein Jude haͤtt’ ein einzig Kind, — es fey Ein Maͤdchen, — das er mit der groͤßten Sorgfalt Zu allem Guten auferzogen, das Er liebe mehr als ſeine Seele, das Jhn wieder mit der froͤmmſten Liebe liebe. Und
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Patriarch.
Wer ſagt denn das? — Ey freylich
Muß niemand die Vernunft, die Gott ihm gab,
Zu brauchen unterlaſſen, — wo ſie hin
Gehoͤrt. — Gehoͤrt ſie aber uͤberall
Denn hin? — O nein! — Zum Beyſpiel: wenn uns Gott:
Durch einen ſeiner Engel, — iſt zu ſagen,
Durch einen Diener ſeines Worts, ein Mittel
Bekannt zu machen wuͤrdiget, das Wohl
Der ganzen Chriſtenheit, das Heil der Kirche,
Auf irgend eine ganz beſondre Weiſe
Zu foͤrdern, zu befeſtigen: wer darf
Sich da noch unterſtehn, die Willkuͤhr deß,
Der die Vernunft erſchaffen, nach Vernunft
Zu unterſuchen? und das ewige
Geſetz der Herrlichkeit des Himmels, nach
Den kleinen Regeln einer eiteln Ehre
Zu pruͤfen? — Doch hiervon genug. — Was iſt
Es denn, woruͤber unſern Rath fuͤr itzt
Der Herr verlangt?
Tempelherr.
Geſetzt, ehrwuͤrd’ger Vater,
Ein Jude haͤtt’ ein einzig Kind, — es fey
Ein Maͤdchen, — das er mit der groͤßten Sorgfalt
Zu allem Guten auferzogen, das
Er liebe mehr als ſeine Seele, das
Jhn wieder mit der froͤmmſten Liebe liebe.
Und
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