Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>
Und nun würd unser Einem hinterbracht,
Dieß Mädchen sey des Juden Tochter nicht;
Er hab' es in der Kindheit aufgelesen,
Gekauft, gestohlen, -- was Jhr wollt; man wisse,
Das Mädchen sey ein Christenkind, und sey
Getauft; der Jude hab' es nur als Jüdinn
Erzogen; laß es nur als Jüdinn und
Als seine Tochter so verharren: -- sagt,
Ehrwürd'ger Vater, was wär' hierbey wohl
Zu thun?
Patriatch.
Mich schaudert! -- Doch zu allererst
Erkläre sich der Herr, ob so ein Fall
Ein Faktum oder eine Hypothes'.
Das ist zu sagen: ob der Herr sich das
Nur blos so dichtet, oder obs geschehn,
Und fortfährt zu geschehn.
Tempelherr.
Jch glaubte, das
Sey eins, um Euer Hochehrwürden Meynung
Blos zu vernehmen.
Patriarch.
Eins? -- Da seh der Herr
Wie sich die stolze menschliche Vernunft
Jm Geistlichen doch irren kann. -- Mit nichten!
Denn ist der vorgetragne Fall nur so
Ein Spiel des Witzes: so verlohnt es sich
Der
Und nun wuͤrd unſer Einem hinterbracht,
Dieß Maͤdchen ſey des Juden Tochter nicht;
Er hab’ es in der Kindheit aufgeleſen,
Gekauft, geſtohlen, — was Jhr wollt; man wiſſe,
Das Maͤdchen ſey ein Chriſtenkind, und ſey
Getauft; der Jude hab’ es nur als Juͤdinn
Erzogen; laß es nur als Juͤdinn und
Als ſeine Tochter ſo verharren: — ſagt,
Ehrwuͤrd’ger Vater, was waͤr’ hierbey wohl
Zu thun?
Patriatch.
Mich ſchaudert! — Doch zu allererſt
Erklaͤre ſich der Herr, ob ſo ein Fall
Ein Faktum oder eine Hypotheſ’.
Das iſt zu ſagen: ob der Herr ſich das
Nur blos ſo dichtet, oder obs geſchehn,
Und fortfaͤhrt zu geſchehn.
Tempelherr.
Jch glaubte, das
Sey eins, um Euer Hochehrwuͤrden Meynung
Blos zu vernehmen.
Patriarch.
Eins? — Da ſeh der Herr
Wie ſich die ſtolze menſchliche Vernunft
Jm Geiſtlichen doch irren kann. — Mit nichten!
Denn iſt der vorgetragne Fall nur ſo
Ein Spiel des Witzes: ſo verlohnt es ſich
Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#TEM">
              <p><pb facs="#f0163" n="155"/>
Und nun wu&#x0364;rd un&#x017F;er Einem hinterbracht,<lb/>
Dieß Ma&#x0364;dchen &#x017F;ey des Juden Tochter nicht;<lb/>
Er hab&#x2019; es in der Kindheit aufgele&#x017F;en,<lb/>
Gekauft, ge&#x017F;tohlen, &#x2014; was Jhr wollt; man wi&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
Das Ma&#x0364;dchen &#x017F;ey ein Chri&#x017F;tenkind, und &#x017F;ey<lb/>
Getauft; der Jude hab&#x2019; es nur als Ju&#x0364;dinn<lb/>
Erzogen; laß es nur als Ju&#x0364;dinn und<lb/>
Als &#x017F;eine Tochter &#x017F;o verharren: &#x2014; &#x017F;agt,<lb/>
Ehrwu&#x0364;rd&#x2019;ger Vater, was wa&#x0364;r&#x2019; hierbey wohl<lb/>
Zu thun?</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#PAT">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Patriatch.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Mich &#x017F;chaudert! &#x2014; Doch zu allerer&#x017F;t</hi><lb/>
Erkla&#x0364;re &#x017F;ich der Herr, ob &#x017F;o ein Fall<lb/>
Ein Faktum oder eine Hypothe&#x017F;&#x2019;.<lb/>
Das i&#x017F;t zu &#x017F;agen: ob der Herr &#x017F;ich das<lb/>
Nur blos &#x017F;o dichtet, oder obs ge&#x017F;chehn,<lb/>
Und fortfa&#x0364;hrt zu ge&#x017F;chehn.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#TEM">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Tempelherr.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Jch glaubte, das</hi><lb/>
Sey eins, um Euer Hochehrwu&#x0364;rden Meynung<lb/>
Blos zu vernehmen.</p>
            </sp><lb/>
            <sp who="#PAT">
              <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Patriarch.</hi> </hi> </speaker><lb/>
              <p><hi rendition="#et">Eins? &#x2014; Da &#x017F;eh der Herr</hi><lb/>
Wie &#x017F;ich die &#x017F;tolze men&#x017F;chliche Vernunft<lb/>
Jm Gei&#x017F;tlichen doch irren kann. &#x2014; Mit nichten!<lb/>
Denn i&#x017F;t der vorgetragne Fall nur &#x017F;o<lb/>
Ein Spiel des Witzes: &#x017F;o verlohnt es &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0163] Und nun wuͤrd unſer Einem hinterbracht, Dieß Maͤdchen ſey des Juden Tochter nicht; Er hab’ es in der Kindheit aufgeleſen, Gekauft, geſtohlen, — was Jhr wollt; man wiſſe, Das Maͤdchen ſey ein Chriſtenkind, und ſey Getauft; der Jude hab’ es nur als Juͤdinn Erzogen; laß es nur als Juͤdinn und Als ſeine Tochter ſo verharren: — ſagt, Ehrwuͤrd’ger Vater, was waͤr’ hierbey wohl Zu thun? Patriatch. Mich ſchaudert! — Doch zu allererſt Erklaͤre ſich der Herr, ob ſo ein Fall Ein Faktum oder eine Hypotheſ’. Das iſt zu ſagen: ob der Herr ſich das Nur blos ſo dichtet, oder obs geſchehn, Und fortfaͤhrt zu geſchehn. Tempelherr. Jch glaubte, das Sey eins, um Euer Hochehrwuͤrden Meynung Blos zu vernehmen. Patriarch. Eins? — Da ſeh der Herr Wie ſich die ſtolze menſchliche Vernunft Jm Geiſtlichen doch irren kann. — Mit nichten! Denn iſt der vorgetragne Fall nur ſo Ein Spiel des Witzes: ſo verlohnt es ſich Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/163
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/163>, abgerufen am 25.11.2024.