bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald die- sen oder jenen Umstand derselben so verändert, daß sich eine andere Moral darinn erkennen läßt.
Z. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und Esel fängt sich an: Leon kai onos, koinanian themenoi, exelthon epi theran -- Hier bleibt der Lehrer stehen. Der Esel in Gesellschaft des Löwen? Wie stolz wird der Esel auf diese Gesellschaft gewesen seyn! (Man sehe die achte Fabel meines zweyten Buchs) Der Löwe in Gesellschaft des Esels? Und hatte sich denn der Löwe dieser Gesellschaft nicht zu schämen? (Man sehe die siebende) Und so sind zwey Fabeln entstanden, indem man mit der Geschichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet, als Aesopus sich dabey gesteckt hatte.
Oder man verfolgt die Geschichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Krähe, die sich mit den ausgefallenen Federn andrer Vögel geschmückt hatte, schließt sich; kai o koloios en palin koloios. Viel- leicht war sie nun auch etwas schlechters, als sie vor- her gewesen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glänzenden Schwingfedern mit ausge-
rissen,
bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald die- ſen oder jenen Umſtand derſelben ſo verändert, daß ſich eine andere Moral darinn erkennen läßt.
Z. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und Eſel fängt ſich an: Λεων και ὀνος, κοινανιαν ϑεμενοι, ἐξηλϑον ἑπι ϑηραν — Hier bleibt der Lehrer ſtehen. Der Eſel in Geſellſchaft des Löwen? Wie ſtolz wird der Eſel auf dieſe Geſellſchaft geweſen ſeyn! (Man ſehe die achte Fabel meines zweyten Buchs) Der Löwe in Geſellſchaft des Eſels? Und hatte ſich denn der Löwe dieſer Geſellſchaft nicht zu ſchämen? (Man ſehe die ſiebende) Und ſo ſind zwey Fabeln entſtanden, indem man mit der Geſchichte der alten Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet, als Aeſopus ſich dabey geſteckt hatte.
Oder man verfolgt die Geſchichte einen Schritt weiter: Die Fabel von der Krähe, die ſich mit den ausgefallenen Federn andrer Vögel geſchmückt hatte, ſchließt ſich; και ὁ κολοιος ἠν παλιν κολοιος. Viel- leicht war ſie nun auch etwas ſchlechters, als ſie vor- her geweſen war. Vielleicht hatte man ihr auch ihre eigene glänzenden Schwingfedern mit ausge-
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bald eher abbricht, bald weiter fortführt, bald die-
ſen oder jenen Umſtand derſelben ſo verändert, daß
ſich eine andere Moral darinn erkennen läßt.
Z. E. Die bekannte Fabel von dem Löwen und
Eſel fängt ſich an: Λεων και ὀνος, κοινανιαν ϑεμενοι,
ἐξηλϑον ἑπι ϑηραν — Hier bleibt der Lehrer ſtehen.
Der Eſel in Geſellſchaft des Löwen? Wie ſtolz wird
der Eſel auf dieſe Geſellſchaft geweſen ſeyn! (Man
ſehe die achte Fabel meines zweyten Buchs)
Der Löwe in Geſellſchaft des Eſels? Und hatte ſich
denn der Löwe dieſer Geſellſchaft nicht zu ſchämen?
(Man ſehe die ſiebende) Und ſo ſind zwey Fabeln
entſtanden, indem man mit der Geſchichte der alten
Fabel einen kleinen Ausweg genommen, der auch
zu einem Ziele, aber zu einem andern Ziele führet,
als Aeſopus ſich dabey geſteckt hatte.
Oder man verfolgt die Geſchichte einen Schritt
weiter: Die Fabel von der Krähe, die ſich mit den
ausgefallenen Federn andrer Vögel geſchmückt hatte,
ſchließt ſich; και ὁ κολοιος ἠν παλιν κολοιος. Viel-
leicht war ſie nun auch etwas ſchlechters, als ſie vor-
her geweſen war. Vielleicht hatte man ihr auch
ihre eigene glänzenden Schwingfedern mit ausge-
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/258>, abgerufen am 06.07.2024.
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