Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

ten, "daß dieses nur Zierathen solcher Erzehlungen
"sind, die vornehmlich zur Belustigung gemacht
"werden.
Und für eine solche Erzehlung hält er die
Fabel? Warum bin ich so eigensinnig, sie auch nicht
dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen
im Sinne? Warum glaube ich, daß dieser Nutzen
seinem Wesen nach schon anmuthig genug ist, um
aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön-
nen? Freylich geht es dem la Fontaine, und allen
seinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem
Bogen
*; der Mann wollte, daß sein Bogen mehr
als glatt sey; er ließ Zierathen darauf schnitzen; und
der Künstler verstand sehr wohl, was für Zierathen
auf einen Bogen gehörten; er schnitzte eine Jagd
darauf: nun will der Mann den Bogen versuchen,
und er zerbricht. Aber war das die Schuld des
Künstlers? Wer hieß den Mann, so wie zuvor da-
mit zu schiessen? Er hätte den geschnitzten Bogen
nunmehr fein in seiner Rüstkammer aufhängen, und
seine Augen daran weiden sollen! Mit einem solchen
Bogen schiessen zu wollen! -- Freylich würde nun auch
Plato, der die Dichter alle mit samt ihrem Ho-
mer,
aus seiner Republick verbannte, dem Aesopus

aber
* S. die erste Fabel des dritten Buchs.

ten, „daß dieſes nur Zierathen ſolcher Erzehlungen
„ſind, die vornehmlich zur Beluſtigung gemacht
„werden.
Und für eine ſolche Erzehlung hält er die
Fabel? Warum bin ich ſo eigenſinnig, ſie auch nicht
dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen
im Sinne? Warum glaube ich, daß dieſer Nutzen
ſeinem Weſen nach ſchon anmuthig genug iſt, um
aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön-
nen? Freylich geht es dem la Fontaine, und allen
ſeinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem
Bogen
*; der Mann wollte, daß ſein Bogen mehr
als glatt ſey; er ließ Zierathen darauf ſchnitzen; und
der Künſtler verſtand ſehr wohl, was für Zierathen
auf einen Bogen gehörten; er ſchnitzte eine Jagd
darauf: nun will der Mann den Bogen verſuchen,
und er zerbricht. Aber war das die Schuld des
Künſtlers? Wer hieß den Mann, ſo wie zuvor da-
mit zu ſchieſſen? Er hätte den geſchnitzten Bogen
nunmehr fein in ſeiner Rüſtkammer aufhängen, und
ſeine Augen daran weiden ſollen! Mit einem ſolchen
Bogen ſchieſſen zu wollen! — Freylich würde nun auch
Plato, der die Dichter alle mit ſamt ihrem Ho-
mer,
aus ſeiner Republick verbannte, dem Aeſopus

aber
* S. die erſte Fabel des dritten Buchs.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0246" n="226"/>
ten, <cit><quote>&#x201E;daß die&#x017F;es nur Zierathen &#x017F;olcher Erzehlungen<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind, die vornehmlich zur Belu&#x017F;tigung gemacht<lb/>
&#x201E;werden.</quote><bibl/></cit> Und für eine &#x017F;olche Erzehlung hält er die<lb/>
Fabel? Warum bin ich &#x017F;o eigen&#x017F;innig, &#x017F;ie auch nicht<lb/>
dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen<lb/>
im Sinne? Warum glaube ich, daß die&#x017F;er Nutzen<lb/>
&#x017F;einem We&#x017F;en nach &#x017F;chon anmuthig genug i&#x017F;t, um<lb/>
aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön-<lb/>
nen? Freylich geht es dem <hi rendition="#fr">la Fontaine,</hi> und allen<lb/>
&#x017F;einen Nachahmern, wie meinem <hi rendition="#fr">Manne mit dem<lb/>
Bogen</hi><note place="foot" n="*">S. die er&#x017F;te Fabel des dritten Buchs.</note>; der Mann wollte, daß &#x017F;ein Bogen mehr<lb/>
als glatt &#x017F;ey; er ließ Zierathen darauf &#x017F;chnitzen; und<lb/>
der Kün&#x017F;tler ver&#x017F;tand &#x017F;ehr wohl, was für Zierathen<lb/>
auf einen Bogen gehörten; er &#x017F;chnitzte eine Jagd<lb/>
darauf: nun will der Mann den Bogen ver&#x017F;uchen,<lb/>
und er zerbricht. Aber war das die Schuld des<lb/>
Kün&#x017F;tlers? Wer hieß den Mann, &#x017F;o wie zuvor da-<lb/>
mit zu &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en? Er hätte den ge&#x017F;chnitzten Bogen<lb/>
nunmehr fein in &#x017F;einer Rü&#x017F;tkammer aufhängen, und<lb/>
&#x017F;eine Augen daran weiden &#x017F;ollen! Mit einem &#x017F;olchen<lb/>
Bogen &#x017F;chie&#x017F;&#x017F;en zu wollen! &#x2014; Freylich würde nun auch<lb/><hi rendition="#fr">Plato,</hi> der die Dichter alle mit &#x017F;amt ihrem <hi rendition="#fr">Ho-<lb/>
mer,</hi> aus &#x017F;einer Republick verbannte, dem <hi rendition="#fr">Ae&#x017F;opus</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aber</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226/0246] ten, „daß dieſes nur Zierathen ſolcher Erzehlungen „ſind, die vornehmlich zur Beluſtigung gemacht „werden. Und für eine ſolche Erzehlung hält er die Fabel? Warum bin ich ſo eigenſinnig, ſie auch nicht dafür zu halten? Warum habe ich nur ihren Nutzen im Sinne? Warum glaube ich, daß dieſer Nutzen ſeinem Weſen nach ſchon anmuthig genug iſt, um aller fremden Annehmlichkeiten entbehren zu kön- nen? Freylich geht es dem la Fontaine, und allen ſeinen Nachahmern, wie meinem Manne mit dem Bogen *; der Mann wollte, daß ſein Bogen mehr als glatt ſey; er ließ Zierathen darauf ſchnitzen; und der Künſtler verſtand ſehr wohl, was für Zierathen auf einen Bogen gehörten; er ſchnitzte eine Jagd darauf: nun will der Mann den Bogen verſuchen, und er zerbricht. Aber war das die Schuld des Künſtlers? Wer hieß den Mann, ſo wie zuvor da- mit zu ſchieſſen? Er hätte den geſchnitzten Bogen nunmehr fein in ſeiner Rüſtkammer aufhängen, und ſeine Augen daran weiden ſollen! Mit einem ſolchen Bogen ſchieſſen zu wollen! — Freylich würde nun auch Plato, der die Dichter alle mit ſamt ihrem Ho- mer, aus ſeiner Republick verbannte, dem Aeſopus aber * S. die erſte Fabel des dritten Buchs.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/246
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/246>, abgerufen am 02.05.2024.