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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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von seinem Hermann Axel sagt: "Daher schreibt
"er auch den unvernünftigen Thieren, die er auf-
"führt, niemals eine Reihe von Anschlägen zu, die
"in einem System, in einer Verknüpfung stehen,
"und zu einem Endzwecke von weiten her angeord-
"net sind. Denn dazu gehöret eine Stärke der Ver-
"nunft, welche über den Instinkt ist. Ihr Instinkt
"giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Ver-
"nunft von sich, die sich nicht lange empor halten
"kann. Aus dieser Ursache werden diese Fabeln mit
"Thierpersonen ganz kurz, und bestehen nur aus
"einem sehr einfachen Anschlage, oder Anliegen.
"Sie reichen nicht zu, einen menschlichen Charakter
"in mehr als einem Lichte vorzustellen; ja der Fabu-
"list muß zufrieden seyn, wenn er nur einen Zug
"eines Charakters vorstellen kann. Es ist eine aus-
"schweiffende Idee des Pater Bossne, daß die
"aesopische Fabel sich in dieselbe Länge, wie die epi-
"sche Fabel ausdehnen lasse. Denn das kann nicht
"geschehen, es sey denn daß man die Thiere nichts
"von den Thieren behalten lasse, sondern sie in Men-
"schen verwandle, welches nur in possirlichen Ge-

"dichten

von ſeinem Hermann Axel ſagt: „Daher ſchreibt
„er auch den unvernünftigen Thieren, die er auf-
„führt, niemals eine Reihe von Anſchlägen zu, die
„in einem Syſtem, in einer Verknüpfung ſtehen,
„und zu einem Endzwecke von weiten her angeord-
„net ſind. Denn dazu gehöret eine Stärke der Ver-
„nunft, welche über den Inſtinkt iſt. Ihr Inſtinkt
„giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Ver-
„nunft von ſich, die ſich nicht lange empor halten
„kann. Aus dieſer Urſache werden dieſe Fabeln mit
„Thierperſonen ganz kurz, und beſtehen nur aus
„einem ſehr einfachen Anſchlage, oder Anliegen.
„Sie reichen nicht zu, einen menſchlichen Charakter
„in mehr als einem Lichte vorzuſtellen; ja der Fabu-
„liſt muß zufrieden ſeyn, wenn er nur einen Zug
„eines Charakters vorſtellen kann. Es iſt eine aus-
„ſchweiffende Idee des Pater Boſſne, daß die
„aeſopiſche Fabel ſich in dieſelbe Länge, wie die epi-
„ſche Fabel ausdehnen laſſe. Denn das kann nicht
„geſchehen, es ſey denn daß man die Thiere nichts
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[210/0230] von ſeinem Hermann Axel ſagt: „Daher ſchreibt „er auch den unvernünftigen Thieren, die er auf- „führt, niemals eine Reihe von Anſchlägen zu, die „in einem Syſtem, in einer Verknüpfung ſtehen, „und zu einem Endzwecke von weiten her angeord- „net ſind. Denn dazu gehöret eine Stärke der Ver- „nunft, welche über den Inſtinkt iſt. Ihr Inſtinkt „giebt nur flüchtige und dunkle Strahlen einer Ver- „nunft von ſich, die ſich nicht lange empor halten „kann. Aus dieſer Urſache werden dieſe Fabeln mit „Thierperſonen ganz kurz, und beſtehen nur aus „einem ſehr einfachen Anſchlage, oder Anliegen. „Sie reichen nicht zu, einen menſchlichen Charakter „in mehr als einem Lichte vorzuſtellen; ja der Fabu- „liſt muß zufrieden ſeyn, wenn er nur einen Zug „eines Charakters vorſtellen kann. Es iſt eine aus- „ſchweiffende Idee des Pater Boſſne, daß die „aeſopiſche Fabel ſich in dieſelbe Länge, wie die epi- „ſche Fabel ausdehnen laſſe. Denn das kann nicht „geſchehen, es ſey denn daß man die Thiere nichts „von den Thieren behalten laſſe, ſondern ſie in Men- „ſchen verwandle, welches nur in poſſirlichen Ge- „dichten

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/230>, abgerufen am 02.05.2024.