Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Exempel oder durch seine Lehre, aus den Händen
spielen will, der nenne uns erst andere Individua,
von denen es bekannt ist, daß ihnen die nehmlichen
Eigenschaften in der That zukommen.

Je tiefer wir auf der Leiter der Wesen herabstei-
gen, desto seltner kommen uns dergleichen allgemein
bekannte Charaktere vor. Dieses ist denn auch die
Ursache, warum sich der Fabulist so selten in dem
Pflanzenreiche, noch seltener in dem Steinreiche
und am aller seltensten vielleicht unter den Werken
der Kunst finden läßt. Denn daß es deswegen ge-
schehen sollte, weil es stuffenweise immer unwahr-
scheinlicher werde, daß diese geringern Werke der
Natur und Kunst empfinden, denken und sprechen
könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem
ehernen und dem irdenen Topfe ist nicht um ein Haar
schlechter oder unwahrscheinlicher als die beste Fabel,
z. E. von einem Affe, so nahe auch dieser dem Men-
schen verwandt ist, und so unendlich weit jene von
ihm abstehen.

Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur
eigentlichen Ursache ihres vorzüglichen Gebrauchs

in

Exempel oder durch ſeine Lehre, aus den Händen
ſpielen will, der nenne uns erſt andere Individua,
von denen es bekannt iſt, daß ihnen die nehmlichen
Eigenſchaften in der That zukommen.

Je tiefer wir auf der Leiter der Weſen herabſtei-
gen, deſto ſeltner kommen uns dergleichen allgemein
bekannte Charaktere vor. Dieſes iſt denn auch die
Urſache, warum ſich der Fabuliſt ſo ſelten in dem
Pflanzenreiche, noch ſeltener in dem Steinreiche
und am aller ſeltenſten vielleicht unter den Werken
der Kunſt finden läßt. Denn daß es deswegen ge-
ſchehen ſollte, weil es ſtuffenweiſe immer unwahr-
ſcheinlicher werde, daß dieſe geringern Werke der
Natur und Kunſt empfinden, denken und ſprechen
könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem
ehernen und dem irdenen Topfe iſt nicht um ein Haar
ſchlechter oder unwahrſcheinlicher als die beſte Fabel,
z. E. von einem Affe, ſo nahe auch dieſer dem Men-
ſchen verwandt iſt, und ſo unendlich weit jene von
ihm abſtehen.

Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur
eigentlichen Urſache ihres vorzüglichen Gebrauchs

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0208" n="188"/>
Exempel oder durch &#x017F;eine Lehre, aus den Händen<lb/>
&#x017F;pielen will, der nenne uns er&#x017F;t andere Individua,<lb/>
von denen es bekannt i&#x017F;t, daß ihnen die nehmlichen<lb/>
Eigen&#x017F;chaften in der That zukommen.</p><lb/>
          <p>Je tiefer wir auf der Leiter der We&#x017F;en herab&#x017F;tei-<lb/>
gen, de&#x017F;to &#x017F;eltner kommen uns dergleichen allgemein<lb/>
bekannte Charaktere vor. Die&#x017F;es i&#x017F;t denn auch die<lb/>
Ur&#x017F;ache, warum &#x017F;ich der Fabuli&#x017F;t &#x017F;o &#x017F;elten in dem<lb/>
Pflanzenreiche, noch &#x017F;eltener in dem Steinreiche<lb/>
und am aller &#x017F;elten&#x017F;ten vielleicht unter den Werken<lb/>
der Kun&#x017F;t finden läßt. Denn daß es deswegen ge-<lb/>
&#x017F;chehen &#x017F;ollte, weil es &#x017F;tuffenwei&#x017F;e immer unwahr-<lb/>
&#x017F;cheinlicher werde, daß die&#x017F;e geringern Werke der<lb/>
Natur und Kun&#x017F;t empfinden, denken und &#x017F;prechen<lb/>
könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem<lb/>
ehernen und dem irdenen Topfe i&#x017F;t nicht um ein Haar<lb/>
&#x017F;chlechter oder unwahr&#x017F;cheinlicher als die be&#x017F;te Fabel,<lb/>
z. E. von einem Affe, &#x017F;o nahe auch die&#x017F;er dem Men-<lb/>
&#x017F;chen verwandt i&#x017F;t, und &#x017F;o unendlich weit jene von<lb/>
ihm ab&#x017F;tehen.</p><lb/>
          <p>Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur<lb/>
eigentlichen Ur&#x017F;ache ihres vorzüglichen Gebrauchs<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[188/0208] Exempel oder durch ſeine Lehre, aus den Händen ſpielen will, der nenne uns erſt andere Individua, von denen es bekannt iſt, daß ihnen die nehmlichen Eigenſchaften in der That zukommen. Je tiefer wir auf der Leiter der Weſen herabſtei- gen, deſto ſeltner kommen uns dergleichen allgemein bekannte Charaktere vor. Dieſes iſt denn auch die Urſache, warum ſich der Fabuliſt ſo ſelten in dem Pflanzenreiche, noch ſeltener in dem Steinreiche und am aller ſeltenſten vielleicht unter den Werken der Kunſt finden läßt. Denn daß es deswegen ge- ſchehen ſollte, weil es ſtuffenweiſe immer unwahr- ſcheinlicher werde, daß dieſe geringern Werke der Natur und Kunſt empfinden, denken und ſprechen könnten; will mir nicht ein. Die Fabel von dem ehernen und dem irdenen Topfe iſt nicht um ein Haar ſchlechter oder unwahrſcheinlicher als die beſte Fabel, z. E. von einem Affe, ſo nahe auch dieſer dem Men- ſchen verwandt iſt, und ſo unendlich weit jene von ihm abſtehen. Indem ich aber die Charaktere der Thiere zur eigentlichen Urſache ihres vorzüglichen Gebrauchs in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/208
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/208>, abgerufen am 23.11.2024.