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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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nennt, fallen auch meine Gedanken sogleich nur auf
Einen Charakter. Anstatt des Menschen überhaupt
hätte Hermann Axel also wenigstens einen Gas-
conier
setzen müssen. Und alsdenn würde er wohl
gefunden haben, daß die Fabel, durch die blosse
Weglassung des Thieres, so viel eben nicht verlöre,
besonders wenn er in dem nehmlichen Verhältnisse
anch die übrigen Umstände geändert, und den Gas-
conier
nach etwas mehr, als nach Birnen, lüstern
gemacht hätte.

Da also die allgemein bekannten und unverän-
derlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Ursache
sind, warum sie der Fabulist zu moralischen Wesen
erhebt, so kömmt mir es sehr sonderbar vor, wenn
man es Einem zum besondern Ruhme machen will,
"daß der Schwan in seinen Fabeln nicht singe, noch
"der Pelican sein Blut für seine Jungen vergiesse *. --

Als ob man in den Fabelbüchern die Naturgeschichte
studieren sollte! Wenn dergleichen Eigenschaften all-
gemein bekannt sind, so sind sie werth gebraucht zu
werden, der Naturalist mag sie bekräftigen oder
nicht. Und derjenige der sie uns, es sey durch seine

Exempel
* Man sehe die critische Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.

nennt, fallen auch meine Gedanken ſogleich nur auf
Einen Charakter. Anſtatt des Menſchen überhaupt
hätte Hermann Axel alſo wenigſtens einen Gas-
conier
ſetzen müſſen. Und alsdenn würde er wohl
gefunden haben, daß die Fabel, durch die bloſſe
Weglaſſung des Thieres, ſo viel eben nicht verlöre,
beſonders wenn er in dem nehmlichen Verhältniſſe
anch die übrigen Umſtände geändert, und den Gas-
conier
nach etwas mehr, als nach Birnen, lüſtern
gemacht hätte.

Da alſo die allgemein bekannten und unverän-
derlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Urſache
ſind, warum ſie der Fabuliſt zu moraliſchen Weſen
erhebt, ſo kömmt mir es ſehr ſonderbar vor, wenn
man es Einem zum beſondern Ruhme machen will,
„daß der Schwan in ſeinen Fabeln nicht ſinge, noch
„der Pelican ſein Blut für ſeine Jungen vergieſſe *. —

Als ob man in den Fabelbüchern die Naturgeſchichte
ſtudieren ſollte! Wenn dergleichen Eigenſchaften all-
gemein bekannt ſind, ſo ſind ſie werth gebraucht zu
werden, der Naturaliſt mag ſie bekräftigen oder
nicht. Und derjenige der ſie uns, es ſey durch ſeine

Exempel
* Man ſehe die critiſche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.
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[187/0207] nennt, fallen auch meine Gedanken ſogleich nur auf Einen Charakter. Anſtatt des Menſchen überhaupt hätte Hermann Axel alſo wenigſtens einen Gas- conier ſetzen müſſen. Und alsdenn würde er wohl gefunden haben, daß die Fabel, durch die bloſſe Weglaſſung des Thieres, ſo viel eben nicht verlöre, beſonders wenn er in dem nehmlichen Verhältniſſe anch die übrigen Umſtände geändert, und den Gas- conier nach etwas mehr, als nach Birnen, lüſtern gemacht hätte. Da alſo die allgemein bekannten und unverän- derlichen Charaktere der Thiere die eigentliche Urſache ſind, warum ſie der Fabuliſt zu moraliſchen Weſen erhebt, ſo kömmt mir es ſehr ſonderbar vor, wenn man es Einem zum beſondern Ruhme machen will, „daß der Schwan in ſeinen Fabeln nicht ſinge, noch „der Pelican ſein Blut für ſeine Jungen vergieſſe *. — Als ob man in den Fabelbüchern die Naturgeſchichte ſtudieren ſollte! Wenn dergleichen Eigenſchaften all- gemein bekannt ſind, ſo ſind ſie werth gebraucht zu werden, der Naturaliſt mag ſie bekräftigen oder nicht. Und derjenige der ſie uns, es ſey durch ſeine Exempel * Man ſehe die critiſche Vorrede zu M. v. K. neuen Fabeln.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/207>, abgerufen am 27.11.2024.