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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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in der Fabel mache, will ich nicht sagen, daß die
Thiere dem Fabulisten sonst zu weiter gar nichts nütz-
ten. Ich weis es sehr wohl, daß sie unter andern
in der zusammen gesetzten Fabel das Vergnügen
der Vergleichung um ein grosses vermehren, welches
alsdenn kaum merklich ist, wenn sowohl der wahre
als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden
Personen von einerley Art, aus Menschen, bestehen.
Da aber dieser Nutzen, wie gesagt, nur in der zu-
sammen gesetzten Fabel
Statt findet, so kann er
die Ursache nicht seyn, warum die Thiere auch in
der einfachen Fabel, und also in der Fabel über-
haupt, dem Dichter sich gemeiniglich mehr empfeh-
len, als die Menschen.

Ja, ich will es wagen den Thieren, und andern
geringern Geschöpfen in der Fabel noch einen Nu-
tzen zuzuschreiben, auf welchen ich vielleicht durch
Schlüsse nie gekommen wäre, wenn mich nicht mein
Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unsere
klare und lebendige Erkenntniß eines moralischen
Satzes zur Absicht. Nichts verdunkelt unsere Er-
kenntniß mehr als die Leidenschaften. Folglich muß

der

in der Fabel mache, will ich nicht ſagen, daß die
Thiere dem Fabuliſten ſonſt zu weiter gar nichts nütz-
ten. Ich weis es ſehr wohl, daß ſie unter andern
in der zuſammen geſetzten Fabel das Vergnügen
der Vergleichung um ein groſſes vermehren, welches
alsdenn kaum merklich iſt, wenn ſowohl der wahre
als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden
Perſonen von einerley Art, aus Menſchen, beſtehen.
Da aber dieſer Nutzen, wie geſagt, nur in der zu-
ſammen geſetzten Fabel
Statt findet, ſo kann er
die Urſache nicht ſeyn, warum die Thiere auch in
der einfachen Fabel, und alſo in der Fabel über-
haupt, dem Dichter ſich gemeiniglich mehr empfeh-
len, als die Menſchen.

Ja, ich will es wagen den Thieren, und andern
geringern Geſchöpfen in der Fabel noch einen Nu-
tzen zuzuſchreiben, auf welchen ich vielleicht durch
Schlüſſe nie gekommen wäre, wenn mich nicht mein
Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unſere
klare und lebendige Erkenntniß eines moraliſchen
Satzes zur Abſicht. Nichts verdunkelt unſere Er-
kenntniß mehr als die Leidenſchaften. Folglich muß

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[189/0209] in der Fabel mache, will ich nicht ſagen, daß die Thiere dem Fabuliſten ſonſt zu weiter gar nichts nütz- ten. Ich weis es ſehr wohl, daß ſie unter andern in der zuſammen geſetzten Fabel das Vergnügen der Vergleichung um ein groſſes vermehren, welches alsdenn kaum merklich iſt, wenn ſowohl der wahre als der erdichtete einzelne Fall beyde aus handelnden Perſonen von einerley Art, aus Menſchen, beſtehen. Da aber dieſer Nutzen, wie geſagt, nur in der zu- ſammen geſetzten Fabel Statt findet, ſo kann er die Urſache nicht ſeyn, warum die Thiere auch in der einfachen Fabel, und alſo in der Fabel über- haupt, dem Dichter ſich gemeiniglich mehr empfeh- len, als die Menſchen. Ja, ich will es wagen den Thieren, und andern geringern Geſchöpfen in der Fabel noch einen Nu- tzen zuzuſchreiben, auf welchen ich vielleicht durch Schlüſſe nie gekommen wäre, wenn mich nicht mein Gefühl darauf gebracht hätte. Die Fabel hat unſere klare und lebendige Erkenntniß eines moraliſchen Satzes zur Abſicht. Nichts verdunkelt unſere Er- kenntniß mehr als die Leidenſchaften. Folglich muß der

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/209>, abgerufen am 02.05.2024.