"sich lange, auf denselben hinauf zu klimmen, aber "es war umsonst, er mußte es endlich aufgeben. In- "dem er weggieng, sagte er: Es ist mir gesunder, "daß ich sie noch länger stehen lasse, sie sind doch "noch nicht zeitig genug. Aber dieses Geschichtchen "reitzet nicht stark genug; es ist zu platt etc. -- Ich gestehe es Hermann Axeln zu; das Geschichtchen ist sehr platt, und verdienet nichts weniger, als den Namen einer guten Fabel. Aber ist es bloß des- wegen so platt geworden, weil kein Thier darinn redet und handelt? Gewiß nicht; sondern es ist es da- durch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs, mit dessen blossem Namen wir einen gewissen Cha- rakter verbinden, aus welchem sich der Grund von der ihm zugeschriebenen Handlung angeben läßt, in ein anders Individuum verwandelt hat, dessen Name keine Idee eines bestimmten Charakters in uns er- wecket. "Ein Mensch"! Das ist ein viel zu allge- meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art von Menschen soll ich dabey denken? Es giebt deren so viele! Aber "ein Fuchs!" Der Fabulist weis nur von Einem Fuchse, und sobald er mir das Wort
nennt,
„ſich lange, auf denſelben hinauf zu klimmen, aber „es war umſonſt, er mußte es endlich aufgeben. In- „dem er weggieng, ſagte er: Es iſt mir geſunder, „daß ich ſie noch länger ſtehen laſſe, ſie ſind doch „noch nicht zeitig genug. Aber dieſes Geſchichtchen „reitzet nicht ſtark genug; es iſt zu platt ꝛc. — Ich geſtehe es Hermann Axeln zu; das Geſchichtchen iſt ſehr platt, und verdienet nichts weniger, als den Namen einer guten Fabel. Aber iſt es bloß des- wegen ſo platt geworden, weil kein Thier darinn redet und handelt? Gewiß nicht; ſondern es iſt es da- durch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs, mit deſſen bloſſem Namen wir einen gewiſſen Cha- rakter verbinden, aus welchem ſich der Grund von der ihm zugeſchriebenen Handlung angeben läßt, in ein anders Individuum verwandelt hat, deſſen Name keine Idee eines beſtimmten Charakters in uns er- wecket. „Ein Menſch“! Das iſt ein viel zu allge- meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art von Menſchen ſoll ich dabey denken? Es giebt deren ſo viele! Aber „ein Fuchs!“ Der Fabuliſt weis nur von Einem Fuchſe, und ſobald er mir das Wort
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„ſich lange, auf denſelben hinauf zu klimmen, aber
„es war umſonſt, er mußte es endlich aufgeben. In-
„dem er weggieng, ſagte er: Es iſt mir geſunder,
„daß ich ſie noch länger ſtehen laſſe, ſie ſind doch
„noch nicht zeitig genug. Aber dieſes Geſchichtchen
„reitzet nicht ſtark genug; es iſt zu platt ꝛc. — Ich
geſtehe es Hermann Axeln zu; das Geſchichtchen
iſt ſehr platt, und verdienet nichts weniger, als den
Namen einer guten Fabel. Aber iſt es bloß des-
wegen ſo platt geworden, weil kein Thier darinn
redet und handelt? Gewiß nicht; ſondern es iſt es da-
durch geworden, weil er das Individuum, den Fuchs,
mit deſſen bloſſem Namen wir einen gewiſſen Cha-
rakter verbinden, aus welchem ſich der Grund von
der ihm zugeſchriebenen Handlung angeben läßt, in
ein anders Individuum verwandelt hat, deſſen Name
keine Idee eines beſtimmten Charakters in uns er-
wecket. „Ein Menſch“! Das iſt ein viel zu allge-
meiner Begriff für die Fabel. An was für eine Art
von Menſchen ſoll ich dabey denken? Es giebt deren
ſo viele! Aber „ein Fuchs!“ Der Fabuliſt weis nur
von Einem Fuchſe, und ſobald er mir das Wort
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/206>, abgerufen am 23.11.2024.
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