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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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dürstigkeit mit dem Worte Riese; und durch den
armen Mann des Propheten die Idee der unter-
drückten Unschuld noch leichter erregt wird, als
durch den Zwerg. -- Der beste Abdruck dieser Fa-
bel, in welchem sie ohne Zweifel am aller wenigsten
verloren hat, ist die Fabel von der Ratze und dem
Sahne *. Doch weil man auch hier sich das Ver-
hältniß der Katze gegen den Sahn nicht so geschwind
denkt, als dort das Verhältniß des Wolfes zum
Lamme, so sind diese noch immer die allerbequem-
sten Wesen, die der Fabulist zu seiner Absicht hat
wehlen können.

Der Verfasser der oben angeführten Critischen
Briefe
ist mit Breitingern einerley Meinung,
und sagt unter andern, in der erdichteten Person
des Hermann Axels: ** "Die Fabel bekömmt durch
"diese sonderbare Personen ein wunderliches An-
"sehen. Es wäre keine ungeschickte Fabel, wenn
"man dichtete: Ein Mensch sah auf einem hohen
"Baume die schönsten Birnen hangen, die seine Lust
"davon zu essen, mächtig reitzeten. Er bemühte

"sich
* Fab. Aesop. 6.
** Seite 166.
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dürſtigkeit mit dem Worte Rieſe; und durch den
armen Mann des Propheten die Idee der unter-
drückten Unſchuld noch leichter erregt wird, als
durch den Zwerg. — Der beſte Abdruck dieſer Fa-
bel, in welchem ſie ohne Zweifel am aller wenigſten
verloren hat, iſt die Fabel von der Ratze und dem
Sahne *. Doch weil man auch hier ſich das Ver-
hältniß der Katze gegen den Sahn nicht ſo geſchwind
denkt, als dort das Verhältniß des Wolfes zum
Lamme, ſo ſind dieſe noch immer die allerbequem-
ſten Weſen, die der Fabuliſt zu ſeiner Abſicht hat
wehlen können.

Der Verfaſſer der oben angeführten Critiſchen
Briefe
iſt mit Breitingern einerley Meinung,
und ſagt unter andern, in der erdichteten Perſon
des Hermann Axels: ** „Die Fabel bekömmt durch
„dieſe ſonderbare Perſonen ein wunderliches An-
„ſehen. Es wäre keine ungeſchickte Fabel, wenn
„man dichtete: Ein Menſch ſah auf einem hohen
„Baume die ſchönſten Birnen hangen, die ſeine Luſt
„davon zu eſſen, mächtig reitzeten. Er bemühte

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* Fab. Aeſop. 6.
** Seite 166.
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[185/0205] dürſtigkeit mit dem Worte Rieſe; und durch den armen Mann des Propheten die Idee der unter- drückten Unſchuld noch leichter erregt wird, als durch den Zwerg. — Der beſte Abdruck dieſer Fa- bel, in welchem ſie ohne Zweifel am aller wenigſten verloren hat, iſt die Fabel von der Ratze und dem Sahne *. Doch weil man auch hier ſich das Ver- hältniß der Katze gegen den Sahn nicht ſo geſchwind denkt, als dort das Verhältniß des Wolfes zum Lamme, ſo ſind dieſe noch immer die allerbequem- ſten Weſen, die der Fabuliſt zu ſeiner Abſicht hat wehlen können. Der Verfaſſer der oben angeführten Critiſchen Briefe iſt mit Breitingern einerley Meinung, und ſagt unter andern, in der erdichteten Perſon des Hermann Axels: ** „Die Fabel bekömmt durch „dieſe ſonderbare Perſonen ein wunderliches An- „ſehen. Es wäre keine ungeſchickte Fabel, wenn „man dichtete: Ein Menſch ſah auf einem hohen „Baume die ſchönſten Birnen hangen, die ſeine Luſt „davon zu eſſen, mächtig reitzeten. Er bemühte „ſich * Fab. Aeſop. 6. ** Seite 166. M 5

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/205>, abgerufen am 02.05.2024.