sache, weil das, was nur von einem Jndividuo ge- sagt werden sollte, von einer ganzen Art gesagt wird, keine Fabel. Als daher Lestrange eine Fabel daraus machen wollte, mußte er ihm diese Allgemein- heit nehmen, und die Individualität dafür erthei- len *. "Eine Aeffin, erzehlt er, hatte zwey Junge; "in das eine war sie närrisch verliebt, an dem andern "aber war ihr sehr wenig gelegen. Einsmals überfiel "sie ein plötzlicher Schrecken. Geschwind raft sie "ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt "davon, stürzt aber, und schlägt mit ihm gegen einen "Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerschmetter- "ten Schedel springt. Das andere Junge, um das "sie sich im geringsten nicht bekümmert hatte, war ihr "von selbst auf den Rücken gesprungen, hatte sich "an ihre Schultern angeklammert, und kam glück- "lich davon." -- Hier ist alles bestimmt; und was dort nur eine Parabel war, ist hier zur Fabel ge- worden. -- Das schon mehr als einmal angeführte Beyspiel von dem Fischer, hat den nehmlichen Feh- ler; denn selten hat eine schlechte Fabel einen Fehler
allein.
* In seinen Fabeln, so wie sie Richardson adoptirt hat, die 187te.
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ſache, weil das, was nur von einem Jndividuo ge- ſagt werden ſollte, von einer ganzen Art geſagt wird, keine Fabel. Als daher Leſtrange eine Fabel daraus machen wollte, mußte er ihm dieſe Allgemein- heit nehmen, und die Individualität dafür erthei- len *. „Eine Aeffin, erzehlt er, hatte zwey Junge; „in das eine war ſie närriſch verliebt, an dem andern „aber war ihr ſehr wenig gelegen. Einsmals überfiel „ſie ein plötzlicher Schrecken. Geſchwind raft ſie „ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt „davon, ſtürzt aber, und ſchlägt mit ihm gegen einen „Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerſchmetter- „ten Schedel ſpringt. Das andere Junge, um das „ſie ſich im geringſten nicht bekümmert hatte, war ihr „von ſelbſt auf den Rücken geſprungen, hatte ſich „an ihre Schultern angeklammert, und kam glück- „lich davon.“ — Hier iſt alles beſtimmt; und was dort nur eine Parabel war, iſt hier zur Fabel ge- worden. — Das ſchon mehr als einmal angeführte Beyſpiel von dem Fiſcher, hat den nehmlichen Feh- ler; denn ſelten hat eine ſchlechte Fabel einen Fehler
allein.
* In ſeinen Fabeln, ſo wie ſie Richardſon adoptirt hat, die 187te.
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ſache, weil das, was nur von einem Jndividuo ge-
ſagt werden ſollte, von einer ganzen Art geſagt
wird, keine Fabel. Als daher Leſtrange eine Fabel
daraus machen wollte, mußte er ihm dieſe Allgemein-
heit nehmen, und die Individualität dafür erthei-
len *. „Eine Aeffin, erzehlt er, hatte zwey Junge;
„in das eine war ſie närriſch verliebt, an dem andern
„aber war ihr ſehr wenig gelegen. Einsmals überfiel
„ſie ein plötzlicher Schrecken. Geſchwind raft ſie
„ihren Liebling auf, nimmt ihn in die Arme, eilt
„davon, ſtürzt aber, und ſchlägt mit ihm gegen einen
„Stein, daß ihm das Gehirn aus dem zerſchmetter-
„ten Schedel ſpringt. Das andere Junge, um das
„ſie ſich im geringſten nicht bekümmert hatte, war ihr
„von ſelbſt auf den Rücken geſprungen, hatte ſich
„an ihre Schultern angeklammert, und kam glück-
„lich davon.“ — Hier iſt alles beſtimmt; und was
dort nur eine Parabel war, iſt hier zur Fabel ge-
worden. — Das ſchon mehr als einmal angeführte
Beyſpiel von dem Fiſcher, hat den nehmlichen Feh-
ler; denn ſelten hat eine ſchlechte Fabel einen Fehler
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* In ſeinen Fabeln, ſo wie ſie Richardſon adoptirt hat,
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/183>, abgerufen am 16.02.2025.
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