tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten lassen. -- Aber wenn es bey dem Aristoteles so hiesse:
"Ihr wollt euren Magistrat durch das Looß "ernennen? Ich sorge, es wird euch gehen wie "jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem "Steuermanne fehlte etc."
Das verspricht doch eine Fabel? Und warum? Welche Veränderung ist da- mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und man wird keine finden als diese: Dort ward der Schiffsherr durch ein als wenn eingeführt, er ward bloß als möglich betrachtet; und hier hat er die Wirklichkeit erhalten; es ist hier ein gewisser, es ist jener Schiffsherr.
Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muß als wirklich vor- gestellet werden. Begnüge ich mich an der Mög- lichkeit desselben so ist es ein Beyspiel, eine Para- bel. -- Es verlohnt sich der Mühe diesen wichtigen Unterschied, aus welchem man allein so viel zwey- deutigen Fabeln das Urtheil sprechen muß, an eini- gen Exempeln zu zeigen. -- Unter den Aesopischen Fabeln des Planudes lieset man auch folgendes:
"Der
tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten laſſen. — Aber wenn es bey dem Ariſtoteles ſo hieſſe:
„Ihr wollt euren Magiſtrat durch das Looß „ernennen? Ich ſorge, es wird euch gehen wie „jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem „Steuermanne fehlte ꝛc.“
Das verſpricht doch eine Fabel? Und warum? Welche Veränderung iſt da- mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und man wird keine finden als dieſe: Dort ward der Schiffsherr durch ein als wenn eingeführt, er ward bloß als möglich betrachtet; und hier hat er die Wirklichkeit erhalten; es iſt hier ein gewiſſer, es iſt jener Schiffsherr.
Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vor- geſtellet werden. Begnüge ich mich an der Mög- lichkeit deſſelben ſo iſt es ein Beyſpiel, eine Para- bel. — Es verlohnt ſich der Mühe dieſen wichtigen Unterſchied, aus welchem man allein ſo viel zwey- deutigen Fabeln das Urtheil ſprechen muß, an eini- gen Exempeln zu zeigen. — Unter den Aeſopiſchen Fabeln des Planudes lieſet man auch folgendes:
„Der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0180"n="160"/>
tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten<lb/>
laſſen. — Aber wenn es bey dem <hirendition="#fr">Ariſtoteles</hi>ſo<lb/>
hieſſe:</p><cit><quote>„Ihr wollt euren Magiſtrat durch das Looß<lb/>„ernennen? Ich ſorge, es wird euch gehen wie<lb/>„jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem<lb/>„Steuermanne fehlte ꝛc.“</quote><bibl/></cit><p>Das verſpricht doch eine<lb/>
Fabel? Und warum? Welche Veränderung iſt da-<lb/>
mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und<lb/>
man wird keine finden als dieſe: Dort ward der<lb/>
Schiffsherr durch ein <hirendition="#fr">als wenn</hi> eingeführt, er ward<lb/>
bloß als <hirendition="#fr">möglich</hi> betrachtet; und hier hat er die<lb/><hirendition="#fr">Wirklichkeit</hi> erhalten; es iſt hier ein gewiſſer, es<lb/>
iſt <hirendition="#fr">jener</hi> Schiffsherr.</p><lb/><p>Das trift den Punct! Der <hirendition="#fr">einzelne Fall</hi>, aus<lb/>
welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vor-<lb/>
geſtellet werden. Begnüge ich mich an der Mög-<lb/>
lichkeit deſſelben ſo iſt es ein <hirendition="#fr">Beyſpiel</hi>, eine <hirendition="#fr">Para-<lb/>
bel</hi>. — Es verlohnt ſich der Mühe dieſen wichtigen<lb/>
Unterſchied, aus welchem man allein ſo viel zwey-<lb/>
deutigen Fabeln das Urtheil ſprechen muß, an eini-<lb/>
gen Exempeln zu zeigen. — Unter den Aeſopiſchen<lb/>
Fabeln des <hirendition="#fr">Planudes</hi> lieſet man auch folgendes:</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">„Der</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[160/0180]
tete, eine Fabel? Niemand wird ihn dafür gelten
laſſen. — Aber wenn es bey dem Ariſtoteles ſo
hieſſe:
„Ihr wollt euren Magiſtrat durch das Looß
„ernennen? Ich ſorge, es wird euch gehen wie
„jenem Schiffsherrn, der, als es ihm an einem
„Steuermanne fehlte ꝛc.“ Das verſpricht doch eine
Fabel? Und warum? Welche Veränderung iſt da-
mit vorgegangen? Man betrachte alles genau, und
man wird keine finden als dieſe: Dort ward der
Schiffsherr durch ein als wenn eingeführt, er ward
bloß als möglich betrachtet; und hier hat er die
Wirklichkeit erhalten; es iſt hier ein gewiſſer, es
iſt jener Schiffsherr.
Das trift den Punct! Der einzelne Fall, aus
welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vor-
geſtellet werden. Begnüge ich mich an der Mög-
lichkeit deſſelben ſo iſt es ein Beyſpiel, eine Para-
bel. — Es verlohnt ſich der Mühe dieſen wichtigen
Unterſchied, aus welchem man allein ſo viel zwey-
deutigen Fabeln das Urtheil ſprechen muß, an eini-
gen Exempeln zu zeigen. — Unter den Aeſopiſchen
Fabeln des Planudes lieſet man auch folgendes:
„Der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/180>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.