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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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laris zum obersten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker
gemacht hatten, und ihm noch dazu eine Leibwache
geben wollten.

"O ihr Himerenser, rief er, die ihr
"so fest entschlossen seyd, euch an euren Feinden zu
"rächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird
"euch wie diesem Pferde ergehen! Den Zaum habt
"ihr euch bereits anlegen lassen, indem ihr den Pha-
"laris
zu eurem Heerführer mit unumschränkter
"Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine
"Leibwache geben, wollt ihr ihn aussitzen lassen, so
"ist es vollends um eure Freyheit gethan."*

-- Alles
wird hier allegorisch! Aber einzig und allein dadurch,
daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten,
sondern auf die beleidigten Himerenser; der Hirsch
nicht auf jeden Beleidiger, sondern auf die Feinde
der Himerenser; der Mann nicht auf jeden listigen
Unterdrücker, sondern auf den Phalaris; die An-
legung des Zaums nicht auf jeden ersten Eingriff in
die Rechte der Freyheit, sondern auf die Ernennung
des Phalaris zum unumschränkten Heerführer;
und das Aufsitzen endlich, nicht auf jeden letzten
tödtlichen Stoß, welcher der Freyheit beygebracht

wird,
* Aristoteles Rhetor lib. II. cap. 20.

laris zum oberſten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker
gemacht hatten, und ihm noch dazu eine Leibwache
geben wollten.

„O ihr Himerenſer, rief er, die ihr
„ſo feſt entſchloſſen ſeyd, euch an euren Feinden zu
„rächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird
„euch wie dieſem Pferde ergehen! Den Zaum habt
„ihr euch bereits anlegen laſſen, indem ihr den Pha-
„laris
zu eurem Heerführer mit unumſchränkter
„Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine
„Leibwache geben, wollt ihr ihn auſſitzen laſſen, ſo
„iſt es vollends um eure Freyheit gethan.“*

— Alles
wird hier allegoriſch! Aber einzig und allein dadurch,
daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten,
ſondern auf die beleidigten Himerenſer; der Hirſch
nicht auf jeden Beleidiger, ſondern auf die Feinde
der Himerenſer; der Mann nicht auf jeden liſtigen
Unterdrücker, ſondern auf den Phalaris; die An-
legung des Zaums nicht auf jeden erſten Eingriff in
die Rechte der Freyheit, ſondern auf die Ernennung
des Phalaris zum unumſchränkten Heerführer;
und das Aufſitzen endlich, nicht auf jeden letzten
tödtlichen Stoß, welcher der Freyheit beygebracht

wird,
* Ariſtoteles Rhetor lib. II. cap. 20.
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[126/0146] laris zum oberſten Befehlshaber ihrer Kriegsvölker gemacht hatten, und ihm noch dazu eine Leibwache geben wollten. „O ihr Himerenſer, rief er, die ihr „ſo feſt entſchloſſen ſeyd, euch an euren Feinden zu „rächen; nehmet euch wohl in Acht, oder es wird „euch wie dieſem Pferde ergehen! Den Zaum habt „ihr euch bereits anlegen laſſen, indem ihr den Pha- „laris zu eurem Heerführer mit unumſchränkter „Gewalt, ernannt. Wollt ihr ihm nun gar eine „Leibwache geben, wollt ihr ihn auſſitzen laſſen, ſo „iſt es vollends um eure Freyheit gethan.“ * — Alles wird hier allegoriſch! Aber einzig und allein dadurch, daß das Pferd, hier nicht auf jeden Beleidigten, ſondern auf die beleidigten Himerenſer; der Hirſch nicht auf jeden Beleidiger, ſondern auf die Feinde der Himerenſer; der Mann nicht auf jeden liſtigen Unterdrücker, ſondern auf den Phalaris; die An- legung des Zaums nicht auf jeden erſten Eingriff in die Rechte der Freyheit, ſondern auf die Ernennung des Phalaris zum unumſchränkten Heerführer; und das Aufſitzen endlich, nicht auf jeden letzten tödtlichen Stoß, welcher der Freyheit beygebracht wird, * Ariſtoteles Rhetor lib. II. cap. 20.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/146>, abgerufen am 02.05.2024.