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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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sagt haben, der Charaktere zu schildern im
Stande wäre, wovon sich in der größten Stadt

kaum
Die Bedeutung, die Faerne dem Worte in-
tegra
in einer alten Glosse gegeben fand, daß
es so viel seyn sollte, als a nullo tacta, ist hier
offenbar falsch, weil sie sich nur auf das erste
integra, aber keinesweges auf das zweyte in-
tegram
schicken würde. -- Und so glaube ich,
daß sich meiner Vermuthung und Auslegung
wohl hören läßt! Nur wird man sich an die
gleich folgende Zeile stoßen:
Novam esse ostendi, & quae esset --
Man wird sagen: wenn Terenz bekennet, daß
er das ganze Stück aus einem einzigen Stücke
des Menanders genommen habe; wie kann
er eben durch dieses Bekenntniß bewiesen zu
haben vorgeben, daß sein Stück nen sey, no-
vam esse?
-- Doch diese Schwierigkeit kann
ich sehr leicht heben, und zwar durch eine Er-
klärung eben dieser Worte, von welcher ich
mich zu behaupten getraue, daß sie schlechter-
dings die einzige wahre ist, ob sie gleich nur
mir zugehört, und kein Ausleger, so viel ich
weiß, sie nur von weitem vermuthet hat. Jch
sage nehmlich; die Worte,
Novam esse ostendi, & quae esset --
beziehen sich keinesweges auf das, was Te-
renz den Vorredner in dem Vorigen sagen
lassen; sondern man muß darunter verstehen,
apud Aediles; novus aber heißt hier nicht,
was aus des Terenz eigenem Kopfe geflossen,
son-

ſagt haben, der Charaktere zu ſchildern im
Stande wäre, wovon ſich in der größten Stadt

kaum
Die Bedeutung, die Faerne dem Worte in-
tegra
in einer alten Gloſſe gegeben fand, daß
es ſo viel ſeyn ſollte, als a nullo tacta, iſt hier
offenbar falſch, weil ſie ſich nur auf das erſte
integra, aber keinesweges auf das zweyte in-
tegram
ſchicken würde. — Und ſo glaube ich,
daß ſich meiner Vermuthung und Auslegung
wohl hören läßt! Nur wird man ſich an die
gleich folgende Zeile ſtoßen:
Novam eſſe oſtendi, & quæ eſſet
Man wird ſagen: wenn Terenz bekennet, daß
er das ganze Stück aus einem einzigen Stücke
des Menanders genommen habe; wie kann
er eben durch dieſes Bekenntniß bewieſen zu
haben vorgeben, daß ſein Stück nen ſey, no-
vam eſſe?
— Doch dieſe Schwierigkeit kann
ich ſehr leicht heben, und zwar durch eine Er-
klärung eben dieſer Worte, von welcher ich
mich zu behaupten getraue, daß ſie ſchlechter-
dings die einzige wahre iſt, ob ſie gleich nur
mir zugehört, und kein Ausleger, ſo viel ich
weiß, ſie nur von weitem vermuthet hat. Jch
ſage nehmlich; die Worte,
Novam eſſe oſtendi, & quæ eſſet
beziehen ſich keinesweges auf das, was Te-
renz den Vorredner in dem Vorigen ſagen
laſſen; ſondern man muß darunter verſtehen,
apud Aediles; novus aber heißt hier nicht,
was aus des Terenz eigenem Kopfe gefloſſen,
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[280/0286] ſagt haben, der Charaktere zu ſchildern im Stande wäre, wovon ſich in der größten Stadt kaum (*) (*) Die Bedeutung, die Faerne dem Worte in- tegra in einer alten Gloſſe gegeben fand, daß es ſo viel ſeyn ſollte, als a nullo tacta, iſt hier offenbar falſch, weil ſie ſich nur auf das erſte integra, aber keinesweges auf das zweyte in- tegram ſchicken würde. — Und ſo glaube ich, daß ſich meiner Vermuthung und Auslegung wohl hören läßt! Nur wird man ſich an die gleich folgende Zeile ſtoßen: Novam eſſe oſtendi, & quæ eſſet — Man wird ſagen: wenn Terenz bekennet, daß er das ganze Stück aus einem einzigen Stücke des Menanders genommen habe; wie kann er eben durch dieſes Bekenntniß bewieſen zu haben vorgeben, daß ſein Stück nen ſey, no- vam eſſe? — Doch dieſe Schwierigkeit kann ich ſehr leicht heben, und zwar durch eine Er- klärung eben dieſer Worte, von welcher ich mich zu behaupten getraue, daß ſie ſchlechter- dings die einzige wahre iſt, ob ſie gleich nur mir zugehört, und kein Ausleger, ſo viel ich weiß, ſie nur von weitem vermuthet hat. Jch ſage nehmlich; die Worte, Novam eſſe oſtendi, & quæ eſſet — beziehen ſich keinesweges auf das, was Te- renz den Vorredner in dem Vorigen ſagen laſſen; ſondern man muß darunter verſtehen, apud Aediles; novus aber heißt hier nicht, was aus des Terenz eigenem Kopfe gefloſſen, ſon-

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/286>, abgerufen am 28.04.2024.