Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Bey dem "Lachst du mich aus?" des Demea,
merkt Donatus an: Hoc verbum vultu
Demeae sic profertur, ut subrisisse videa-
tur invitus. Sed rursus ego sentio,
amare severeque dicit.
Unvergleichlich!
Demea, dessen voller Ernst es war, daß er die
Sängerinn, nicht als Sängerinn, sondern als
eine gemeine Sklavinn halten und nutzen wollte,
muß über den Einfall des Micio lachen. Micio
selbst braucht nicht zu lachen: je ernsthafter er
sich stellt, desto besser. Demea kann darum
doch sagen: Lachst du mich aus? und muß sich
zwingen wollen, sein eignes Lachen zu verbeissen.
Er verbeißt es auch bald, denn das "Jch fühl
es leider" sagt er wieder in einem ärgerlichen
und bittern Tone. Aber so ungern, so kurz das
Lachen auch ist: so große Wirkung hat es gleich-
wohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat
man wirklich vors erste gewonnen, wenn man
ihn nur zu lachen machen kann. Je seltner ihm
diese wohlthätige Erschütterung ist, desto län-
ger hält sie innerlich an; nachdem er längst alle
Spur derselben auf seinem Gesichte vertilgt,
dauert sie noch fort, ohne daß er es selbst weiß,
und hat auf sein nächstfolgendes Betragen einen
gewissen Einfluß. --

Aber wer hätte wohl bey einem Grammatiker
so feine Kenntnisse gesucht? Die alten Gram-
matiker waren nicht das, was wir itzt bey dem

Na-

Bey dem „Lachſt du mich aus?„ des Demea,
merkt Donatus an: Hoc verbum vultu
Demeæ ſic profertur, ut ſubriſiſſe videa-
tur invitus. Sed rurſus ego ſentio,
amare ſevereque dicit.
Unvergleichlich!
Demea, deſſen voller Ernſt es war, daß er die
Sängerinn, nicht als Sängerinn, ſondern als
eine gemeine Sklavinn halten und nutzen wollte,
muß über den Einfall des Micio lachen. Micio
ſelbſt braucht nicht zu lachen: je ernſthafter er
ſich ſtellt, deſto beſſer. Demea kann darum
doch ſagen: Lachſt du mich aus? und muß ſich
zwingen wollen, ſein eignes Lachen zu verbeiſſen.
Er verbeißt es auch bald, denn das „Jch fühl
es leider„ ſagt er wieder in einem ärgerlichen
und bittern Tone. Aber ſo ungern, ſo kurz das
Lachen auch iſt: ſo große Wirkung hat es gleich-
wohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat
man wirklich vors erſte gewonnen, wenn man
ihn nur zu lachen machen kann. Je ſeltner ihm
dieſe wohlthätige Erſchütterung iſt, deſto län-
ger hält ſie innerlich an; nachdem er längſt alle
Spur derſelben auf ſeinem Geſichte vertilgt,
dauert ſie noch fort, ohne daß er es ſelbſt weiß,
und hat auf ſein nächſtfolgendes Betragen einen
gewiſſen Einfluß. —

Aber wer hätte wohl bey einem Grammatiker
ſo feine Kenntniſſe geſucht? Die alten Gram-
matiker waren nicht das, was wir itzt bey dem

Na-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0162" n="156"/>
        <p>Bey dem &#x201E;Lach&#x017F;t du mich aus?&#x201E; des Demea,<lb/>
merkt Donatus an: <hi rendition="#aq">Hoc verbum vultu<lb/>
Demeæ &#x017F;ic profertur, ut &#x017F;ubri&#x017F;i&#x017F;&#x017F;e videa-<lb/>
tur invitus. Sed rur&#x017F;us <hi rendition="#k">ego &#x017F;entio</hi>,<lb/>
amare &#x017F;evereque dicit.</hi> Unvergleichlich!<lb/>
Demea, de&#x017F;&#x017F;en voller Ern&#x017F;t es war, daß er die<lb/>
Sängerinn, nicht als Sängerinn, &#x017F;ondern als<lb/>
eine gemeine Sklavinn halten und nutzen wollte,<lb/>
muß über den Einfall des Micio lachen. Micio<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t braucht nicht zu lachen: je ern&#x017F;thafter er<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;tellt, de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er. Demea kann darum<lb/>
doch &#x017F;agen: Lach&#x017F;t du mich aus? und muß &#x017F;ich<lb/>
zwingen wollen, &#x017F;ein eignes Lachen zu verbei&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Er verbeißt es auch bald, denn das &#x201E;Jch fühl<lb/>
es leider&#x201E; &#x017F;agt er wieder in einem ärgerlichen<lb/>
und bittern Tone. Aber &#x017F;o ungern, &#x017F;o kurz das<lb/>
Lachen auch i&#x017F;t: &#x017F;o große Wirkung hat es gleich-<lb/>
wohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat<lb/>
man wirklich vors er&#x017F;te gewonnen, wenn man<lb/>
ihn nur zu lachen machen kann. Je &#x017F;eltner ihm<lb/>
die&#x017F;e wohlthätige Er&#x017F;chütterung i&#x017F;t, de&#x017F;to län-<lb/>
ger hält &#x017F;ie innerlich an; nachdem er läng&#x017F;t alle<lb/>
Spur der&#x017F;elben auf &#x017F;einem Ge&#x017F;ichte vertilgt,<lb/>
dauert &#x017F;ie noch fort, ohne daß er es &#x017F;elb&#x017F;t weiß,<lb/>
und hat auf &#x017F;ein näch&#x017F;tfolgendes Betragen einen<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Einfluß. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Aber wer hätte wohl bey einem Grammatiker<lb/>
&#x017F;o feine Kenntni&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;ucht? Die alten Gram-<lb/>
matiker waren nicht das, was wir itzt bey dem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Na-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[156/0162] Bey dem „Lachſt du mich aus?„ des Demea, merkt Donatus an: Hoc verbum vultu Demeæ ſic profertur, ut ſubriſiſſe videa- tur invitus. Sed rurſus ego ſentio, amare ſevereque dicit. Unvergleichlich! Demea, deſſen voller Ernſt es war, daß er die Sängerinn, nicht als Sängerinn, ſondern als eine gemeine Sklavinn halten und nutzen wollte, muß über den Einfall des Micio lachen. Micio ſelbſt braucht nicht zu lachen: je ernſthafter er ſich ſtellt, deſto beſſer. Demea kann darum doch ſagen: Lachſt du mich aus? und muß ſich zwingen wollen, ſein eignes Lachen zu verbeiſſen. Er verbeißt es auch bald, denn das „Jch fühl es leider„ ſagt er wieder in einem ärgerlichen und bittern Tone. Aber ſo ungern, ſo kurz das Lachen auch iſt: ſo große Wirkung hat es gleich- wohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat man wirklich vors erſte gewonnen, wenn man ihn nur zu lachen machen kann. Je ſeltner ihm dieſe wohlthätige Erſchütterung iſt, deſto län- ger hält ſie innerlich an; nachdem er längſt alle Spur derſelben auf ſeinem Geſichte vertilgt, dauert ſie noch fort, ohne daß er es ſelbſt weiß, und hat auf ſein nächſtfolgendes Betragen einen gewiſſen Einfluß. — Aber wer hätte wohl bey einem Grammatiker ſo feine Kenntniſſe geſucht? Die alten Gram- matiker waren nicht das, was wir itzt bey dem Na-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/162
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/162>, abgerufen am 24.11.2024.