Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

der wahre Verstand nur durch die Errathung
der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in
vielen scheinen die Worte gerade das Gegentheil
von dem zu sagen, was der Schauspieler durch
jene ausdrücken muß.

Selbst in der Scene, in welcher die vermeinte
Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden
sich dergleichen Stellen, die ich anführen will,
weil auf ihnen gewissermaaßen die Mißdeutung
beruhet, die ich bestreite. -- Demea weiß nun-
mehr alles, er hat es mit seinen eignen Augen
gesehen, daß es sein ehrbarer frommer Sohn ist,
für den die Sängerinn entführet worden, und
stürzt mit dem unbändigsten Geschrey heraus.
Er klagt es dem Himmel und der Erde und
dem Meere; und eben bekömmt er den Micio
zu Gesicht.

Demea. Ha! da ist er, der mir sie beide ver-
dirbt -- meine Söhne, mir sie beide zu Grunde
richtet! --
Micio. O so mäßige dich, und komm wieder
zu dir!
Demea. Gut, ich mäßige mich, ich bin bey
mir, es soll mir kein hartes Wort entfahren. Laß
uns blos bey der Sache bleiben. Sind wir nicht
eins geworden, warest du es nicht selbst, der es
zuerst auf die Bahn brachte, daß sich ein jeder
nur

der wahre Verſtand nur durch die Errathung
der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in
vielen ſcheinen die Worte gerade das Gegentheil
von dem zu ſagen, was der Schauſpieler durch
jene ausdrücken muß.

Selbſt in der Scene, in welcher die vermeinte
Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden
ſich dergleichen Stellen, die ich anführen will,
weil auf ihnen gewiſſermaaßen die Mißdeutung
beruhet, die ich beſtreite. — Demea weiß nun-
mehr alles, er hat es mit ſeinen eignen Augen
geſehen, daß es ſein ehrbarer frommer Sohn iſt,
für den die Sängerinn entführet worden, und
ſtürzt mit dem unbändigſten Geſchrey heraus.
Er klagt es dem Himmel und der Erde und
dem Meere; und eben bekömmt er den Micio
zu Geſicht.

Demea. Ha! da iſt er, der mir ſie beide ver-
dirbt — meine Söhne, mir ſie beide zu Grunde
richtet! —
Micio. O ſo mäßige dich, und komm wieder
zu dir!
Demea. Gut, ich mäßige mich, ich bin bey
mir, es ſoll mir kein hartes Wort entfahren. Laß
uns blos bey der Sache bleiben. Sind wir nicht
eins geworden, wareſt du es nicht ſelbſt, der es
zuerſt auf die Bahn brachte, daß ſich ein jeder
nur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="150"/>
der wahre Ver&#x017F;tand nur durch die Errathung<lb/>
der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in<lb/>
vielen &#x017F;cheinen die Worte gerade das Gegentheil<lb/>
von dem zu &#x017F;agen, was der Schau&#x017F;pieler durch<lb/>
jene ausdrücken muß.</p><lb/>
        <p>Selb&#x017F;t in der Scene, in welcher die vermeinte<lb/>
Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden<lb/>
&#x017F;ich dergleichen Stellen, die ich anführen will,<lb/>
weil auf ihnen gewi&#x017F;&#x017F;ermaaßen die Mißdeutung<lb/>
beruhet, die ich be&#x017F;treite. &#x2014; Demea weiß nun-<lb/>
mehr alles, er hat es mit &#x017F;einen eignen Augen<lb/>
ge&#x017F;ehen, daß es &#x017F;ein ehrbarer frommer Sohn i&#x017F;t,<lb/>
für den die Sängerinn entführet worden, und<lb/>
&#x017F;türzt mit dem unbändig&#x017F;ten Ge&#x017F;chrey heraus.<lb/>
Er klagt es dem Himmel und der Erde und<lb/>
dem Meere; und eben bekömmt er den Micio<lb/>
zu Ge&#x017F;icht.</p><lb/>
        <sp>
          <speaker><hi rendition="#g">Demea</hi>.</speaker>
          <p>Ha! da i&#x017F;t er, der mir &#x017F;ie beide ver-<lb/>
dirbt &#x2014; meine Söhne, mir &#x017F;ie beide zu Grunde<lb/>
richtet! &#x2014;</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker><hi rendition="#g">Micio</hi>.</speaker>
          <p>O &#x017F;o mäßige dich, und komm wieder<lb/>
zu dir!</p>
        </sp><lb/>
        <sp>
          <speaker><hi rendition="#g">Demea</hi>.</speaker>
          <p>Gut, ich mäßige mich, ich bin bey<lb/>
mir, es &#x017F;oll mir kein hartes Wort entfahren. Laß<lb/>
uns blos bey der Sache bleiben. Sind wir nicht<lb/>
eins geworden, ware&#x017F;t du es nicht &#x017F;elb&#x017F;t, der es<lb/>
zuer&#x017F;t auf die Bahn brachte, daß &#x017F;ich ein jeder<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nur</fw><lb/></p>
        </sp>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0156] der wahre Verſtand nur durch die Errathung der wahren Aktion kann getroffen werden; ja in vielen ſcheinen die Worte gerade das Gegentheil von dem zu ſagen, was der Schauſpieler durch jene ausdrücken muß. Selbſt in der Scene, in welcher die vermeinte Sinnesänderung des Demea vorgeht, finden ſich dergleichen Stellen, die ich anführen will, weil auf ihnen gewiſſermaaßen die Mißdeutung beruhet, die ich beſtreite. — Demea weiß nun- mehr alles, er hat es mit ſeinen eignen Augen geſehen, daß es ſein ehrbarer frommer Sohn iſt, für den die Sängerinn entführet worden, und ſtürzt mit dem unbändigſten Geſchrey heraus. Er klagt es dem Himmel und der Erde und dem Meere; und eben bekömmt er den Micio zu Geſicht. Demea. Ha! da iſt er, der mir ſie beide ver- dirbt — meine Söhne, mir ſie beide zu Grunde richtet! — Micio. O ſo mäßige dich, und komm wieder zu dir! Demea. Gut, ich mäßige mich, ich bin bey mir, es ſoll mir kein hartes Wort entfahren. Laß uns blos bey der Sache bleiben. Sind wir nicht eins geworden, wareſt du es nicht ſelbſt, der es zuerſt auf die Bahn brachte, daß ſich ein jeder nur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/156
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/156>, abgerufen am 19.04.2024.