Schattirungen in Acht genommen, daß man nicht aufhören kann, ihn zu bewundern.
Nur ist öfters, um hinter alle Feinheiten des Terenz zu kommen, die Gabe sehr nöthig, sich das Spiel des Akteurs dabey zu denken; denn dieses schrieben die alten Dichter nicht bey. Die Deklamation hatte ihren eignen Künstler, und in dem Uebrigen konnten sie sich ohne Zwei- fel auf die Einsicht der Spieler verlassen, die aus ihrem Geschäfte ein sehr ernstliches Stu- dium machten. Nicht selten befanden sich unter diesen die Dichter selbst; sie sagten, wie sie es haben wollten; und da sie ihre Stücke über- haupt nicht eher bekannt werden ließen, als bis sie gespielt waren, als bis man sie gesehen und gehört hatte: so konnten sie es um so mehr über- hoben seyn, den geschriebenen Dialog durch Einschiebsel zu unterbrechen, in welchen sich der beschreibende Dichter gewissermaaßen mit unter die handelnden Personen zu mischen scheinet. Wenn man sich aber einbildet, daß die alten Dichter, um sich diese Einschiebsel zu ersparen, in den Reden selbst, jede Bewegung, jede Ge- behrde, jede Mine, jede besondere Abänderung der Stimme, die dabey zu beobachten, mit an- zudeuten gesucht: so irret man sich. Jn dem Terenz allein kommen unzählige Stellen vor, in welchen von einer solchen Andeutung sich nicht die geringste Spur zeiget, und wo gleichwohl
der
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Schattirungen in Acht genommen, daß man nicht aufhören kann, ihn zu bewundern.
Nur iſt öfters, um hinter alle Feinheiten des Terenz zu kommen, die Gabe ſehr nöthig, ſich das Spiel des Akteurs dabey zu denken; denn dieſes ſchrieben die alten Dichter nicht bey. Die Deklamation hatte ihren eignen Künſtler, und in dem Uebrigen konnten ſie ſich ohne Zwei- fel auf die Einſicht der Spieler verlaſſen, die aus ihrem Geſchäfte ein ſehr ernſtliches Stu- dium machten. Nicht ſelten befanden ſich unter dieſen die Dichter ſelbſt; ſie ſagten, wie ſie es haben wollten; und da ſie ihre Stücke über- haupt nicht eher bekannt werden ließen, als bis ſie geſpielt waren, als bis man ſie geſehen und gehört hatte: ſo konnten ſie es um ſo mehr über- hoben ſeyn, den geſchriebenen Dialog durch Einſchiebſel zu unterbrechen, in welchen ſich der beſchreibende Dichter gewiſſermaaßen mit unter die handelnden Perſonen zu miſchen ſcheinet. Wenn man ſich aber einbildet, daß die alten Dichter, um ſich dieſe Einſchiebſel zu erſparen, in den Reden ſelbſt, jede Bewegung, jede Ge- behrde, jede Mine, jede beſondere Abänderung der Stimme, die dabey zu beobachten, mit an- zudeuten geſucht: ſo irret man ſich. Jn dem Terenz allein kommen unzählige Stellen vor, in welchen von einer ſolchen Andeutung ſich nicht die geringſte Spur zeiget, und wo gleichwohl
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Schattirungen in Acht genommen, daß man
nicht aufhören kann, ihn zu bewundern.
Nur iſt öfters, um hinter alle Feinheiten des
Terenz zu kommen, die Gabe ſehr nöthig, ſich
das Spiel des Akteurs dabey zu denken; denn
dieſes ſchrieben die alten Dichter nicht bey.
Die Deklamation hatte ihren eignen Künſtler,
und in dem Uebrigen konnten ſie ſich ohne Zwei-
fel auf die Einſicht der Spieler verlaſſen, die
aus ihrem Geſchäfte ein ſehr ernſtliches Stu-
dium machten. Nicht ſelten befanden ſich unter
dieſen die Dichter ſelbſt; ſie ſagten, wie ſie es
haben wollten; und da ſie ihre Stücke über-
haupt nicht eher bekannt werden ließen, als bis
ſie geſpielt waren, als bis man ſie geſehen und
gehört hatte: ſo konnten ſie es um ſo mehr über-
hoben ſeyn, den geſchriebenen Dialog durch
Einſchiebſel zu unterbrechen, in welchen ſich der
beſchreibende Dichter gewiſſermaaßen mit unter
die handelnden Perſonen zu miſchen ſcheinet.
Wenn man ſich aber einbildet, daß die alten
Dichter, um ſich dieſe Einſchiebſel zu erſparen,
in den Reden ſelbſt, jede Bewegung, jede Ge-
behrde, jede Mine, jede beſondere Abänderung
der Stimme, die dabey zu beobachten, mit an-
zudeuten geſucht: ſo irret man ſich. Jn dem
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/155>, abgerufen am 22.11.2024.
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