"ten und in der Entwicklung zu seyn pflegen. "Wie selten fragen die Urheber der einen und "der andern sich selbst, warum sie dieses oder "jenes gerade so und nicht anders gemacht ha- "ben? Wie oft überraschen sie uns durch Bege- "benheiten, zu denen wir nicht im mindesten "vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Perso- "nen kommen und wieder abtreten, ohne daß sich "begreifen läßt, warum sie kamen, oder warum "sie wieder verschwinden? Wie viel wird in bei- "den dem Zufall überlassen? Wie oft sehen wir "die größesten Wirkungen durch die armseligsten "Ursachen hervorgebracht? Wie oft das Ernst- "hafte und Wichtige mit einer leichtsinnigen Art, "und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gra- "vität behandelt? Und wenn in beiden endlich "alles so kläglich verworren und durch einander "geschlungen ist, daß man an der Möglichkeit der "Entwicklung zu verzweifeln anfängt: wie glück- "lich sehen wir durch irgend einen unter Blitz "und Donner aus papiernen Wolken herabsprin- "genden Gott, oder durch einen frischen Degen- "hieb, den Knoten auf einmal zwar nicht aufge- "löset, aber doch aufgeschnitten, welches in so "fern auf eines hinauslauft, daß auf die eine oder "die andere Art das Stück ein Ende hat, und "die Zuschauer klatschen oder zischen können, wie "sie wollen oder -- dürfen. Uebrigens weiß man, "was für eine wichtige Person in den komischen
"Tra-
„ten und in der Entwicklung zu ſeyn pflegen. „Wie ſelten fragen die Urheber der einen und „der andern ſich ſelbſt, warum ſie dieſes oder „jenes gerade ſo und nicht anders gemacht ha- „ben? Wie oft überraſchen ſie uns durch Bege- „benheiten, zu denen wir nicht im mindeſten „vorbereitet waren? Wie oft ſehen wir Perſo- „nen kommen und wieder abtreten, ohne daß ſich „begreifen läßt, warum ſie kamen, oder warum „ſie wieder verſchwinden? Wie viel wird in bei- „den dem Zufall überlaſſen? Wie oft ſehen wir „die größeſten Wirkungen durch die armſeligſten „Urſachen hervorgebracht? Wie oft das Ernſt- „hafte und Wichtige mit einer leichtſinnigen Art, „und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gra- „vität behandelt? Und wenn in beiden endlich „alles ſo kläglich verworren und durch einander „geſchlungen iſt, daß man an der Möglichkeit der „Entwicklung zu verzweifeln anfängt: wie glück- „lich ſehen wir durch irgend einen unter Blitz „und Donner aus papiernen Wolken herabſprin- „genden Gott, oder durch einen friſchen Degen- „hieb, den Knoten auf einmal zwar nicht aufge- „löſet, aber doch aufgeſchnitten, welches in ſo „fern auf eines hinauslauft, daß auf die eine oder „die andere Art das Stück ein Ende hat, und „die Zuſchauer klatſchen oder ziſchen können, wie „ſie wollen oder — dürfen. Uebrigens weiß man, „was für eine wichtige Perſon in den komiſchen
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„ten und in der Entwicklung zu ſeyn pflegen.
„Wie ſelten fragen die Urheber der einen und
„der andern ſich ſelbſt, warum ſie dieſes oder
„jenes gerade ſo und nicht anders gemacht ha-
„ben? Wie oft überraſchen ſie uns durch Bege-
„benheiten, zu denen wir nicht im mindeſten
„vorbereitet waren? Wie oft ſehen wir Perſo-
„nen kommen und wieder abtreten, ohne daß ſich
„begreifen läßt, warum ſie kamen, oder warum
„ſie wieder verſchwinden? Wie viel wird in bei-
„den dem Zufall überlaſſen? Wie oft ſehen wir
„die größeſten Wirkungen durch die armſeligſten
„Urſachen hervorgebracht? Wie oft das Ernſt-
„hafte und Wichtige mit einer leichtſinnigen Art,
„und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gra-
„vität behandelt? Und wenn in beiden endlich
„alles ſo kläglich verworren und durch einander
„geſchlungen iſt, daß man an der Möglichkeit der
„Entwicklung zu verzweifeln anfängt: wie glück-
„lich ſehen wir durch irgend einen unter Blitz
„und Donner aus papiernen Wolken herabſprin-
„genden Gott, oder durch einen friſchen Degen-
„hieb, den Knoten auf einmal zwar nicht aufge-
„löſet, aber doch aufgeſchnitten, welches in ſo
„fern auf eines hinauslauft, daß auf die eine oder
„die andere Art das Stück ein Ende hat, und
„die Zuſchauer klatſchen oder ziſchen können, wie
„ſie wollen oder — dürfen. Uebrigens weiß man,
„was für eine wichtige Perſon in den komiſchen
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/140>, abgerufen am 24.11.2024.
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