"ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht, "doch dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach "sehr schwer wird, uns wieder in die Fassung zu "setzen, worinn er uns haben möchte. -- Man "tadelt das, und denkt nicht daran, daß seine "Stücke eben darinn natürliche Abbildungen "des menschlichen Lebens sind."
"Das Leben der meisten Menschen, und (wenn "wir es sagen dürfen) der Lebenslauf der großen "Staatskörper selbst, in so fern wir sie als eben "so viel moralische Wesen betrachten, gleicht den "Haupt- und Staats-Actionen im alten gothi- "schen Geschmacke in so vielen Punkten, daß "man beynahe auf die Gedanken kommen möchte, "die Erfinder dieser letztern wären klüger gewesen, "als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern "sie nicht gar die heimliche Absicht gehabt, das "menschliche Leben lächerlich zu machen, wenig- "stens die Natur eben so getreu nachahmen wol- "len, als die Griechen sich angelegen seyn liessen, "sie zu verschönern. Um itzt nichts von der zu- "fälligen Aehnlichkeit zu sagen, daß in diesen "Stücken, so wie im Leben, die wichtigsten "Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten "Acteurs gespielt werden, -- was kann ähnlicher "seyn, als es beide Arten der Haupt- und Staats- "Actionen einander in der Anlage, in der Ab- "theilung und Disposition der Scenen, im Kno-
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„ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht, „doch dergeſtalt abkühlt, daß es ihm hernach „ſehr ſchwer wird, uns wieder in die Faſſung zu „ſetzen, worinn er uns haben möchte. — Man „tadelt das, und denkt nicht daran, daß ſeine „Stücke eben darinn natürliche Abbildungen „des menſchlichen Lebens ſind.„
„Das Leben der meiſten Menſchen, und (wenn „wir es ſagen dürfen) der Lebenslauf der großen „Staatskörper ſelbſt, in ſo fern wir ſie als eben „ſo viel moraliſche Weſen betrachten, gleicht den „Haupt- und Staats-Actionen im alten gothi- „ſchen Geſchmacke in ſo vielen Punkten, daß „man beynahe auf die Gedanken kommen möchte, „die Erfinder dieſer letztern wären klüger geweſen, „als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern „ſie nicht gar die heimliche Abſicht gehabt, das „menſchliche Leben lächerlich zu machen, wenig- „ſtens die Natur eben ſo getreu nachahmen wol- „len, als die Griechen ſich angelegen ſeyn lieſſen, „ſie zu verſchönern. Um itzt nichts von der zu- „fälligen Aehnlichkeit zu ſagen, daß in dieſen „Stücken, ſo wie im Leben, die wichtigſten „Rollen ſehr oft gerade durch die ſchlechteſten „Acteurs geſpielt werden, — was kann ähnlicher „ſeyn, als es beide Arten der Haupt- und Staats- „Actionen einander in der Anlage, in der Ab- „theilung und Diſpoſition der Scenen, im Kno-
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„ihrer Empfindungen, wo nicht zu lachen macht,
„doch dergeſtalt abkühlt, daß es ihm hernach
„ſehr ſchwer wird, uns wieder in die Faſſung zu
„ſetzen, worinn er uns haben möchte. — Man
„tadelt das, und denkt nicht daran, daß ſeine
„Stücke eben darinn natürliche Abbildungen
„des menſchlichen Lebens ſind.„
„Das Leben der meiſten Menſchen, und (wenn
„wir es ſagen dürfen) der Lebenslauf der großen
„Staatskörper ſelbſt, in ſo fern wir ſie als eben
„ſo viel moraliſche Weſen betrachten, gleicht den
„Haupt- und Staats-Actionen im alten gothi-
„ſchen Geſchmacke in ſo vielen Punkten, daß
„man beynahe auf die Gedanken kommen möchte,
„die Erfinder dieſer letztern wären klüger geweſen,
„als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern
„ſie nicht gar die heimliche Abſicht gehabt, das
„menſchliche Leben lächerlich zu machen, wenig-
„ſtens die Natur eben ſo getreu nachahmen wol-
„len, als die Griechen ſich angelegen ſeyn lieſſen,
„ſie zu verſchönern. Um itzt nichts von der zu-
„fälligen Aehnlichkeit zu ſagen, daß in dieſen
„Stücken, ſo wie im Leben, die wichtigſten
„Rollen ſehr oft gerade durch die ſchlechteſten
„Acteurs geſpielt werden, — was kann ähnlicher
„ſeyn, als es beide Arten der Haupt- und Staats-
„Actionen einander in der Anlage, in der Ab-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/139>, abgerufen am 24.11.2024.
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